Dienstag, 26. Juni 2012

Trier, die uralte Stadt an der Mosel

Vorbemerkung: An zehn Städte, in denen ich studiert oder gearbeitet habe, habe ich diverse Erinnerungen. Sie sind sehr unterschiedlich. Auch lassen sie sich nicht unter einem Thema zusammenhängend behandeln, etwa nur die Geschichte oder die Sehenswürdigkeiten. Eine Stadt, in der man arbeitet, erlebt man anders als eine Stadt, die man als Tourist besucht. Deshalb will ich den persönlichen Bezug nicht ganz weglassen. Mal sehen, ob ich alle zehn Städte im Rückblick schaffe.

Ich beginne mit meiner Heimatstadt Trier. Heimatstadt ist eigentlich falsch. Trier ist mit etwa 100.000 Einwohnern die Hauptstadt eines Regierungsbezirks und der Sitz eines Bischofs. Im Gegensatz zu Bitburg, der Kreisstadt, hat es Theater, Museen und viele prächtige Kirchen. Bitburg erreichte man von zuhause per Bahn in zwanzig Minuten, nach Trier dauert es eine Stunde. Das liegt daran, dass die Bahnlinie von meinem Heimatdorf Niederweis nach Trier eine große Schleife entlang der Sauer machte. Seit die Bahnlinie abgebaut wurde, fährt man nur noch per Auto die 28 km. Das geht größtenteils über die uralte Römerstraße von Trier nach Bitburg, die weiter nach Köln führt. Die geht schnurstracks über den Höhenrücken zwischen Sauer und Kyll. Von der Eifel kommend, fällt man quasi in die Stadt hinein. Steil und kurvenreich ist der Abstieg von Westen in die Stadt, entlang den roten Sandsteinfelsen. Wer schlechte Bremsen hat, begibt sich und andere in Gefahr.


 Porta Nigra – Ansicht von Norden (© Stadt Trier)

Trier brüstet sich, Deutschlands älteste Stadt zu sein. Dreizehnhundert Jahre vor Rom soll die Stadt schon bestanden haben. So steht es über einem der Stadthäuser (Lat. Ante Romam Treveris stetit annis mille trecentis. Perstet et aeterna pace fruatur). Kelten haben sie gegründet, Römer machten sie zur westlichen Hauptstadt ihres Reiches. Die Franken setzten sich um 480 fest, nachdem sie die Stadt vorher zweimal verwüstet hatten. In ihrer wechselvollen Geschichte war die Stadt und die Region oft Zankapfel zwischen Deutschland und Frankreich. Die Trierer Kirchenprovinz erhielt ihre Sonderstellung dadurch, dass sie neben Köln und Mainz einen der geistlichen Kurfürsten stellte. Ihr Bischof regierte einen Sprengel der sich weit nach Frankreich hinein ausdehnte (Metz, Toul und Verdun waren Trierer Suffraganbistümer). Das zwang den Trierer Landesherrn, sich nicht unnötig mit Frankreich zu reiben. Dafür stritt man umso öfter mit den Grafen von Luxemburg.

Meine älteste Erinnerung an Trier ist vom Sommer 1938. Es war ein Urlaub weg vom Bauernhof, der mich als 5-jährigen Jungen zum ersten Mal für eine Woche von zuhause wegbrachte. Die Gastfamilie wohnte in einem Mehrfamilienhaus in einer oberen Etage. Alles war ziemlich eng. Die zwei älteren Söhne der Familie hatten kaum Zeit für mich. Die mussten in die Schule. Der Vater war tagsüber im Büro. Ich ging daher mit der Hausfrau und dem jüngeren Sohn zum Einkaufen in die Stadt. Auch besuchten wir Zoo und Theater. Eine Erinnerung überwog alles. Ich hatte schreckliches Heimweh und war froh, als ich wieder nach Hause durfte.

Nach Trier fuhr man später hauptsächlich zum Einkaufen. Für Textilien und Haushaltsgeräte gab es eine große Auswahl. Wir Bitburger Gymnasiasten wurden schon mal nach Trier ins Theater gebracht. Da gab es Lortzings Wildschütz und Wagners Fliegenden Holländer. Die römischen Ruinen wurden bestaunt, vor allem die Porta Nigra (siehe erstes Bild), die Kaiserthermen und das Amphitheater. Auch Trierer Ärzte wurden in Anspruch genommen und Krankenhäuser besucht. Die Sprüche von Fischers Maathes, dem Trierer Original, erfreuten Kinder und Erwachsene. Am Dom rutschte man wie Maathes auf dem Domstein und ging mit zur Bischofsmesse. Die für Trier so berühmten Wallfahrten, wie die zum Hl. Rock, habe ich keine mitgemacht. Dafür fuhr ich in den 1950er Jahren mit, wenn der 1. FC Kaiserslautern bei der Eintracht Trier zu Gast war, und die Walter-Brüder sowie die Eckels und Liebrichs ihre Fußballkunst zelebrierten.


