Vorbemerkung: An zehn Städte, in denen ich studiert oder gearbeitet
habe, habe ich diverse Erinnerungen. Sie sind sehr unterschiedlich. Auch lassen
sie sich nicht unter einem Thema zusammenhängend behandeln, etwa nur die Geschichte
oder die Sehenswürdigkeiten. Eine Stadt, in der man arbeitet, erlebt man anders
als eine Stadt, die man als Tourist besucht. Deshalb will ich den persönlichen
Bezug nicht ganz weglassen. Mal sehen, ob ich alle zehn Städte im Rückblick
schaffe.
Ich beginne mit meiner Heimatstadt Trier. Heimatstadt ist eigentlich
falsch. Trier ist mit etwa 100.000 Einwohnern die Hauptstadt eines Regierungsbezirks und der Sitz eines Bischofs. Im Gegensatz zu Bitburg, der Kreisstadt, hat
es Theater, Museen und viele prächtige Kirchen. Bitburg erreichte man von zuhause
per Bahn in zwanzig Minuten, nach Trier dauert es eine Stunde. Das liegt daran,
dass die Bahnlinie von meinem Heimatdorf Niederweis nach Trier eine große
Schleife entlang der Sauer machte. Seit die Bahnlinie abgebaut wurde, fährt man
nur noch per Auto die 28 km. Das geht größtenteils über die uralte Römerstraße
von Trier nach Bitburg, die weiter nach Köln führt. Die geht schnurstracks über
den Höhenrücken zwischen Sauer und Kyll. Von der Eifel kommend, fällt man quasi
in die Stadt hinein. Steil und kurvenreich ist der Abstieg von Westen in die Stadt, entlang den
roten Sandsteinfelsen. Wer schlechte Bremsen hat, begibt sich und andere in
Gefahr.
Porta
Nigra – Ansicht von Norden (© Stadt Trier)
Trier brüstet sich, Deutschlands älteste Stadt zu sein. Dreizehnhundert
Jahre vor Rom soll die Stadt schon bestanden haben. So steht es über einem der
Stadthäuser (Lat. Ante Romam Treveris
stetit annis mille trecentis. Perstet et aeterna pace fruatur). Kelten
haben sie gegründet, Römer machten sie zur westlichen Hauptstadt ihres Reiches.
Die Franken setzten sich um 480 fest, nachdem sie die Stadt vorher zweimal
verwüstet hatten. In ihrer wechselvollen Geschichte war die Stadt und die
Region oft Zankapfel zwischen Deutschland und Frankreich. Die Trierer
Kirchenprovinz erhielt ihre Sonderstellung dadurch, dass sie neben Köln und
Mainz einen der geistlichen Kurfürsten stellte. Ihr Bischof regierte einen
Sprengel der sich weit nach Frankreich hinein ausdehnte (Metz, Toul und Verdun
waren Trierer Suffraganbistümer). Das zwang den Trierer Landesherrn, sich nicht
unnötig mit Frankreich zu reiben. Dafür stritt man umso öfter mit den Grafen
von Luxemburg.
Meine älteste Erinnerung an Trier ist vom Sommer 1938. Es war ein
Urlaub weg vom Bauernhof, der mich als 5-jährigen Jungen zum ersten Mal für
eine Woche von zuhause wegbrachte. Die Gastfamilie wohnte in einem
Mehrfamilienhaus in einer oberen Etage. Alles war ziemlich eng. Die zwei älteren
Söhne der Familie hatten kaum Zeit für mich. Die mussten in die Schule. Der
Vater war tagsüber im Büro. Ich ging daher mit der Hausfrau und dem jüngeren
Sohn zum Einkaufen in die Stadt. Auch besuchten wir Zoo und Theater. Eine Erinnerung
überwog alles. Ich hatte schreckliches Heimweh und war froh, als ich wieder
nach Hause durfte.
Nach Trier fuhr man später hauptsächlich zum Einkaufen. Für Textilien
und Haushaltsgeräte gab es eine große Auswahl. Wir Bitburger Gymnasiasten
wurden schon mal nach Trier ins Theater gebracht. Da gab es Lortzings
Wildschütz und Wagners Fliegenden Holländer. Die römischen Ruinen wurden bestaunt, vor
allem die Porta Nigra (siehe erstes Bild), die Kaiserthermen und das Amphitheater.
