Donnerstag, 20. September 2012

Chinesen ante portas!

In der Vergangenheit standen immer wieder eroberungslustige Mächte mit ihren Truppen vor unsern Toren. Lange Zeit, d.h. etwa 50 Jahre lang, waren es die Russen. In der ehemaligen DDR hatten sie Fuß gefasst. Auf unserer Seite des Eisernen Vorhangs standen neben Engländern und Franzosen vor allem die Amerikaner. Was die Angriffe auf unsere wirtschaftliche Substanz betraf, gingen die Amis wesentlich sanfter vor als die Russen. Procter & Gamble kaufte Braun (das inzwischen an Di Longhi ging), John Deere kaufte den Traktorenhersteller Lanz, Owens-Illinois kaufte Gerresheimer Glas, Liberty Global kaufte Kabel-BW, usw. Fast haben wir es vergessen.

Das war ganz legal und ‚systemkonform‘. Mit Geld wurden Rechte erworben. Manchmal ließ man den Firmen den deutschen Namen, ließ auch das Management gewähren. Manchmal tauchten Aufpasser auf, so genannte Verbindungsleute. Neuerdings haben die Amerikaner kein Geld mehr und sind auf dem Rückzug. Auf einzelnen Sektoren engagieren sich die Russen mit Geld, etwa im Gasgeschäft.

Im Moment sind die Chinesen an der Reihe. Sie erwerben Firmen in allen Ländern der Welt, da ihnen Geld zum Hals heraus hängt. Es sind ungefähr drei Billionen US-Dollar. Sie können dieses Geld weder alles in China investieren, noch auf die Bank bringen. Banken zahlen kaum noch Zinsen und stehen im Ruf, Geld das man ihnen anvertraut, zu verspielen. Deshalb lässt man (d.h. die zentrale Planungsbehörde) seit einiger Zeit chinesische Firmen los, um anderswo zu investieren. Sie begannen in Asien und Afrika. Sie sicherten sich Rohstoffe und Nahrungsmittel. Mehr und mehr investieren sie auch in Europa.

Der Sender Arte scheint eine Nase für brisante Entwicklungen zu haben. Vor zwei Wochen ging es um die Investmentbank Goldman Sachs. Am Dienstagabend (am 18. September 2012) waren die chinesischen Käufe europäischer Firmen dran. Die Sendung hieß: ‚Die Chinesen kommen! Europas Rettung oder Untergang?‘ Beispiele, die gezeigt wurden, waren die Übernahme der schwedischen Firma Volvo durch Geely,  des französischen Werks von McCormick durch Yto und des griechischen Container-Hafens in Piräus durch Cosco.

Volvo ging von Ford an einen chinesischen Hersteller, dessen Autos in Crash-Test bisher sehr schlecht abschnitten. Volvo blieb selbständig, expandiert weltweit und baut in China gleich drei Fabriken. Der amerikanische Traktoren-Hersteller McCormick entschloss sich, das Werk in St. Dezier zu schließen, weil er den Forderungen der Gewerkschaften nicht nachgeben wollte. Yto ist ein Staatsunternehmen, das 100.000 Traktoren pro Jahr baut, mit einer 50 Jahre alten Technik. Man sicherte den Franzosen zu, 10 Jahre lang moderne Automatik-Getriebe zu bauen für die in China hergestellten Traktoren. Ein Bild im Film aus diesem Unternehmen spricht Bände. Der junge chinesische Ingenieur geht in schnellem Tempo durch das Werk, gefolgt von einem Dolmetscher und dem französischen Werksleiter, der Mühe hat Schritt zu halten. In Piräus erhielten die Chinesen eine Konzession, zwei von drei Terminals zu betreiben. Da die Gewerkschaften gegen die Übernahme protestierten, wechselte man das Personal aus. Gewerkschaften sind nicht mehr zugelassen.

Anders gestrickt ist die Zulieferungsindustrie für italienische Schuh- und Textilfirmen in der Umgebung von Venedig und Florenz. Die teuren Markenprodukte von Prada oder Chanel werden teilweise von den fast 40.000 (!) größtenteils illegal in Italien lebenden chinesischen Arbeitern gefertigt. Nicht erfolgreich, aber als neuen Versuchsballon anzusehen, war der Ausbau der Autobahn von Lodz nach Warschau in Polen. Ein der chinesischen Staatsbahn gehörendes Unternehmen unterbot alle europäischen Anbieter um rund 30% und erhielt den Zuschlag. Man begann das Projekt, brach es aber ab, weil man angeblich nicht mit den europäischen Normen zurechtkam.

In dem Bericht fehlte ein Beispiel aus Deutschland. Zumindest in der lokalen Presse Baden-Württembergs fand die gerade erfolgte Übernahme der schwäbischen Firma Putzmeister durch den chinesischen Konkurrenten Sany einige Aufmerksamkeit. Es ist dieselbe deutsche Firma, deren Betonspritzpumpen im Fukushima eingesetzt wurden, als man das Ausfließen von radioaktiv verseuchtem Wasser verhindern wollte. Auch hier versprechen die neuen Eigner ein tolles Wachstum auf dem Weltmarkt.