Basilika und Kurfürstliches Palais (© Städte-Infos)

Eine Kultur im anderen Sinne lernte ich kennen, als ich nach dem Abitur ein vermessungstechnisches Praktikum am Kulturamt in Trier absolvierte. Das wichtigste daran war, dass ich hier einen Studienfreund aus Trier kennenlernte, mit dem ich später in Bonn ein Zimmer teilte, und mit dem ich heute noch engen Kontakt habe. Das sechsmonatige Praktikum war für uns beide teils enttäuschend, teils amüsant. Fast hätten wir rebelliert. In den ersten Wochen, die wir im Innendienst verbrachten, waren wir einem älteren Inspektor zugeteilt, der uns die Vermessungsverordnung von 1886 auf den Tisch legte, mit der Bitte sie zu studieren. Zum Glück ging es bald darauf in den Außendienst. Unter der Aufsicht eines Obervermessungsrates arbeiteten wir etwa vier Monate lang an zwei Flurbereinigungsprojekten mit. Das eine lag an der Sauer, nicht weit von zuhause. Das andere lag an der Kyll, im nördlichen Teil des Kreises Bitburg. Wir wurden auf einem alleinliegenden Bauernhof einquartiert, dessen saftige Viehweiden und großzügige Pferdekoppeln rund um den Hof lagen. Zwei Töchter etwa in unserm Alter freuten sich über Gespräche mit den angehenden Akademikern.

Während des Studiums und während meiner Berufsjahre rückten Trier und das Trierer Land in den Hintergrund. Zwar gab es hin und wieder Kontakte zur Trierer Uni, wo ich neue Freunde und Bekannte gewann. Für die Teilnehmer einer internationalen Veranstaltung machte ich sogar den Fremdenführer. Da viele Engländer in dieser Gruppe waren, konnte ich, vor der Porta Nigra stehend, mir nicht verkneifen darauf hinzuweisen, dass von hier aus einst Britannien regiert wurde (‚From here we ruled Britannia‘). Die Stadt Trier oder die sie umgebende herrliche Talaue waren jedes Jahr mehrmals das Ziel meiner Reisen, wenn ich zum Besuch meiner Eltern und Geschwister oft von weither anreiste. Meistens kam ich im Auto mit Frau und Kindern über Hermeskeil und war stets in Hochstimmung, wenn ich über die Feller Talbrücke auf Longuich zusteuerte. Mehrmals kam ich auch das Moseltal von Traben-Trarbach und Neumagen herauf, oder von Siers und Nennig herunter. War ich allein, benutzte ich meist den Zug über Koblenz oder Saarbrücken. Bei den Autofahrten durch das Moseltal machte ich öfters Halt bei einem Winzer, um einige Flaschen Riesling einzukaufen. Der Longuicher Probstberg, aber auch die Zeller Schwarze Katz und das Zeltinger Himmelreich kamen so ins Schwabenland.

Erst im Ruhestand wurde die Stadt Trier wieder wichtig und interessant. Es begann mit einem Besuch des bischöflichen Archivs. Dort befindet sich unter anderem das Pfarrbuch meiner Heimatpfarrei. Leider enthält es nur Eintragungen ab 1704. Die Vorgängerversion sollen Marlboroughs Soldaten mitgenommen haben, als sie nach der Belagerung Triers durch mein in einem Seitental der Mosel gelegenes Heimatdorf zogen. Aus den bei diesem Besuch handschriftlich kopierten Dokumenten habe ich in den letzten 30 Jahren immer wieder zitiert. Ergänzen möchte ich, dass für meine Heimatgeschichte die Trierer Archive nur einen Teilaspekt wiedergeben. Ergiebiger war das Nationalarchiv in Luxemburg und das Landeshauptarchiv in Koblenz.