Auch Trierer Ärzte wurden in Anspruch genommen und Krankenhäuser besucht. Die
Sprüche von Fischers Maathes, dem Trierer Original, erfreuten Kinder und
Erwachsene. Am Dom rutschte man wie Maathes auf dem Domstein und ging mit zur
Bischofsmesse. Die für Trier so berühmten Wallfahrten, wie die zum Hl. Rock,
habe ich keine mitgemacht. Dafür fuhr ich in den 1950er Jahren mit, wenn der 1.
FC Kaiserslautern bei der Eintracht Trier zu Gast war, und die Walter-Brüder sowie
die Eckels und Liebrichs ihre Fußballkunst zelebrierten.
Basilika
und Kurfürstliches Palais (© Städte-Infos)
Eine Kultur im anderen Sinne lernte ich kennen, als ich nach dem Abitur
ein vermessungstechnisches Praktikum am Kulturamt in Trier absolvierte. Das
wichtigste daran war, dass ich hier einen Studienfreund aus Trier kennenlernte,
mit dem ich später in Bonn ein Zimmer teilte, und mit dem ich heute noch engen
Kontakt habe. Das sechsmonatige Praktikum war für uns beide teils enttäuschend,
teils amüsant. Fast hätten wir rebelliert. In den ersten Wochen, die wir im
Innendienst verbrachten, waren wir einem älteren Inspektor zugeteilt, der uns
die Vermessungsverordnung von 1886 auf den Tisch legte, mit der Bitte sie zu
studieren. Zum Glück ging es bald darauf in den Außendienst. Unter der Aufsicht
eines Obervermessungsrates arbeiteten wir etwa vier Monate lang an zwei
Flurbereinigungsprojekten mit. Das eine lag an der Sauer, nicht weit von
zuhause. Das andere lag an der Kyll, im nördlichen Teil des Kreises Bitburg.
Wir wurden auf einem alleinliegenden Bauernhof einquartiert, dessen saftige
Viehweiden und großzügige Pferdekoppeln rund um den Hof lagen. Zwei Töchter
etwa in unserm Alter freuten sich über Gespräche mit den angehenden
Akademikern.
Während des Studiums und während meiner Berufsjahre rückten Trier und
das Trierer Land in den Hintergrund. Zwar gab es hin und wieder Kontakte zur
Trierer Uni, wo ich neue Freunde und Bekannte gewann. Für die Teilnehmer einer
internationalen Veranstaltung machte ich sogar den Fremdenführer. Da viele
Engländer in dieser Gruppe waren, konnte ich, vor der Porta Nigra stehend, mir
nicht verkneifen darauf hinzuweisen, dass von hier aus einst Britannien regiert
wurde (‚From here we ruled Britannia‘). Die Stadt Trier oder die sie umgebende herrliche
Talaue waren jedes Jahr mehrmals das Ziel meiner Reisen, wenn ich zum Besuch
meiner Eltern und Geschwister oft von weither anreiste. Meistens kam ich im
Auto mit Frau und Kindern über Hermeskeil und war stets in Hochstimmung, wenn
ich über die Feller Talbrücke auf Longuich zusteuerte. Mehrmals kam ich auch
das Moseltal von Traben-Trarbach und Neumagen herauf, oder von Siers und Nennig
herunter. War ich allein, benutzte ich meist den Zug über Koblenz oder
Saarbrücken. Bei den Autofahrten durch das Moseltal machte ich öfters Halt bei
einem Winzer, um einige Flaschen Riesling einzukaufen. Der Longuicher Probstberg,
aber auch die Zeller Schwarze Katz und das Zeltinger Himmelreich kamen so ins
Schwabenland.
Erst im Ruhestand wurde die Stadt Trier wieder wichtig und interessant.
Es begann mit einem Besuch des bischöflichen Archivs. Dort befindet sich unter
anderem das Pfarrbuch meiner Heimatpfarrei. Leider enthält es nur Eintragungen
ab 1704. Die Vorgängerversion sollen Marlboroughs Soldaten mitgenommen haben,
als sie nach der Belagerung Triers durch mein in einem Seitental der Mosel
gelegenes Heimatdorf zogen. Aus den bei diesem Besuch handschriftlich kopierten
Dokumenten habe ich in den letzten 30 Jahren immer wieder zitiert. Ergänzen
möchte ich, dass für meine Heimatgeschichte die Trierer Archive nur einen
Teilaspekt wiedergeben. Ergiebiger war das Nationalarchiv in Luxemburg und das
Landeshauptarchiv in Koblenz.
