Sonntag, 7. April 2013

Abstraktionitis ohne Ende

Nach mehreren Beiträgen in diesem Blog hatte ich gehofft, das Thema Abstraktionen für eine Weile ruhen lassen zu können. Da es nach meiner Ansicht in der Informatik völlig überbetont und falsch dargestellt wird, wollte ich es mit einigen Klarstellungen bewenden lassen. Das hat jedoch bei einigen Informatikern unter meinen Lesern Widerstand hervorgerufen. Sie bemühen sich seither recht geduldig, meine Auffassung zu korrigieren. Die Diskussion ist zu wichtig, um sie im Kommentar-Modus zu führen. Wie immer ist die Gefahr groß, auf andere Themen abzugleiten. Das passierte,  ̶  wie Sie sehen werden   ̶  als ich unnötigerweise den Begriff Axiome ins Spiel brachte. Ich hoffe, wir kommen doch noch auf mein Thema zurück.

Am 6.4.2013 schrieb ich an Hartmut Wedekind in Darmstadt:

Sie haben neulich [im Kommentar vom 23.3.2013] recht leichtfertig   ̶  so meine ich   ̶   von der Abstraktion Zahl gesprochen. Ich glaube, ich verstehe auch, was Sie meinen. Sie haben mich getadelt, weil ich lieber mit Ziffern rechne. Es gibt dafür auch einen Grund, den ich Ihnen gerne verrate. Ich weiß nämlich sehr gut, wie man sie (inkl. ihrer Semantik) darstellt. Ich kann das auf Papier, mit Holzstäbchen, Kieselsteinen, Muscheln oder dergleichen. Allerdings tue ich es am liebsten mittels Ziffernrechnern, ob binär, biquinär oder dezimal spielt dabei keine Rolle. 

Falls nötig, so kann ich auch Axiome für die von mir durchgeführten Operationen aufschreiben. Ein Beispiel sind die von Herrn Peano angegebenen. Solche Axiome sind bekanntlich Göttersprüche, d.h. unbegründete Vorgaben. Das ist eigentlich etwas ganz Tolles. Ganz ungefährlich sind sie allerdings nicht. Das brächte uns in die Nähe der ach so berühmten Turing-Maschine, die bekanntlich nicht rechnen sondern nur Striche machen und löschen kann. Damit zu rechnen, fällt uns Praktikern auch 70 Jahre nach ihrer Erfindung noch schwer. Ob das wirklich nur an der zu geringen Mathematik-Ausbildung von Informatikern liegt,  ̶  wie dies einige Ihrer Kollegen vermuten  ̶  wage ich zu bezweifeln.

Haben Sie selbst vielleicht schon einmal Zahlenrechner gesehen oder berührt? In Gedanken vorstellen kann ich mir Vieles, z.B. Einhörner und Engel mit Flügeln auf dem Rücken. Nur sollten Sie mich nicht fragen, wie viele Engel auf eine Nadelspitze passen. Von einer solchen Frage wäre ich echt überfordert.

Noch am 6.4.2013 erhielt ich folgende Antwort:

Bloß konstruktiv sind Axiome  ̶  das sind implizite Definitionen  ̶  nicht gerade verboten, aber geächtet. Wie heißt es so schön: konstruktiv sein heißt, schrittweise vorgehen, dabei zirkelfrei bleiben und alles  explizit machen.

Der Streit "Axiome hin oder her" geht ja auf Hilbert und Frege zurück. Frege hat die Hilbertschen Axiome lächerlich gemacht und dann die Antwort erhalten: Ob ich einen Punkt oder Liebe, Gesetz oder Schornsteinfeger implizit definiere, ist doch gleichgültig. Hauptsache ich bin widerspruchsfrei.

Das ist der Punkt. (Implizite) Axiome müssen zur Lebenswelt keinen Bezug haben. Die Richtigkeit der Peano-Axiome hat der Lorenzen aber in seinem Buch "Differential und Integral" mit konstruktiven Mitteln bewiesen. Das geht also auch.

Darauf antwortete ich, ebenfalls am selben Tage:

Ich wollte nur wissen, wie Sie es schaffen mit Zahlen statt mit Ziffern zu rechnen. Anstatt auf meine Frage einzugehen, verweisen Sie auf einen Herrn Hilbert, der meint, dass für jedes Dreieck, auch eines zwischen Liebe, Gesetz und Schornsteinfeger, der Satz des Pythagoras gelte.


Am 7.4.2013 schrieb Hartmut Wedekind aus Darmstadt:

(1) Ziffern haben eine Farbe. Zahlen nicht. Ziffern kann man an die Tafel schreiben, Zahlen nicht.

