Dirk Wittkopp (1959- ) ist seit November 2009 Laborleiter, genau
genommen Geschäftsführer der IBM Deutschland Research & Development GmbH mit Sitz in Böblingen. Er ist der erste
Informatiker mit Software-Kompetenz in dieser Position. Er trat 1986 in die IBM
ein. Dort war er unter anderem verantwortlich für die Entwicklung von Software
für die Finanzbranche. Sein Weg führte ihn danach über die IT-Beratung von
Zentralbanken in Osteuropa und Asien zur Entwicklung und Standardisierung von
so genannten Smartcards, wie sie heute vielfach bei Kreditkarteninstituten und
Behörden im Einsatz sind. Er verantwortete darüber hinaus den Aufbau der
europäischen Entwicklungsorganisation für den Geschäftsbereich Pervasive
Computing. Aus letzterem entstand die
bis heute marktführende Produktlinie WebSphere
Portal. Wittkopp
hatte an der TU Braunschweig Informatik studiert.
Bertal Dresen (BD): Sie leiten seit gut drei
Jahren das Böblinger Labor der IBM. Das vor 60 Jahren vorwiegend für die
Hardware-Entwicklung gegründete Labor hat heute seinen Schwerpunkt in der
Software. Fangen wir trotzdem mit der Hardware an. Mir erscheint es, als ob
Böblingen sich in einem sportlichen Wettkampf darüber befindet, wer die meisten
Prozessoren in einen Rack unterbringen kann. Täuscht das oder ist da auch
reales Geschäft dahinter? Welche technischen Probleme stellen zurzeit die größten
Herausforderungen dar (Energieverbrauch, Kriechströme, Kühlung,
Zuverlässigkeit, usw,)? Was wurde eigentlich aus der Cell Broadband Engine, die den Spielemarkt
revolutionieren sollte? Wie passt dies mit QPACE zusammen, einem
Supercomputer für das Forschungszentrum Jülich, der Tera-FLOPS-Leistung
erreicht?
Dirk Wittkopp (DW): Der Wettkampf um
Prozessoren pro Rack findet insofern statt, als die Performance des einzelnen
Prozessors mit heutiger Technologie nicht mehr in dem Maße zu steigern ist wie
in den letzten Jahrzehnten. Also entwickeln wir schon seit einiger Zeit
Multi-Core-Systeme mit möglichst vielen Prozessoren, um weiterhin die System
Performance steigern zu können. Die größten Herausforderungen dabei sind nach
meiner Einschätzung neben dem Platzbedarf die Kühlung und der Energieverbrauch.
Einer der vielen innovativen Ansätze dazu ist beispielsweise der Supercomputer SuperMUC des Leibnitz
Rechenzentrums in Garching, für den wir gemeinsam mit dem Forschungslabor in
Zürich eine neuartige, sehr effiziente Warmwasserkühlung entwickelt haben. Dabei
haben wir Erfahrungen mit dieser Kühlungstechnik aus dem QPACE-Projekt nutzen
können. Die Prozessor-Technologie in QPACE, die Cell Broadband Engine, steht
zur Zeit nicht im Fokus der Entwicklung.
Neben der
Prozessor-Entwicklung wird zur Zeit das Thema System-Architekturen wieder
interessant. Für viele besonders anspruchsvolle Anwendungen, z.B. bei der
intensiven Analyse großer Datenmengen aus der heutigen digitalisierten und
vernetzten Welt, reicht die Leistung der traditionellen Allzweck-Systeme nicht
aus. Deshalb entstehen momentan zunehmend hochintegrierte Spezial-Systeme oder
Leistungsbeschleuniger, die eine bestimmte Aufgabe besonders schnell abarbeiten
können. Auch im Böblinger Labor arbeiten wir an einem solchen System, dem DB2
Analytics Accelerator, der einem IBM Mainframe zur Seite gestellt werden kann
und Abfragen an einen großen Datenbestand um ein Vielfaches beschleunigt. Die
Herausforderung in diesem Kontext ist also weniger die Optimierung einer
einzelnen Hardware-Komponente, als eher die optimierte Integration geeigneter
Technologien für bestimmte Zwecke, sowie die Architektur des Gesamt-Systems.
Dazu gehört neben der Hardware auch die für den Zweck geeignete und ebenfalls
optimierte Software.
BD: Jetzt zur Software. Kristof Klöckner sprach in diesem Blog über
Cloud Computing, Karl-Heinz Strassemeyer über Linux und Mainframes;
außerdem gibt es noch VSE. Sie selbst hatten mit WebSphere zu tun. Wo liegen
heute die Schwerpunkte der Böblinger Software-Entwicklung? Was ist fachlich besonders
interessant, was zählt wirtschaftlich am meisten? Welche Rolle spielt die
Zusammenarbeit mit SAP aus Walldorf?