Auf Trier wurde ich durch meine Reisen und die damit verbundenen
historischen Studien immer wieder gelenkt. Beispiele sind Ausonius
(310-394), der Lehrmeister und spätere Konsul des Kaisers Gratian, und
Honoratus (etwa 365-430), der Gründer des Klosters auf der Insel Lérin bei
Cannes. Über Ausonius gibt es einen Eintrag in diesem Blog. Der Bibliothekar
der Trierer Stadtbibliothek wurde zum nützlichen Helfer und zum kritischen
Gutachter einiger meiner Schöpfungen. Eine Arbeit, bei der ich mich mit der
Sprachgeschichte des Moselfränkischen auseinandersetzte, erhielt nicht seinen
Segen. Ich konnte sie nur privat veröffentlichen. In einem anderen Falle gelang es mir ihn auszubooten. Als ich zum
ersten Mal über Honoratus schrieb, hatte dies den Tenor, als ob ich der Diözese
Trier einen weiteren Heiligen andichten wollte. Der als Gutachter bestellte
Theologie-Professor der Uni Trier meinte, das Ganze sei sehr interessant aber
spekulativ, und lehnte ab. Ich fand anschließend eine von Laien herausgegebene
Trierer Zeitschrift, die den Beitrag [1] mit geändertem Titel annahm.
Schließlich befasste ich mich mit dem nach Karl Marx umstrittensten Sohn
Triers, Ludwig Kaas [2], dem ehemaligen Vorsitzenden der Zentrumspartei. Ich
kam auf ihn über meinen Großonkel Matthias Neyses [3], der von 1919 bis 1933
Reichstagsabgeordneter für das Zentrum war. Kaas hat es aus zwei Gründen mit
den Trierern verdorben. Er hatte Hitlers Zusagen für das Ehrenwort eines
Politikers gehalten und seine Partei überredet, dem Ermächtigungsgesetz
zuzustimmen. Als das damals zu Frankreich gehörende Saarland in Tholey eine frühere Benediktiner-Abtei wiederbeleben wollte, stimmte Kaas in Rom dafür, dass die
Mönche von St. Matthias dorthin zogen.
Von den vielen Trierer Kirchen will ich zwei hervorheben. Die Basilika
ist wirklich die ursprüngliche Palast-Aula (siehe zweites Bild), in der
Ausonius im August 379 seine Lobrede auf den 20-jährigen Kaiser Gratian hielt.
Vor rund hundert Jahren wurde sie ‚auf ewig´ vom preußischen König an die
Protestanten Triers vermacht. In St. Matthias, früher außerhalb der Stadt
gelegen (in Matheis am letzten, sagen die Eifler, wenn etwas sehr abgelegen
liegt), befindet sich das zweite Apostelgrab nördlich der Alpen, und die Gräber
der ersten Trierer Bischöfe Eucharius und Valerius. Sie wirkten in der Mitte
des dritten Jahrhunderts. Nicht so bekannt ist die reiche Witwe Albana, die
auch hier begraben liegt. In ihrem Hause trafen sich die frühen Trierer
Christen. Auf einer Säule im Klosterhof befindet sich die Entfernungsangabe für
die Jakobspilger. Es sind von dort noch 1395 Kilometer bis nach Santiago di
Compostella.
Als Großereignis der letzten Jahre gilt die Konstantin-Ausstellung im
Jahre 2007. Hiermit hatte sich das Rheinische Landesmuseum noch einmal in den
Blickpunkt gerückt. Monatelang strömten Tausende durch mehrere Trierer Museen
und bewunderten die vielen Hinterlassenschaften aus der Römerzeit, seien es
Mosaikböden, Skulpturen, Vasen oder das Neumagener Weinschiff. Andere
faszinierte die geschichtliche Rolle eines Kaisers, der zwar Trier verließ, um
Konstantinopel zu gründen, der aber dem Christentum zum Durchbruch verhalf.
Zum Schluss noch ein Hinweis, nicht ganz ohne Werbeabsicht. Auch einige
Trierer Buchhandlungen führen neben allen Bitburger Buchläden meine
heimatkundlichen Bücher. In ihnen sind auch alle meine Veröffentlichungen, die
Trier betreffen, enthalten.
Zusätzliche Referenzen:
- Endres,A.: Das Kloster Lérin bei Cannes und sein Bezug zur Stadt Trier. Neues Trierisches Jahrbuch 2001, 221-230
- Endres,A.: Ludwig Kaas und seine Zeit. Eine Erinnerung anlässlich seines 50. Todestages. Neues Trierisches Jahrbuch 2002, 95-109
- Endres,A.: Matthias Neyses - Reichstagsabgeordneter und Agrarpolitiker der Weimarer Republik. Kurtrierisches Jahrbuch 1999. 427-438
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