(2) Worte, auch Begriffsworte (Prädikatoren), kann man an die Tafel schreiben, Begriffe nicht.

(3) In eine Richtung kann ich zeigen und sagen, daher kommt der Kaffeegeruch. Die Richtung selber ist geruchlos.

(4) Zehn-Euroscheine können schmutzig oder sauber sein. Der Wert ist nicht schmutzig oder sauber

(5) Einen Melodie (Tonfolge) kann tief in es-Dur oder hoch in fis-Moll gespielt werde. Bei gleichem Tonabstand bleibt die Melodie die Melodie, unverändert gegenüber Höhe und Tonart. Musiker wissen das. Das sind kluge Leute.

(6) usw.,usw.,usw.

Das Abstraktionsprinzip ist lebens-dominant, ob man will oder nicht. Wie kommt das? Wir vergleichen Gegenstände (ein Gegenstand ist, was uns entgegensteht und einen Namen tragen kann) und schauen darauf, dass die Gegenstände in einer b e s t i m m t e n Hinsicht gleich sind. Das ist der Punkt. Nicht umgekehrt, auf das Ungleiche schauen und das dann weglassen. Jeder Gegenstand hat  mit einem anderen unendlich viel Ungleiches. Das Weglassen hört also nicht auf, ist also Quatsch. Abstraktionstheorie als ein  Weglassen ist  Quatsch, aber gängige Praxis und beliebt. Köpfe, die durch Weglassen abstrahieren, sind demnach Quatschköpfe. Der Weglasser, der Quatschkopf, hört ja nie auf, weil er unendlich viel, schön immer nacheinander und übersichtlich, weglassen muss. Das dauert. Man spricht nicht von Quatsch in feinen Kreisen, man sagt Mythos.

Das ist ja gerade der erkenntnistheoretische Pfeffer herauszustellen, in welchen p a r t i k u l a r e n Hinsichten ein Gegenstand mit meinem anderen gleich ist. Und die b e s t i m m t e Hinsicht ist mir wichtig, um zu verdichten. Gäbe es nur einen Gegenstand, dann kann man nicht abstrahieren. Man braucht immer mindestens zwei. "In jeder Hinsicht gleich", das  wäre eine Identität, und die steht bei der Abstraktion nicht zur Debatte. Identität ist die schärfste Äquivalentrelation, die wir kennen. "formgleich", "tongleich" etc. sind dagegen harmlose Hinsichten der Gleichheit.

Eines der sonderbarsten Abstraktionen der Neuzeit ist übrigens das Mooresche Gesetz. Eine Verdoppelung alle 18 Monate findet statt, egal welche Vergangenheit vorliegt. Verdoppelt wird unverändert. Mal sehen, wie lange das noch klappt. In den Bauelementen scheint man am Ende zu sein. Die Parallelisierung soll es nun machen.

Organisations-Anthropologie im Zeitalter einer abstraktiven Informationstechnologie“ ist mein Thema in Konstanz (am 10.-11. Oktober 2013). Eine „abstraktive Informationstechnologie“, oder besser: eine lebensbreite Abstraktion ermöglichende Technologie, ist überhaupt der Pep an allem, was ums Mooresche Gesetz sich rangt. Wir können wirkungsmächtig, man kann auch realistisch sagen, wegen Moore jenseits von Raum und Zeit denken. Das ist ein Ding. Das konnten unsere Vorfahren nicht. Der Mensch bekommt ein Mittel in die Hand zu unglaublichen Abstraktionen. Denke ich an „Computing in the Cloud“ wird es mir ganz schwindelig. Verdichtende Abstraktion ist wirkmächtig, und wie. Das Wort realistisch muss vermieden werden.

Was ist Realität? Kein Mensch weiß das. Die Realität redet bekanntlich nicht, sie schweigt uns an. „Der Stuhl vor mir redet nicht“ sagte einmal ein Spaßvogel zutreffend. Wir erschießen uns das, was wir „wirklich“ (in der Welt) nennen, über Sprache  mit ihren Aussagen.  Aussagen sind wahr oder falsch. Erst wenn das geklärt ist, kann gesagt werden, was wirklich und was unwirklich( fiktiv) ist. Der Schritt von der Sprache mit ihren Aussagen (wahr, falsch, noch nicht entschieden) zu Sachverhalten oder „facts“ (wirklich, unwirklich oder fiktiv) der Wirklichkeit ist ein Abstraktionsvorgang. Wirklichkeit ist abstrakt. Sagen Sie das mal weiter. Die Leute springen wie verrückt im Viereck. Vor allen Dingen Politiker drehen durch, weil sie in eine ganz andere, dogmatische Redeweise hinein sozialisiert wurden. Politik ist sicherlich  kein Reflexionsfach. Nachgedacht über das, was man sagt und tut, wird nur selten. Wie könnte es auch anders „in Wirklichkeit“ sein? Abstraction is, although unknown, everywhere.

