Immer dann, wenn von der Entwicklung des Menschen und der seiner
geistigen Fähigkeiten die Rede ist, taucht der Begriff der Kultur auf. Es
besteht offensichtlich eine Wechselbeziehung. Kultur kann sich nicht ohne
Menschen entwickeln und Menschen nur schlecht ohne Kultur. In der allgemeinsten
Form ist Kultur alles, was nicht Natur ist. Nur im Deutschen wird von der
Kultur die Zivilisation abgegrenzt. Manche Sprachen machen keinen Unterschied
zwischen beidem.
An sich ist das Wort Kultur völlig verbraucht. Es gibt keine Tätigkeit
des Menschen, die nicht als Kultur bezeichnet wird, angefangen von der Ess- und
Trinkkultur bis zur Wohn- und Gartenkultur. In den meisten der genannten Fälle
handelt es sich um Ausdrucksformen der Alltagskultur. Im Folgenden verwende ich
das Wort Kultur in einer sehr einschränkenden Bedeutung, die wir am ehesten mit
dem Begriff Hochkultur belegen würden.
Wie ich schon wiederholt sagte, kommt man am Differenzieren nirgends vorbei. Immanuel
Kant, von dem sich einige Kollegen immer noch oft leiten lassen, würde statt
differenzieren ‚attendieren‘ sagen. Wir müssen den Konkreta unsere
Aufmerksamkeit widmen, obwohl die Versuchung immer groß ist, in die Welt des Unkonkreten
und Unrealen zu abstrahieren.
Philippika eines Weltbürgers
Mario Vargas
Llosa (*1936 in Peru) gilt als führender lateinamerikanischer
Schriftsteller. Er erhielt im Jahre 2010 den Literatur-Nobelpreis. Sein
neuestes Buch trägt den Titel "Alles
Boulevard" (2013,
231 Seiten). Das spanische Original hieß übersetzt ‚Zivilisation des Spektakels`
(span. La civilización del espectáculo). Das bringt uns dem Inhalt erheblich näher.
Das Buch stellt eine zweiteilige Frage und wiederholt sie immer wieder:
Was meinen wir, wenn wir heute von Kultur reden, und wie stellt sie sich dar? Bei
der Beantwortung der ersten Teilfrage beginnt Llosa im Jahre 1948 mit T.S.Eliot (1888-1965). Seine Antwort erscheint uns bereits antiquiert: Kultur
verlange Elite. Massenkultur sei keine Kultur. Kultur werde durch Familie und
Kirche vermittelt, nicht durch die Schule. Diese mag Kulturwissen vermitteln.
Sie sagt (im Allgemeinen) nichts dazu, was das Leben lebenswert macht. Nach der
französischen Revolution habe in Europa in kultureller Hinsicht eine große Langeweile
(frz. grand ennui) eingesetzt. Sie führte zu dem großen Gemetzel der Weltkriege
und des Holocaust.
Eine modernere Antwort findet der Autor bei dem französischen
Philosophen Gilles Lipovetsky
(*1944): Kultur muss alle Kontinente und
Religionen einbeziehen. Sie darf nicht länger elitär, gelehrt und exklusiv
sein. Die Demokratisierung ̶
was immer das heißt ̶ ist
ein Muss. Demzufolge kann es nur eine Massenkultur sein. Sie hat ihren
Charakter verändert. Die Masse fühlt sich nur angezogen von Etwas, das Neues
und Abwechslung bietet. Kultur degeneriert zu Unterhaltung und Flucht. Es dominieren
Bilder (Film) und Töne (Musik). Das Internet wirbelt schließlich alle Medien durcheinander,
die für Kultur relevant sind. Die früher sehr wichtige Buchkultur wird marginalisiert.
Als Kulturschaffende gelten nach wie vor Künstler (Bildhauer, Maler,
Komponisten) und Literaten (Autoren). Hinzugekommen sind die Filmemacher. Die
Konsumenten treten oft als Touristen auf. Selbst der einfache Bürger verhalte
sich wie ein Snob. Bei einem Besuch in Paris hakt er Sehenswürdigkeiten, Kunst
und Gourmet-Essen (Eifelturm, Louvre und Escargots) geradezu ab.
Heute sehe man als Mainstream einer Kultur die Gebiete Film, Fernsehen
und Pop-Musik an. Bücher, Malerei und Bildhauerei gehören nicht mehr dazu.
