Samstag, 24. November 2012

Billionen-Poker: Kommentar und Buchbesprechung

Dankenswerterweise hat Hartmut Wedekind das vom SPIEGEL gepriesene Buch der Autoren Fichtner und Schnidden mit dem Titel Billionenpoker kommentiert.

Dass er die Beziehungen eines Datenbankers zur Welt der Banker thematisiert, aber auch mit Shakespeare-Zitaten seinem Gefühl Ausdruck verleiht, habe ich bei dem Rezensenten nicht anders erwartet.

Lesen Sie hier, was er von dem Buch hält.


Am 29.11.2012 schrieb Hartmut Wedekind aus Darmstadt:

Zu meinem Beitrag „ MillionenPoker“ bin ich gefragt worden, was denn nun Spekulation eigentlich sei? Ein Spekulant ist ein Hasardeur oder ein Zocker sagt man auch.

Zur Begriffsklärung muss man ein wenig in die Modallogik hinein marschieren.

Wir kennen im Deutschen zwei Wörter für Möglichkeit. Einmal den Begriff „Möglichkeit“ beim Würfeln oder Lotteriespiel. Man setzt auf eine Zahl oder kauft sich ein Los und kann sich dann Möglichkeitsgrade, Häufigkeitsgrade oder Wahrscheinlichkeitsgrade des Gewinnens oder Verlierens ausrechen. Beim fairen Würfel ist, wenn ich auf eine Zahl setze, die Möglichkeit des Gewinnens 1/6, des Verlierens 5/6. Ein anders Wort für Risiko ist Verlustgefahr, die in unserem Fall 5/6 oder ungefähr 83% beträgt. Wenn einer so das Wort möglich in den Mund nimmt, spricht er im Modus der Möglichkeit des Gewinnens oder Verlierens.

Ganz anders ist die Sachlage, wenn einer plant, ein gewisses Ziel zu erreichen. Er geht praktisch zu Werke und plant eine Erreichbarkeit, indem er Mittel zum Erreichen des Zieles angibt. Wir sind jetzt im Modus der Erreichbarkeit, nicht mehr der Möglichkeit. Wenn der Planer sein Ziel auch noch aufgeben kann, um z.B. ein anders zu wählen, dann ist das Ziel aber trotzdem noch verfügbar. Erreichbarkeit und Verfügbarkeit sind praktische Begriffe. „Möglichkeit“ ist demgegenüber ein theoretischer Begriff. Der Planer kann etwas Praktisches. Der Zocker kann sich nur ein Los oder griechische Staatspapiere kaufen und hoffen, mehr kann es nicht.

Der Unterschied zwischen einem Planer und einem Zocker wird deutlich an dem gültigen logischen Schluss: „Alles, was erreichbar ist, ist auch möglich“. Das Umgekehrte: „Alles, was möglich ist, ist auch erreichbar“, gilt natürlich nicht. Das wäre schön und fast paradiesisch, wenn alles, was möglich ist, auch erreichbar wäre. Das gibt‘s nur im Märchen. Und gerade das Märchenhafte verführt die Menschen psychologisch zum Zocken oder Spekulieren. Das macht so richtig Spaß und hat Unterhaltungswert. Die Losverkäufer freut’s


3 Kommentare:

  1. Ungedeckte „Weltgeld“-Diktatur!

    Bei Kant steht in „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht“ (1784, S. 11) der folgende historisch, d.h. empirisch unwiderlegbare Satz: „[…] der Mensch ist ein Tier, das, wenn es unter anderen seiner Gattung lebt, einen Herrn nötig hat.“

    Was aber, wenn nun dieser „Herr“ beispielsweise eine durchaus nicht demokratisch zur Macht gelangte Rating-Agentur ist, die von außen „Herrschaft“ (z.B. Abwertung durch entsprechende Ratings) auf demokratisch legitimierte Regierungen ausüben kann? Dann liegt wohl eine undemokratisch zustande gekommene Weltherrschaft/-regierung des (ungedeckten) Mammons vor, die systematisch, d. h. hier sprachkritisch rekonstruiert, als „Weltgeld-Diktatur“ bezeichnet werden könnte.