Vorläufige Antwort (Bertal Dresen):

Ich gebe Hartmut Wedekind bei allen Beispielen Recht. Nur glaube ich, dass dies alles an meinem Thema vorbeigeht. Meine Frage lautet (immer noch): Welche Rolle spielt die Abstraktion für den konstruierenden Ingenieur und damit für den praktischen Informatiker? Solange die Meinung vorherrscht, dass eine mathematisch-philosophische Betrachtungsweise ausreicht, können m.E. aus Deutschland keine Impulse erwartet werden, die das Fachgebiet Informatik technisch weiterbringen. Man müsste die Wolken der Abstraktion verlassen und ins Konkrete hinabsteigen.

Interessanterweise wird Wedekind demnächst in Konstanz nur von einer ‚Abstraktiven Informationstechnologie‘ sprechen und nicht von einer abstrakten Informatik. Das wäre nämlich ein Pleonasmus. 

Am 8.4.2013 schrieb ich (Bertal Dresen) an Hartmut Wedekind:

Ich hätte eine Bitte: Könnten wir statt in die Philosophie zu entfliehen, uns wieder näher in Richtung Informatik bewegen.

Redeweisen der Informatik

Fangen wir mit Ihrem ersten Beispiel an: Man kann dies doch erweitern und sagen: Ziffern und Worte kann ich außer an die Tafel zu schreiben auch in einen Rechner tun, Zahlen und Begriffe nicht. Was tue ich denn, wenn ich sage 'Ich rechne'  bzw ,der Computer rechnet' oder ,der Begriff x ist wie folgt definiert'? Müsste ich sagen 'ich tue so als ob ich Zahlen hätte, bzw.  'ich tue so, als ob ich rechne'.

Ich weiß, meine Art von Bauchschmerzen sind in der einschlägigen Literatur seit etwa 30 Jahren bekannt. Es erinnert mich etwas an die Diskussion zwischen John Searle und John McCarthy über das chinesische ZimmerIch weiß nicht mehr genau, wie McCarthy auf die Searleschen Zweifel reagierte. McCarthy hatte mich auch nicht sehr überzeugt. Die Diskussion ist heute bestimmt weiter. Den Bezug zum Geist-Seele-Problem hatte ich in diesem Blog schon mal angesprochen, speziell Hofstadters Position.


Begriff der Abstraktion

Ein Teil meines (Verständigungs-) Problems scheint in der Unschärfe des Begriffs ‚Abstraktion‘ zu liegen. Mindestens die zwei Fälle A und B gibt es.

(A) Gruppenbildung oder Mengenvereinigung

Fasse ich die Begriffe, die gleich vorkommen, einfach als Namen von Mengen auf, dann würde ich schreiben:   
                
            Obst = Äpfel υ Birnen υ Erdbeeren υ Weintrauben  υ ...

Abgesehen davon, dass ich Mengen als Gift für Informatiker ansehe, hätte ich folgende weitere praktische Probleme:

(1) Ich kann die Menge nicht annähernd genau definieren. Erstens gibt es verschiedene Äpfel-, Birnen- und Traubensorten, die sich laufend ändern. Zweites gibt es mehr Äpfel oder Birnen, als ich zählen kann. (Nur bei Eiern hat man mit der Nummerierung einzelner Produkte begonnen.) Drittes werden laufend neue Obstsorten gezüchtet oder importiert, etc. Um den Begriff Obst maschinell abzubilden, benötige ich eine Art von unendlichem Speicher. Das wäre früher eine harte Grenze gewesen. Heute ist es schon leichter, sich dem anzunähern. Wir haben nämlich bald mehr Rechner als Gehirne. Das Problem besteht m.E. egal, ob wir uns auf Schemata konzentrieren oder Instanzen miteinbeziehen.

(2) Ich habe es mit nicht vergleichbaren Größen zu tun. Mal ist es sinnvoll die Stückzahl anzugeben, mal das Gewicht. Oft ist das einzig Verbindende die Möglichkeit der Preisauszeichnung (in der Ortswährung). Bisher haben Informatiker, wenn es um komplexe Objektstrukturen ging, die Hände hoch geworfen. Es kann sein, dass das Thema ‚Big data‘ zum Umdenken führt.