Nicht-Pop-Musik, Gesang, Theater, Ballett und Tanz sind ebenfalls zu Randgebieten
geworden. Es werden kaum noch Werke geschaffen, die den Tod des Autors überdauern
sollen. Alles ist für den Konsum durch Heutige gedacht. Als Wert gelte der
Preis. Den bestimmt der Markt, nicht der Experte. [Die Entwertung des Begriffs Künstler ist kaum noch zu überbieten, seit
die Definition gilt, Künstler ist, wer sich für einen Künstler hält]
Wir haben eine Kultur des Spektakels. Die Medien bedienen vorwiegend
den Eskapismus. Nur Spaß zählt. Angeblich sollen nach der Lehman-Pleite
Fernseh-Teams darauf gewartet haben, dass ein Börsenmakler von einem Hochhaus
springt ̶ vermutlich nur ein Gerücht, aber ein bezeichnendes. Kunst-Kritiker
kämen sich vor, als ob sie versuchen aus einem Urwald eine hierarchische
Ordnung zu machen. In der Öffentlichkeit werden Köche und Modemacher stärker
wahrgenommen als die Literatur-Kritiker. Der Sport dient primär dazu, moderne Hordenbildung
(z.B. in Fußballstadien) zu fördern, statt den Geist zu bilden nach dem
klassischen Ideal des ‚Mens sana in corpore sano‘. Oft zähle Kasperei als Kunst. Man fühle sich von manchen modernen Künstlern auf den Arm genommen. [Vargas Llosa kennt ein Pariser Pissoir,
das als Kunstwerk verehrt wird. Ich habe bereits bei manchen Werken von Beuys
den Eindruck, dass mich jemand veräppeln will]. Frivolitäten und sexuelle Perversionen dienen als lohnendes Sujet. Der Journalismus
versteht sich als Unterhaltung. Skandale, Korruption und Katastrophen bekommen
die größte Aufmerksamkeit. Dass dies zur Politik-Verdrossenheit führt, sei kein
Wunder.
Einige Ursachen für die
Entwertung der Kultur
Die Verwässerung des Begriffs Kultur erfolgte in edelster Absicht. Schuld
waren die Ethnologen, die primitive Völker besuchten und beschrieben. Sie verwanden
für das Gesamtbild von Mythen, Sitten und Gebräuchen den Begriff Kultur. Eine Volkskultur,
in der nicht alles gleich ist wie in unserer Kultur, hat ein Recht so zu sein,
allein weil es sie gibt.
In Diktaturen, wie es sie leider überall auf der Welt gibt, wird die Kultur
korrumpiert, indem sie in den Dienst des Regimes gestellt wird. Viel schlimmer
ist, dass in vielen Demokratien die Situation sich umgekehrt darstellt. Das,
was dort heute als Kultur gilt, ist auf dem besten Wege die Grundlagen der
Demokratie zu zerstören. Vargas Llosa sieht den Ausgangspunkt für viele Probleme
im Mai 1968. Es wurden nicht nur alle bisherigen Autoritäten in Frage gestellt,
auch das staatliche Schulwesen wurde ausgehöhlt. Namhafte französische
Philosophen wie Baudrillard, Derrida und Foucault hätten dazu beigetragen, das
Vertrauen in die Kraft der Gesellschaft, ja in die Realität zu erschüttern. Es
fand eine weitgreifende Sinnentwertung statt. Kultur sei zu einem ungreifbaren
Phantom geworden. Sie sei nur noch Vorwand für den Kommerz, genauso wie das
Überleben als einzige Rechtfertigung des Lebens gehalten wird. Die seither
eingetretene sexuelle Befreiung habe zwar zu mehr Selbstbestimmung im Umgang
der Geschlechter geführt, sie habe jedoch die Literatur des Themas Erotik
beraubt.
Was Kultur leisten sollte
Vargas Llosa hält sich keineswegs zurück bei der Frage, was Kultur
leisten sollte. Eine Kultur müsste Antworten geben auf die ‚Rätsel, Fragen und Konflikte, die die
Existenz des Menschen umfangen‘. Die
Antworten müssen ernsthaft sein, verantwortlich und verständlich, nicht bloß
spielerischer Natur. Sie müssten den Dialog ermöglichen zwischen Vergangenheit
und Zukunft. Im Sinne einer Hochkultur müssen die Kunstwerke, die als
Meisterleistungen anerkannt werden, anspruchsvolle Werke sein, die nicht ohne
Anstrengung oder Begabung hergestellt werden können. Sie sollten Kompetenz zum
Ausdruck bringen. Sie sollten ein Gegengewicht darstellen gegen Frivolität,
Ignoranz und Oberflächlichkeit. Schließlich sollte Kultur zur Erziehung junger Menschen
beitragen.