    „Weltgeld“ ist wiederum folgerichtig der Name für das beliebig vermehrbare „Zockerkapital“. Mit diesem wird dann die Welt von einem unkoordinierten Weltfinanzsystem aus, vom unkontrollierten Weltbankensystem „zufällig“ – wegen nicht mehr durchschaubarer Komplexität, denn das „Bauchgefühl der Zocker“ reicht auch nur unwesentlich über ihren Verstand hinaus – überschwemmt. Und wer beherrscht das ganze diktatorisch? Richtig, die Rating-Agenturen.

    Eine mittelfristige Lösung dieses Missstands ergibt sich aus der Beantwortung folgender Frage: Wie ist Transsubjektivität „von unten“ systematisch möglich? Ja, mit dialogischer Logik (Regel), anpassungsfähigen (Resilienz) Organisationen und „zelebrierter“ Fairness (Ethik) bei allen Bürgern von frühester Jugend an. „Der Weg vom Bürgen zurück zum Bürger“ nennt das Paul Kirchhof in seinem neuen Buch „Deutschland im Schuldensog“ auf seine sanftmütige Art. Denn „Erziehung“ – die Lösung schlechthin – ist bei uns, nach der 1968er Katastrophe, immer noch ein verpöntes Wort.

    So weit so gut – doch das wird nicht so schnell zu machen sein, und ob die Verantwortlichen dranbleiben (ich meine hier den Lehrstand und den Politikerstand in ihrem jeweiligen Kerngeschäft), ist auch noch keine ausgemachte Sache.

    Erich Ortner, Konstanz
    Elisabeth Heinemann, Darmstadt

    PS: Bitte die unverstandenen Begriffe einfach in Wikipedia nachschlagen (und bei Gelegenheit gleich spenden). Dies hilft diesem freien (Welt-)Wissenswerk fundamental dabei, unabhängig, werbefrei und kostenlos zu bleiben. Die Demokratiebewegungen werden es Ihnen – auch zum Vorteil Ihrer menschenwürdigen Weltbürgerexistenz – gewiss danken.

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  2. Am 28.11.2012 schrieb Peter Hiemann aus Grasse:

    ich habe Wedekinds Kommentare zum Spiegel-Buch gelesen. Er scheint ja von den Entwicklungen und der Situation der globalen Wirtschaft schockiert zu sein. Ich bin mir nicht so sicher, ob er auch erschrocken ist, dass heutige reale ökonomische Prozesse nicht in den existierenden Modellen der Wirtschaftswissenschaft abgebildet werden. Vielleicht überdenkt Wedekind einige seiner grundlegendenden Überzeugungen. Ich denke nämlich, dass Wedekind nach wie vor der Meinung ist, dass Wirtschaftskreisläufe getrennt von gesellschaftlichen (sozialen) Verhältnissen modelliert werden können bzw. sollten.

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  3. Am 28.11.2012 schrieb Ullrich Fichtner aus New York:

    herzlichen Dank für Ihren Hinweis - und natürlich die profunde Rezension. Ich denke, Sie erfassen unseren Ansatz gültig: Es geht uns in der Tat darum, "erdrückende empirische Weltbreite" abzubilden, das Abstrakte, Verstreute zu einem Panorama aufzustellen, in dem sich auch ein Laie staunend bewegen kann. Sie haben's ja mit literarischen Verweisen, was mir als gelerntem Germanisten erst Recht gefällt, und deshalb verrate ich Ihnen mein journalistisches Credo: Ich folge der großen Einsicht von Immanuel Kant, "Begriffe ohne Anschauung sind leer" - und mühe mich also, sie zu füllen. Und natürlich muss es, für unsere Zwecke, populär sein, was manchmal hinderlich ist, andererseits aber zum genauen Nachdenken zwingt.

    Danke noch einmal für die Mühe und die eingehende Befassung mit unserem Buch, ich werde mich auch mit Herrn Schnibben über Ihre Kommentare austauschen. Ich freue mich, dass der "Billionenpoker" Sie zum Schreiben angeregt hat.

    Grüße, Ullrich Fichtner, DER SPIEGEL, New York Bureau

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