Es heißt, dass die Chinesen überall in strategisch wichtigen Bereichen wie Energie und Transport investieren. Das ist neben den Rohstoffen und Nahrungsmitteln, die bereits erwähnt wurden. Da die USA finanziell zu schwach sind und meist auch technisch nicht mehr mithalten, sind Chinesen oft die einzige Rettung für marode Firmen. Aber auch blühende Unternehmen, die im Weltmarkt wachsen wollen, fühlen sich stärker, wenn ihnen Chinesen helfen.

Einige Dinge wurden in dem erwähnten Film besonders herausgestellt. Die schwedische Firma Saab ging pleite, weil ihre Mutter General Motors gegen die Übernahme ihrer Tochter durch Chinesen war. Nach dem Konkurs fand sich jedoch eine chinesische Firma, die einige hundert Saab-Mitarbeiter beschäftigt, um jetzt Elektroautos in Schweden zu bauen. Im Falle des griechischen Container-Hafens gingen fast alle hoch geschätzten sozialen Errungenschaften verloren. Die Arbeitsbedingungen sollen sich massiv verschlechtert haben. Die griechische Regierung ist derzeit nicht imstande, sich mit einem chinesischen Investor anzulegen. Sie wurde von EU, EZB und IWF aufgefordert, auch den Rest des Hafens und dazu noch den Athener Flugplatz zu veräußern. Statt gegen Cosco protestieren Griechen jetzt lieber gegen Angela Merkel. Es ist ein Treppenwitz der Geschichte: Die Übernahme westlicher Privatfirmen durch die (angeblichen) kommunistischen Staatsbetriebe bedeutet sozialen Rückschritt um rund 100 Jahre. Karl Marx wird sich im Grabe umdrehen.

Um die Verhöhnung des Westens auf die Spitze zu treiben, durfte ein chinesischer Experte erklären, wo unsere Probleme liegen. Unsere Sozialsysteme seien antiquiert. Sie würden den Menschen demotivieren zu arbeiten. Eine tiefe Erkenntnis, vor allem wenn sie von einem asiatischen Sozialisten ausgesprochen wird.

Interessant ist, worüber wir uns gerade in Deutschland in den Haaren liegen. Wenn ich in die aktuelle Presse schaue, scheinen uns zwei Fragen besonders zu bekümmern: (a) wie kann man das Urheberrecht abschwächen, damit Halbstarke sich nicht so sehr aufregen müssen, wollen sie Musik im Netz klauen? oder (b) wie kann man die Unterschiede in den Einkommen durch staatlichen Eingriff verringern, damit die Masse der Leute sich weniger plagen muss? In Frankreich und Italien kämpft man noch für Arbeitszeitverkürzung und Frühverrentung. Rote Fahnen mit der Zahl 35 drauf liegen auch bei uns noch irgendwo hinten in den Schränken.

Das klingt fatalistisch, soll es aber nicht sein. Etwas Aufrütteln kann jedoch nicht schaden. Vor allem, wie wollen wir reagieren, wenn überhaupt? Noch sind die erwähnten Firmenübernahmen Einzelfälle.

PS; Das ist Nummer 200 der Beiträge zu diesem Blog. Ich hatte nie gedacht, dass ich so schnell diese Größenordnung erreichen würde.

5 Kommentare:

  1. Anecdote: Here in Oregon the price of nuts has drastically increased in the last year and availability decreased because the Chinese have come to believe in health benefits from them. Oregon is a large producer of nuts: walnuts, hazel nuts, and pecans. Future harvests are already under contract.

    This financial clout is an advantage that America sold to the Chinese over many years for cheap manufactured goods. The money has to go SOMEWHERE. I can easily imagine that they would like to invest in German firms.

    Calvin Arnason

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  2. Am 20.9.2012, 8:44 Uhr, schrieb Otto Buchegger aus Tübingen:

    Die echte Gefahr durch China besteht in meinen Augen in der militärischen Aufrüstung. Ich schaue fast täglich in die China View und stelle entsetzt fest, wie stark man jetzt das eigene Militär herausstellt. Das ist neu und bedeutet auch eine neue Qualität in der Rolle Chinas in der Welt!

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  3. Lieber Herr Buchegger - ich hoffe, dass China bedeutend weniger Gefahr fuer Deutschland verbirgt, als Russland verbarg. C.

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  4. Am 21.9.2012, 23:05 Uhr, schrieb Peter Hiemann aus Grasse:

    ich habe mir die Arte-Dokumentation angesehen und finde, dass die Zusammenfassung die ökonomischen Interessen chinesischer Investoren und die Beispiele der daraus resultierenden Situationen in europäischen Unternehmen treffend beschreibt.