Sehr beschäftigt den Autor die Beziehung zwischen Kultur und Religion.
Vielleicht ist das für einen Lateinamerikaner, der aus einer katholischen
Tradition stammt, naheliegend. Menschen aller Epochen und Regionen haben einen Gottglauben.
Sie erwarten ein Leben nach dem Tode. Es widerstrebt ihnen, den Menschen nur als kosmischen
Unfall anzusehen, so wie dies Albert Camus (1913-1960)
ausdrückte. Wir brauchen einen Glauben an Gerechtigkeit, und haben Angst vor der
Einsamkeit. Wissenschaft und Technik konnten bisher die Religionen nicht
auslöschen oder ersetzen. Inzwischen sei es als Irrglaube erkannt, dass
Vernunft, Wissenschaft und Kultur den Menschen auf die Dauer vom Aberglauben
befreien könnten. Religionen bedienen ein allgemeines Bedürfnis nach
Spiritualität und Transzendenz.
Er plädiert für eine strikte Trennung von Kirche und Staat. Wo dies
nicht geschieht, hat es eine freie, demokratische Gesellschaft schwer, sich zu
entwickeln. In fast allen Ländern ist die Säkularisierung geglückt außer in Saudi-Arabien und Iran. Das Beispiel eines ehemals islamischen Landes ist die
Türkei. Die Demokratie profitiere von der Religiösität ihrer Bürger. Die
ursprüngliche Botschaft des Christentums (Verzeihung, Brüderlichkeit) ziele in
diese Richtung. Schlimm ist jede Form der Repression, insbesondere wenn sie von
Kirchen ausgeübt wird, die sich dazu der Macht eines Staates bedienen. Auch Gewalt
zwischen Sekten ist schlimm, egal ob es sich um christliche oder islamische
Glaubensstreitigkeiten handelt. Auch wenn die großen Glaubensgemeinschaften einen
Schwund der Mitgliederzahl verzeichnen, der Anteil religiös sensibler Menschen
gehe nicht zurück. Das beweisen unter anderem die rund 1600 neureligiösen
Gruppen. Der Staat muss entweder alle verbieten, oder alle akzeptieren. Die
zweite Alternative sei die einzig vernünftige.
Versuch einer Ergänzung
Manchmal komme ich mir etwas arrogant vor, wenn ich mich traue, der
Aussage eines weltbekannten Autors meine eigene Meinung gegenüberzustellen. Dann
sage ich mir stets, dass ich alt und unabhängig genug bin, um mich blamieren zu
dürfen.
Nach meiner Meinung kommen wir nicht umhin zu unterscheiden zwischen d
e r Kultur und den Kulturen. Es ist nicht nur ambitiös, sondern illusorisch von
einer einheitlichen Weltkultur zu sprechen. Andererseits ist die Zeit vorbei, als nur nationale oder
ethnische Kulturen wert waren betrachtet zu werden. Heute muss man differenzieren nach Lebensbereichen. Das ist bei dem Wort Zivilisation
einfacher. Sie stellt primär eine regionale oder zeitliche Entwicklungsstufe
dar. Deutsche und französische Kultur sind klar unterscheidbar. Bei dem Wort
Zivilisation hingegen widerstrebt es, überhaupt die Mehrzahl zu bilden.
Wie ich in einem früheren Beitrag
ausgeführt habe, sind C. P. Snows berühmte zwei Kulturen in Wirklichkeit drei
Kulturen. Bei dieser Betrachtung liegt die Betonung auf der Haltung des
Menschen gegenüber der Natur. Durch die Differenzierung werden bewusst
Unterschiede deutlich gemacht, die von gewisser Seite am liebsten unterschlagen
werden. Es ist vor allem die ältere Gruppe, die gerne leugnet, dass sich etwas
Neues ergeben hat. Es wird Tausende von Gemeinschaften geben, in denen sich weltweit
verstreute Sprachgemeinschaften, Denkschulen, Fachinteressenten und Hobbyisten zusammenfinden.
Virtuelle Gemeinschaften hießen sie 1994 bei Howard Rheingold. Diese
Entwicklung ist nicht neu. Sie wird jedoch enorm beschleunigt und erleichtert.
Wie viele Intellektuelle vor ihm so neigt auch Vargas Llosa zu einer Glorifizierung
der Vergangenheit. Im vorangehenden Blog-Eintrag
wurde dargestellt, dass die Illusion der Gültigkeit und das Konstruieren
kohärenter und kausaler Geschichten über die Vergangenheit zu den kognitiven
Verzerrungen zählt, denen alle Menschen unterliegen. Nicht ganz so negativ wie
der Autor sehe ich das befürchtete Absinken des intellektuellen Niveaus der
öffentlichen Kommunikation. Ich kenne außer mir noch viele, die ohne Pop oder
Rap auskommen, sogar ohne Heidi Klum, Dieter Bohlen und die Bildzeitung. Einige
von ihnen haben sogar Einfluss auf die Jugend.