DW: Die Böblinger
Software-Entwicklung ist heute breit aufgestellt. Wir arbeiten inzwischen für
fast alle Divisions der IBM Software. Schwerpunkte sind Information
Management (DB2, Analytics, Data Warehouse Acceleration), Tivoli (Cloud
Services Orchestration, System and Storage Management), WebSphere (Business
Process Management, Enterprise Portals), Security (Internet Security Solutions,
XForce Report) und Industry Solutions (Finance, Smarter Planet Solutions). Dazu kommt noch die Entwicklung
von System-Software für die IBM Systems & Technology Group (Operating
Systems, Virtualization Software).
Darüberhinaus haben wir
einen neuen Arbeitsbereich im Böblinger Labor zum Thema Cloud Computing
geschaffen. Wir leisten wesentliche Beiträge zur Entwicklung des Cloud Service
Angebots der IBM, der sogenannten Smart Cloud Enterprise. Dieses Angebot der
IBM Global Technology Services Organisation ermöglicht es unseren Kunden, nach
Bedarf flexibel und schnell virtuelle Server und Storage aus der IBM Cloud zu
beziehen. Natürlich nutzen wir in der Entwicklung dafür die hauseigenen
Technologien und Komponenten aus der Software und der Systems Group.
Die Zusammenarbeit mit SAP
ist durch die Nähe zu Walldorf ein zusätzlicher Schwerpunkt. Wir stellen
sicher, dass SAP Software auf IBM Systemen optimal läuft, passen teilweise
unsere eigene Software für SAP an, und stimmen uns als Industriepartner
zusammen mit anderen Firmen für eine Vielzahl von Standards ab.
BD: Wenn Sie sich mit anderen Labors vergleichen, wo sehen Sie heute
die Stärken und Schwächen Ihres Labors? Ich denke dabei sowohl an den Vergleich
innerhalb der Firma als auch außerhalb. Was sind Ihre Vergleichsmaßstäbe? Ganz
früher waren es einmal die Kosten. Aber das ist lange her. Welche Rolle spielen
die neuen Entwicklungslabors der IBM in Indien, China, Israel, Polen und
Russland? Gibt es eine Zusammenarbeit, und wie funktioniert die?
DW: Die herausragende Stärke
des Böblinger Labors liegt in der Innovationskraft. Dabei geht es nicht nur um
wesentliche Innovationen in den einzelnen Produktlinien, sondern zunehmend um
die Entwicklung gesamtheitlicher Lösungen unter Nutzung und optimaler
Abstimmung aller Komponenten, vom Chip bis zur Anwendungs-Software. Nur wenige
IBM Labs weltweit sind dafür so gut aufgestellt wie das deutsche Team. Ein
weiteres wesentliches Element der Innovationskraft ist die Nähe zu Kunden. In
den letzen Jahren haben wir sogenannte Client-Facing Teams im Labor stark
ausgebaut und uns so in vielerlei Hinsicht mit unseren Kunden vernetzt, so dass
wir die Präsenz im starken deutschen und europäischen Markt für Innovation aus
Kundensicht nutzen können.
Natürlich sind Kosten ein
Standortnachteil für uns, vor allem im Vergleich zu dem neuen Labs in den
Wachstumsländern China und Indien. Auf der anderen Seite eröffnet uns dieses
globale Entwicklungsteam aber auch Möglichkeiten in vielen Projekten, die wir
allein nicht hätten. Die Zusammenarbeit der Labs ist ausgezeichnet und
funktioniert über globale Führungsrollen, sowohl im Management als auch in den
technischen Führungsstrukturen.
BD: IBM war immer besonders
stolz auf ihre großen Forschungslabors und ihre
Wissenschaftlichen Zentren. Der Transfer von der Forschung zur Entwicklung war
allerdings nicht immer ganz reibungslos. Bei Google erfolgt Forschung und Entwicklung angeblich in einem ‚hybriden‘
Ansatz. Ein Entwickler schiebt eine Forschungsphase ein, dann entwickelt er
weiter. Löst das die Transfer-Problematik? Ist der Eindruck falsch, dass heute
Apple und Google die eigentlichen Trendsetzer der Branche sind, nicht nur bei
Methoden, sondern auch bei Produkten und Dienstleistungen? Inwieweit betreiben
Sie eigene Forschung oder Grundlagenentwicklung in Böblingen? Wo kommen bei
Ihnen die guten Ideen her für das Geschäft der Zukunft? Wie weit geht Ihre
Eigenständigkeit innerhalb des
Unternehmens, z. B. bei der Auswahl von Projekten?