    Für mich ist die Reportage eine Bestätigung meiner Ansicht, dass gesellschaftliche Krisen und nachfolgende gesellschaftliche Strukturveränderungen durch ökonomische Aktionen und nicht durch veränderte ethische Verhaltensweisen bedingt und geprägt sind. Es macht keinen Unterschied, welche Weltanschauungen Investoren repräsentieren. Alle werden ökonomische, finanzielle Zielsetzungen verfolgen. Eben auch Investoren aus China, die von staatlichen Institutionen gesteuert sind. Es ist eine von vielen ideologischen Legenden, dass Chinas diktatorische KP ausschließlich im Interesse seiner Bevölkerung agiert. Wie es auch eine ideologische Legende ist, dass die Vertreter 100% liberaler Finanzinstitutionen ausschließlich im Interesse der Bevölkerung einer demokratisch organisierten Gesellschaft agieren.

    Ich glaube nicht, dass Ihre Aussage zutrifft, dass die gegenwärtigen heißen Diskussionen hinsichtlich der Euro Situationen (vor allem in Spanien) sich um die Frage drehen, "wie kann man die Unterschiede in den Einkommen durch staatlichen Eingriff verringern, damit die Masse der Leute sich weniger plagen muss?".

    Es ist vielmehr frustrierend zu erkennen, dass weder das Wissen existiert noch ethische Prinzipien helfen können, wie rein ökonomischen Interessen verpflichtete Institutionen strukturell so verändert werden könnten, dass sowohl ökonomische als auch essentielle gesellschaftliche kulturelle Zielsetzungen befriedigt werden könnten. Ich habe den begründeten Verdacht, dass es sich bei der Möglichkeit von kooperativen, friedlichen und sozial gerechte Gesellschaftsordnungen in einer globalen Welt mit den unterschiedlichsten kulturellen Traditionen und Vorstellungen, um eine weitere illusionäre Vorstellung handelt.

    Wen könnte ich "aufrütteln", um meine Skepsis in Zuversicht zu wandeln?

    [Klarstellung und Reaktion (Bertal Dresen): Meine zitierte Bemerkung sollte auf Armutsbericht und Reichensteuer anspielen, nicht jedoch auf Eurokrise und spanische Banken. Schade, dass alle Kommentatoren nur die Ist-Analyse beschäftigt, aber keiner die Frage aufgreift, was man tun kann und soll]

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  5. Der Film 'Die Chinesen in Afrika', den Arte diese Woche zeigte, lässt das Phänomen der chinesischen Auslandsaktivitäten in etwas anderem Licht erscheinen.

    Der Film dauert 76 Minuten und spielt hauptsächlich in Sambia. Zu diesem Land habe ich insofern eine Beziehung, weil zwei Afrika-Missionare aus meiner Heimat dort ein Leben lang wirkten. Sie waren nicht nur entfernte Verwandte, sondern Altersgenossen meines Vaters. Alle paar Jahre kamen sie für einige Wochen nach Trier in das Mutterhaus des Ordens. Ich habe über sie in einem meiner Heimatbücher berichtet. Nur so viel: Beide waren Laienbrüder und befassten sich vorwiegend damit, europäische Methoden des Ackerbaus und der Viehzucht einzuführen, um auf diese Art die eigentliche Missionsarbeit wirtschaftlich abzusichern. Beide verließen Afrika vor 20 Jahren im Alter von rund 80 Jahren und starben in Deutschland.

    Der Film behandelte zwei Formen des chinesischen Engagements in Sambia. In einem Falle war es ein in seiner Heimat als abhängiger Landarbeiter lebender Mann, der mit Familie nach Sambia ausgewandert war. Hier war er selbständiger Agrarunternehmer. Seine Kinder gingen auf afrikanische Schulen, seine Frau half im Betrieb mit. Er besaß zwei Farmen, je 10-20 Hektar groß und wollte eine dritte kaufen. Er stand in dauerndem Kampf mit den einheimischen Landarbeitern, bei denen es in punkto Arbeitsmoral, Fachkönnen und Verlässlichkeit hapert. Es ist ein typisches Kolonistenschicksal, so wie es Europäer vor 200 Jahren überall auf der Welt erlebten. Er möchte seinen Kindern eine Existenz in Afrika verschaffen.

    Das zweite Engagement ist das einer chinesischen Baufirma, die ein Projekt zum Bau von 300 km Straße ausführt. Hier ist die sambische und die chinesische Politik involviert. Die Sambier wollen ihr Land entwickeln. Die Chinesen wollen an Kupfer und andere Bodenschätze gelangen. In Festreden wird die Win-Win-Situation beider Länder hervorgehoben.

    Zwei Anekdoten, die zum Nachdenken anregen. Der Siedler fragt seine Tochter, warum sie nicht Klassenbeste sei. Der sambische Bauminister ist beeindruckt, wie rasant chinesische Provinzstädte sich entwickeln. ‚Vor fünf Jahren, als ich zum ersten Mal hier war, waren hier nur Hütten. Jetzt sind es Hochhäuser‘ meint er. Die Provinzstadt hieß Xiamen und liegt gegenüber der Insel Taiwan.

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