Nebenthema: Verunsicherung durch
neue Medien
Bei den vorangegangenen Bemerkungen deckten sich meine Auffassungen weitgehend mit denen des Autors. Das ändert sich bei einem Nebenthema. Die neuen Medien, allen voran das Internet, bewirken, dass die Welt
einerseits zum Dorf wird, sich aber andererseits immer mehr Gruppen absondern. Google,
Twitter und Facebook verändern das geistige Leben, so wie es der Buchdruck
einst tat ̶ da sind wir der gleichen Meinung. Die Frage, die Kinder stellen, ist berechtigt: Warum muss ich mir merken,
was ich nachschlagen (d.h. googeln) kann?
Wer die Qualität der Inhalte bedauert, ̶ wie dies der Autor tut ̶ verrät nur sein Unwissen. Das
Internet überträgt das Programm von über 4000 Radiosendern. Man kann die
Kunstwerke des Pariser Louvre und der Eremitage in St. Petersburg betrachten
und sämtliche Werke Shakespeares auf dem Handy lesen. An Hermann Höcherls
berühmten Ausspruch denkend, trage ich das Grundgesetz der Bundesrepublik mit
mir herum, außerdem die Bilder aller Bundestagsabgeordneten. Natürlich kann man auch viel Schwachsinn im Netz finden. Früher ̶
so sagte ein anderer kluger Zeitgenosse ̶
musste man meist nur einen Dorftrottel ertragen, jetzt ist jeder Trottel
auf der ganzen Welt vernehmbar. Man muss lernen zu selektieren und zu filtern.
Die einfachste Form heißt wegschalten oder löschen.
Es gibt natürlich Nebenwirkungen. Im Vergleich mit der Umweltverschmutzung,
die durch die chemische Industrie verursacht wird, oder der Zahl der durch den Autoverkehr
täglich zu Tode gekommenen Menschen, sind sie geradezu marginal. Man muss sich dennoch um sie kümmern. Auf andere Technologien zu verweisen, hilft nicht.
Die Revolution der Information ist ̶ wie der Autor bemerkt ̶ längst noch nicht abgeschlossen. Dass sie zur
‚Roboterisierung der Menschheit‘ führt, bezweifele ich jedoch. Es gibt hier
ebenso Happenings wie anderswo, die nur der Befriedigung von Neugierde dienen
(z.B. Wikileaks). Dass der Autor Angst vor E-Books empfindet, kann ich überhaupt
nicht nachvollziehen [Ich las seinen jüngsten Text als E-Book]. Dass Leser mit
papiernen Büchern gewisse sinnliche (d.h. haptische) Erfahrungen verbinden, ist
nichts Überraschendes. Schließlich verbinden wir mit dem Kutschenfahren andere
Gefühle als mit dem Autofahren. Reiten ist etwas anderes als Fahrradfahren. Die
meisten Menschen konnten sich über diese Gefühle hinwegsetzen.
Am 22.4.2013 schrieb Otto Buchegger aus Tübingen:
AntwortenLöschenBucheggers Kurzdefinition: Kultur ist bewährte Erfahrung.
Ebenfalls am 22.4.2013 schrieb Peter Hiemann aus Grasse:
AntwortenLöschenLlosa kritisiert die generelle Tendenz moderner Gesellschaften, sich an kurzfristigen Modeerscheinungen zu orientieren, anstatt sich um langfristige, Gesellschaftsstrukturen stabilisierende Werte zu bemühen. Llosa ist überzeugt, dass der derzeit zu beobachtende Verfall kultureller Verhaltensweisen der Situation entspricht, die sich in historischen Veränderungen des philosophischen Kulturbegriffs schon lange angedeutet hatte: „Es ist der traumatische Umzug in eine neue Wirklichkeit, in der kaum noch Spuren bleiben von jener, die sie verdrängt hat.“
Den Umzug in die Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts kann man auch anders interpretieren. Zum Beispiel damit, dass Individuen moderner Gesellschaften versuchen, dem Ziel näher zu kommen, das Immanuel Kant in einem Vortrag „Was ist Aufklärung?“ 1784 formuliert hat: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.“ Im selben Vortrag hatte Kant aber auch Gründe angegeben, die Individuen davon abhalten, mündiges Verhalten zu praktizieren: „Es ist so bequem, unmündig zu sein.“
Und da scheint der „Hund begraben zu sein“.