DW: Der Technologietransfer von
den IBM Research in die IBM Development Labs funktioniert sehr gut. Im Vergleich
zu früher arbeiten die Forscher und Entwickler
aber auch wesentlich enger in gemeinsamen Projekten zusammen. Neben der
echten Grundlagenforschung betreiben die Research Labs außerdem zunehmend auch
angewandte Forschung sehr nah am Markt. Die Development Labs wiederum
engagieren sich mit ihren innovativen Projekten an der
Technologie-Vorentwicklung. Dieses Modell hat sich für unser breites Produkt-
und Dienstleistungs-Portfolio und das große Spektrum zwischen
naturwissenschaftlicher Forschung und Lösungs-Entwicklung ausgezeichnet
bewährt. Ein Vergleich mit Apple oder Google ist aus meiner Sicht nicht
zielführend, da diese beiden Firmen mit ihren jeweiligen Geschäftsmodellen und
ihren Produkten und Dienstleistungen im wesentlichen im Consumer-Segment
positioniert sind. Für Business IT setzt IBM nach wie vor den Massstab in der
Innovation. Ein Indikator dafür ist die Anzahl der Patent-Neuanmeldungen.
Gemessen an US-Patenten, führt die IBM diese Rangliste seit nunmehr über 20
Jahren.
Ein weiteres besonders
eindrucksvolles Beispiel für erfolgreichen Technologietransfer ist für mich der
Watson-Computer. IBM Research hat dieses
bahnbrechende Analyse-System als Technologie-Showcase entwickelt, um die
Möglichkeiten zukünftiger Systeme im Kontext einer Alltagssituation aufzuzeigen,
analog dem DeepBlue-Schach-Computer, der im Jahr 1997 den damals amtierenden
Schachweltmeister Kasparov geschlagen hat. Das Watson-System ist im Februar
2011 gegen die zwei besten Kandidaten der US-Spielshow Jeopardy! angetreten und hat
gewonnen. Dabei musste Watson äusserst komplexe Fragen in natürlicher Sprache
(Englisch) analysieren und auf der Basis vorher „angelesener“ Texte, wie z.B.
Zeitungen und Lexika, in kürzester Zeit beantworten und zudem aus den richtigen
und falschen Antworten lernen. IBM Research konnte etliche bestehende Produkte
der IBM Software Group und natürlich ein System der IBM Systems Group
einsetzen. Der Analyse-Ansatz und die Lernfunktion waren jedoch Neuland. Die
neue Technologie wurde unmittelbar nach dem Showcase an die IBM Software Group
weitergegeben, die sie nun in enger Zusammenarbeit mit Kunden für den Markt
aufbereitet. Heute arbeiten Watson-Systeme bereits im Testlauf im
US-Gesundheitswesen zur Analyse von Behandlungsoptionen und im Finanzwesen zur
Analyse von Anlageoptionen. Dieses Beispiel zeigt für mich sehr schön die
Stärke unserer R&D-Struktur: Intensive Grundlagenforschung eines großen
weltweiten Teams über einen längeren Zeitraum hinweg, Einbindung bereits
existierender Produkte, Fokussierung der Forschung auf einen Meilenstein,
Übergabe an ein Produkt-Entwicklungs-Team und enge Zusammenarbeit mit
innovativen Kunden.
Im Böblinger Labor haben
wir übrigens an den Grundlagen für Watson mitgearbeitet. Unsere Data Mining und
Text-Analyse Experten haben die Integrations-Plattform für die Analyse
unstrukturierter Daten (UIMA – Unstructured Information Management
Architecture) mit entwickelt. Diese Plattform haben wir im übrigen im Sinne
offener Innovation als Open Source dem Markt zur Verfügung gestellt.
Die Eigenständigkeit,
innovative Arbeiten ausserhalb der eigentliche Produkt-Entwicklungsprojekte in
einem Labor wie Böblingen zu leisten, ist nach wie vor gegeben. Natürlich sind
dem schon rein aus Zeitgründen in der heutigen IT-Welt mit ihrem zunehmenden
Innovations-Tempo, der Breite der IT-Technologie und den schnellen
Entwicklungen im Markt enge Grenzen gesetzt. Aber mit dem richtigen Fokus,
unter Einsatz bestehender Technologie und mit Blick auf den Markt, können wir die
wichtigen Vorarbeiten für zukünftige Produkte leisten.