(B) Entkörperung oder Vergeistigung

Beim Beispiel Ziffer – Zahl geht es nicht um eine Art von Mengenvereinigung, sondern um eine Veränderung der Substanz. Ich begebe mich von der Realität in die Welt der Ideen (von Poppers Welt 1 nach Welt 2 oder 3). Statt etwas zum Anfassen, Zählen oder Messen zu haben, kann ich nur noch Denken, Grübeln oder Träumen. Es geht aus dem Reich der Ingenieure in das der Philosophen und Mathematiker (siehe oben).
  
In beiden Fällen denselben Begriff zu verwenden, ist verwirrend. Ist aber normal. Quatschköpfe sagten Sie dazu. Ich weiß auch, wie schwierig es ist, neue Begriffe (nicht neue Worte) einzuführen. Manche Leute helfen sich, indem sie Suffixes einführen, etwa Abstraktion-1 und Abstraktion-2. Wie gesagt, Differenzieren hilft, selbst beim Abstrahieren.

Nachbemerkung

Es hilft nicht viel, wenn man nur sagt, so ist es halt. Die Frage ist, ob es nicht bessere Denkmodelle als die Abstraktion gibt. Mit besser meine ich, – voreingenommen wie ich bin – besser mit Maschinen handhabbar. Dass das Erbe der Alten Griechen nicht verloren geht, und dass Immanuel Kant nicht in Vergessenheit gerät, ist nicht primär mein Problem. Dafür sorgen genug andere.

Noch am 8.4.2013 antwortete Hartmut Wedekind:

Sie haben recht. Es ist bekannt: Das Wort „Abstraktion“ ist höchst widersprüchlich, insbesondere wenn man auf die Wortgeschichte (Etymologie) eingeht. „abstrahere“ heißt „abziehen“ und auch „weglassen“.In den Wissenschaften darf man auf Etymologie nicht viel geben.

Mein Lateinpauker vor 60 Jahren regte sich schon immer über das Wort „Offensive“ im Sinne von „Angriff“  auf. „Wer das Wort ins Deutsche gebracht hat, der konnte kein Latein“ jammerte er. Und in der Tat : Im Lexikon (Stowasser) steht: offensio, offensionis, f.  = Unfall, Widerwärtigkeit.

Also: Wortgeschichte ist etwas für Historiker und Lateiner. Früher habe ich mich in der Mathematik auch über „sinus“ (=Krümmung) und dann auch „cosinus“ aufgeregt. Das ist mir vergangen (wie die „Liebe“ zum Lateinischen überhaupt).

Am selben Tag antwortete ich:

... ich betrachte Geschichte und Linguistik nur als große Schutthaufen. In Schutthaufen werden Archäologen immer zuerst fündig  aber das führt schon wieder vom Thema weg!

Nachtrag am 9.4.2013:

Eine dritte Bedeutung des Begriffs Abstraktion steht in dem bekannten Lehrbuch des Kollegen Goos [1]. Sie lautet sinngemäß (Abstraktion-3)

Bei den Anwendungen der Informatik kommt es oft nicht auf alle Eigenschaften der betrachteten Gegenstände an. Wir konzentrieren uns dann auf gewisse gemeinsame Eigenschaften, die für uns in der jeweiligen Situation die Bedeutung der Gegenstände ausmachen. Das nennen wir die Abstraktion des Gegenstands. Mit dieser Definition habe ich keinerlei Schwierigkeiten. Sie ist konstruktiv und nützlich.

Zusätzliche Referenz:

1. Goos, G.: Vorlesungen über Informatik, Band 1, Heidelberg 1995, Seite 2



Nachtrag am 11.4.2013:

Obwohl weit über 100 Leser zwischen Chile und Kasachstan diesen Beitrag in weniger als drei Tagen gelesen haben, hat sich niemand bemüßigt gefühlt, dem Kollegen Wedekind zu Hilfe zu kommen. Obwohl er ein Berufsleben lang als Informatiker gearbeitet hat, bereitet ihm meine Frage (wie er mit Zahlen statt Ziffern rechnen kann) offensichtlich Schwierigkeiten. Ich möchte ihm dafür keinen Vorwurf machen. Da er vorwiegend an Hochschulen tätig war, musste er bisher wie ein Mathematiker denken. Das war man der ‚Wissenschaftlichkeit‘ seines Faches schuldig. Dass er außerdem noch an Philosophen und Linguistiker denkt, macht ihm die Sache nicht leichter.