Vielleicht hat Llosa recht, dass es Philosophen zu leicht gemacht wurde, sich zu Vormündern aufzuwerfen, um die Freiheitsgrade des sogenannten Existenzialismus zu propagieren. Vermutlich aber unterschätzt Llosa die mächtigen ökonomischen und technologischen Einflüsse auf gesellschaftliche Verhaltensweisen. Auch auf die Verhaltensweisen und Vorstellungen von Philosophen, Literaten und Künstler.
Llosas Essays im Detail zu analysieren würde erfordern, eine moderne „Messlatte“ an dessen Aussagen anzulegen, die bei der Bewertung menschlichen Verhaltens zwischen verschiedenen menschlichen Wesensarten unterscheidet:
- dem biologischen Wesen in all seinen genetischen Varianten, vor allem hinsichtlich der Region der Geburt und den ererbten Talenten oder Handicaps.
- dem kulturellen Wesen in all seinen individuellen Varianten, vor allem hinsichtlich regionaler Traditionen, Erziehung in der Jugend und späteren wahrgenommenen oder nicht wahrgenommenen Bildungsmöglichkeiten.
- dem gesellschaftlichen Wesen in all seinen institutionellen Varianten, vor allem hinsichtlich der ökonomischen Angebote, die einem Individuum persönliche Entfaltungsmöglichkeiten eröffnen bzw. verschließen.
Ob die menschlichen Wesenszüge, die Llosa ins Blickfeld nimmt, ursächlich für seinen Kulturpessimismus sind, und ob Llosas Empfehlungen Chancen eröffnen, dem Geistesleben moderner Gesellschaften wieder zu mehr Sinn (in seinem Sinne) zu verhelfen, darf bezweifelt werden.
Es ist vermutlich plausibler, von modernen Eliten zu erwarten, dass sie ihrer Rolle gerecht werden, moderne ethische Grundsätze (z.B. UN-Menschenrechte, in Verfassungen garantierte Menschenwürde und Freiheitsgrade, neue ökonomische globale Regelungen) in den von ihnen repräsentierten Institutionen zur Geltung zu bringen. Das betrifft die Eliten aller gesellschaftlicher Domänen: Politik, Unternehmen, Wissenschaft, Medizin, Religion und Kunst.
Dass Künstler sehr individuelle Freiheitsgrade in Anspruch nehmen, war schon immer so und wird sich nicht ändern. Dass „Normalsterbliche“ Langweile oft mit banalen Tätigkeiten „totschlagen“, ist ärgerlich. Llosas hat keine Vorschläge, wie Langweile mit kulturell wertvoller Tätigkeit ausgefüllt werden könnte. Wichtig ist, dass sich „Normalsterbliche“ nicht so leicht für ideologische Zwecke einspannen lassen.
Und beinahe hätte ich vergessen zu erwähnen, dass den Ingenieurwissenschaften und der Informatik bei der Erschließung von Wissen durch Modelle (auch allgemein verständliche) und der Bereitstellung von Kommunikationskanälen eine wichtige Rolle bei der Gestaltung kulturell wertvoller Verhältnisse zukommt. Ob Llosa das auch so sieht, ist nicht zu erkennen.
Lieber Herr Endres!
AntwortenLöschenThis was very interesting. I especially was moved by the "Was Kultur leisten soll" section. Does one really only learn that in church and family? You might be right. I would hope that some of it is intrinsic to humans.
I am reminded of the quote wrongly attributed to Socrates that begins "Our youth now love luxury. They have bad manners, contempt for authority ..." that is used to weaken any general criticism of ones times by elders. It has always been clear to me that the Kultur of two different times and places IS often comparable and can be evaluated. And that Kultur can devolve - one needs only to observe our times. Or consider the incomparable creations of German music - if Bach and Beethoven were supernovas, what Lichtlein are working today?
Regarding the media, this morning I was just astounded at the fact that we in America have 24 hour per day news broadcasts on about 10 channels. All with a vanishing rate of information/hour. I cut the TV cable when my children were young. I would do much more than that if I were to be responsible for children again.
Thank you.
Calvin Arnason
Die Auffassung, dass nur Familie und Kirche für Kultur zuständig sind, wurde angeblich von T.S. Eliot vertreten. Vargas Llosa macht sich diese Meinung nicht zu eigen. Ich halte sie auch für antiquiert. Heute finanziert der Staat den größten Teil dessen, was als Kultur gilt.
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