Auf Trier wurde ich durch meine Reisen und die damit verbundenen historischen Studien immer wieder gelenkt. Beispiele sind Ausonius (310-394), der Lehrmeister und spätere Konsul des Kaisers Gratian, und Honoratus (etwa 365-430), der Gründer des Klosters auf der Insel Lérin bei Cannes. Über Ausonius gibt es einen Eintrag in diesem Blog. Der Bibliothekar der Trierer Stadtbibliothek wurde zum nützlichen Helfer und zum kritischen Gutachter einiger meiner Schöpfungen. Eine Arbeit, bei der ich mich mit der Sprachgeschichte des Moselfränkischen auseinandersetzte, erhielt nicht seinen Segen. Ich konnte sie nur privat veröffentlichen. In einem anderen Falle  gelang es mir ihn auszubooten. Als ich zum ersten Mal über Honoratus schrieb, hatte dies den Tenor, als ob ich der Diözese Trier einen weiteren Heiligen andichten wollte. Der als Gutachter bestellte Theologie-Professor der Uni Trier meinte, das Ganze sei sehr interessant aber spekulativ, und lehnte ab. Ich fand anschließend eine von Laien herausgegebene Trierer Zeitschrift, die den Beitrag [1] mit geändertem Titel annahm.

Schließlich befasste ich mich mit dem nach Karl Marx umstrittensten Sohn Triers, Ludwig Kaas [2], dem ehemaligen Vorsitzenden der Zentrumspartei. Ich kam auf ihn über meinen Großonkel Matthias Neyses [3], der von 1919 bis 1933 Reichstagsabgeordneter für das Zentrum war. Kaas hat es aus zwei Gründen mit den Trierern verdorben. Er hatte Hitlers Zusagen für das Ehrenwort eines Politikers gehalten und seine Partei überredet, dem Ermächtigungsgesetz zuzustimmen. Als das damals zu Frankreich gehörende Saarland in Tholey eine frühere Benediktiner-Abtei wiederbeleben wollte, stimmte Kaas in Rom dafür, dass die Mönche von St. Matthias dorthin zogen.

Von den vielen Trierer Kirchen will ich zwei hervorheben. Die Basilika ist wirklich die ursprüngliche Palast-Aula (siehe zweites Bild), in der Ausonius im August 379 seine Lobrede auf den 20-jährigen Kaiser Gratian hielt. Vor rund hundert Jahren wurde sie ‚auf ewig´ vom preußischen König an die Protestanten Triers vermacht. In St. Matthias, früher außerhalb der Stadt gelegen (in Matheis am letzten, sagen die Eifler, wenn etwas sehr abgelegen liegt), befindet sich das zweite Apostelgrab nördlich der Alpen, und die Gräber der ersten Trierer Bischöfe Eucharius und Valerius. Sie wirkten in der Mitte des dritten Jahrhunderts. Nicht so bekannt ist die reiche Witwe Albana, die auch hier begraben liegt. In ihrem Hause trafen sich die frühen Trierer Christen. Auf einer Säule im Klosterhof befindet sich die Entfernungsangabe für die Jakobspilger. Es sind von dort noch 1395 Kilometer bis nach Santiago di Compostella.

Als Großereignis der letzten Jahre gilt die Konstantin-Ausstellung im Jahre 2007. Hiermit hatte sich das Rheinische Landesmuseum noch einmal in den Blickpunkt gerückt. Monatelang strömten Tausende durch mehrere Trierer Museen und bewunderten die vielen Hinterlassenschaften aus der Römerzeit, seien es Mosaikböden, Skulpturen, Vasen oder das Neumagener Weinschiff. Andere faszinierte die geschichtliche Rolle eines Kaisers, der zwar Trier verließ, um Konstantinopel zu gründen, der aber dem Christentum zum Durchbruch verhalf.

Zum Schluss noch ein Hinweis, nicht ganz ohne Werbeabsicht. Auch einige Trierer Buchhandlungen führen neben allen Bitburger Buchläden meine heimatkundlichen Bücher. In ihnen sind auch alle meine Veröffentlichungen, die Trier betreffen, enthalten.

Zusätzliche Referenzen:
  1. Endres,A.: Das Kloster Lérin bei Cannes und sein Bezug zur Stadt Trier. Neues Trierisches Jahrbuch 2001, 221-230
  2. Endres,A.: Ludwig Kaas und seine Zeit. Eine Erinnerung anlässlich seines 50. Todestages. Neues Trierisches Jahrbuch 2002, 95-109
  3. Endres,A.: Matthias Neyses - Reichstagsabgeordneter und Agrarpolitiker der Weimarer Republik. Kurtrierisches Jahrbuch 1999. 427-438

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