Um die Diskussion trotzdem zu einem gewissen Abschluss zu bringen, gebe ich nachfolgend meine Meinung zum Besten. Mathematiker denken zwar viel über Zahlen nach, sie rechnen jedoch wenig, und wenn, dann mit möglichst kleinen Zahlen. Sie tun dies abstrakt und im Kopf (Bitte fragen sie mich nicht, wie). Informatiker und Ingenieure können nur analog (also mit Größen) oder mit Ziffern- und Zeichenfolgen rechnen. Sie tun dies konkret, entweder auf Papier, mit dem Rechenschieber oder mit Maschinen. Ingenieure vermeiden Zahlen, wenn es irgendwie geht. Sie zeichnen lieber.

Bekanntlich prägte Leopold Kronecker  (1823-1891) den Satz, dass nur die ganzen Zahlen von Gott seien, alles andere sei Menschenwerk. Ob er dabei Menschen mit Mathematikern gleichsetzte, ist mir nicht bekannt. Mathematiker kennen bekanntlich außer ganzen noch die reellen (d.h. rationale und irrationale), sowie die imaginären und komplexen Zahlen. Solange die Analogrechner, wie z.B. Rechenschieber, dominierten, gab es keine Probleme der Semantik. Diese kamen mit Digitalrechnern.

Digitalrechner manipulieren nur Ziffern- und Zeichenfolgen. Mit ihrer Hilfe werden Operationen ausgeführt, die den Effekt haben, als ob der Computer rechne. Dabei müssen erhebliche Klimmzüge vollbracht werden. Entweder baut man spezielle Hardware (so genannte Addierwerke), mit denen alle wichtigen Operationen nachgeahmt werden, oder man legt entsprechende Tabellen an.

Am leichtesten ist es mit den als göttlich bezeichneten Ganzzahlen. Dass sie nicht unendlich groß werden können, ist verkraftbar. Nur eine von Mathematikern erfundene Programmiersprache mit Namen ALGOL tat so, als ob sie mit reellen Zahlen rechnen könnte. Alle anderen Sprachen waren ehrlicher und boten nur Dezimalzahlen oder Gleitkommazahlen an. Imaginäre und komplexe Zahlen mussten simuliert werden. 

Man interpretiert oder behandelt Ziffern (fast) so als ob sie Zahlen wären. Man darf diese Tätigkeit daher Rechnen nennen. Es ist nicht nur üblich, sondern auch zulässig. Der Effekt eines Gleitschirms ähnelt bekanntlich dem von Adlerflügeln. Daher spricht man in diesem Falle auch von Fliegen. In beiden Fällen handelt es sich um Analogien oder Metapher. Ich begebe mich damit bereits hart an der Grenze zur Wortklauberei und lasse es dabei bewenden.

Die oben erwähnten Analogrechner zogen bekanntlich den Kürzeren. Man kann damit nicht alle (für Mathematiker) interessanten Probleme angehen, etwa die höchstmögliche Genauigkeit für die Kreiszahl π ermitteln, oder die größte aller Primzahlen finden. Mittels Ziffernrechnern kann man diese Probleme sehr intensiv studieren. Für Ingenieure haben andere Probleme Vorrang.

PS: Bitte um Verständnis, dass ich das Thema Abstraktionen im Moment nicht weiter vertiefen will.

1 Kommentar:

  1. Am 8.7.2013 schrieb Peter Hiemann aus Grasse:

    es ist vermutlich "normal", dass Menschen mit unterschiedlichen Denkansätzen unterschiedliche Ziele verfolgen. Und natürlich werden Sprache und Begriffe im Sinne von unterschiedlichen Denkansätzen und Zielsetzungen unterschiedlich gewählt bzw. interpretiert.

    Damit eine fortlaufende Kommunikation im Sinne von Luhmann zu neuen bzw. variierten "Ansichten" (Denkprogrammen) führen kann, ist Offenheit für unterschiedliche Ansichten unabdingbar. Letztendlich gilt es aber zu entscheiden, eine andere Ansicht zu verwerfen oder sie in ein existierendes Denkmodell zu integrieren.

    Ich verfolge die Diskussion über den Begriff "Abstraktion" aufmerksam. Ich denke, dass das menschliche Zentralnervensystem (ZNS) die Fähigkeit auszeichnet (gegenüber hochentwickelten ZNSs der Wirbeltiere), Symbole zu kreieren. Diese erwachsen aus Erfahrungen. Das Symbol "Obst" hat für einen Buschmann eine andere abstrakte Bedeutung als für mich. Das Symbol "Computer" hat eine andere Bedeutung für einen Informatiker als für einen Etymologen.

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