BD: Mit der Entwicklung ist ja
der Produktzyklus nicht beendet. Wie weit und in welcher Form unterstützen Sie vom
Labor aus den weltweiten Vertrieb Ihrer Firma? Welche Rolle spielt der
Technologietransfer heute? IBM hatte dabei früher nicht nur an Kunden gedacht,
sondern auch darüber hinaus. Ihre besondere Aufmerksamkeit galt z.B. den
Hochschulen. Sehen Sie es (noch) als nötig an, dafür zu werben, was die
Informatik als Fachdisziplin und Branche überhaupt leisten kann, sei es für
Gruppen in der Gesellschaft (Alte, Behinderte) oder die Gesellschaft als
Ganzes?
DW: Die Unterstützung des
Vertriebs aus dem Labor heraus war schon immer wichtig, hat aber in den letzten
Jahre zusätzlich stark an Bedeutung gewonnen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Zum einen war es schon immer ein
Grundsatz der IBM, nicht nur in den USA sondern global nah an den jeweiligen
Märkten zu entwickeln, um lokal mit hohem technischen Wissen Unterstützung für
Kunden leisten zu können und im Gegenzug Marktwissen in die Labs einfließen zu
lassen. Vor allem aus diesem Grund, nicht nur wegen niedrigerer Kosten, haben
wir neue Labs in den Wachstumsländern wie China und Indien gegründet. Das
Prinzip gilt natürlich auch für ein Labor wie unseres in Europa. Die Marktnähe,
neben Innovationskraft und erfolgreicher Projektdurchführung, wird aber im
Rahmen der Globalisierung deutlicher als ein Teil unserer Daseinsberechtigung
in Europa verstanden. Zum Markt gehören neben Kunden natürlich auch Business
Partner, Universitäten, private Forschungseinrichtungen, Industrie-Verbände,
und weitere Strukturen einer modernen Industrie-Gesellschaft.
Für uns in Deutschland ist
das ein klarer Standortvorteil. Es gibt weltweit kaum einen anderen so
diversifizierten, innovativen und erfolgreichen Markt wie bei uns. Wir haben
deshalb in den letzten Jahren das Böblinger Labor gezielt für die Interaktion
mit unserem Umfeld ausgebaut. Dazu gehört z.B. die Stärkung des Briefing
Centers, die Gründung bzw. Erweiterung von sogenannten Lab-Services-Teams für
Kundenprojekte, oder auch die zunehmende Zahl der sogenannten Lab Adcocates,
d.h. Entwickler, die neben ihrer normalen Arbeit über längere Zeit hinweg einem
Kunden als IBM-Labor-Ansprechpartner dienen.
Diese Tätigkeiten erlauben
es uns natürlich in hervorragender Weise, den Beitrag der Informatik bzw. der
Informations-Technologie zu den Herausforderungen der Wirtschaft und der
Gesellschaft aufzuzeigen. Die zunehmende Durchdringung nahezu aller Bereiche
unseres Berufs- und Privat-Lebens durch Informations-Technologie lässt aus
meiner Sicht heute mehr Menschen die Bedeutung der Informatik erkennen. Dennoch
glaube ich, dass wir erst am Anfang dieser Entwicklung stehen. Die dramatischen
Veränderungen durch die schnell voranschreitende Digitalisierung der Welt
werden noch nicht von Allen erkannt. Insofern müssen wir als Informatiker oder
IT-Ingenieure weiterhin unseren Beitrag leisten, über die Chancen und
Herausforderungen der Digitalisierung zu informieren.
BD: Wie Manfred Roux in seinem Interview in diesem Blog einräumte, ist es heute
das primäre Ziel der IBM-Hochschulkontakte, Kenntnisse über IBM-Produkte zu
verbreiten und Nachwuchs zu gewinnen. Sollte IBM ̶ oder die
Industrie ganz allgemein ̶ nicht auch an Forschungsergebnissen
interessiert sein? Angeblich scheitere dies daran, dass die Industrie nicht verstünde,
was Informatik sei und was die hochschulbasierte Forschung überhaupt bringen
kann. Ersteres dürfte bei Ihnen nicht zutreffen. Haben Sie konkrete Erfahrungen
aus der Zusammenarbeit? Wie groß ist der Graben zwischen Hochschule und
Industrie, was die Rolle der Forschung betrifft? Steht der Zwang zur Publikation
immer im Konflikt zur Sicherung von
Erfindungen? Was können Hochschulen besser als die Industrie, was die Forschung
anbetrifft? Was nicht?
DW: Natürlich wollen wir über
unsere Hochschulkontakte weiterhin Nachwuchs gewinnen und IBM-Technologie und -Dienstleistungen
bekannt machen. Der Transfer von Forschungsergebnissen der Hochschulen in die
Industrie gewinnt aber aus meiner Sicht an Bedeutung. Ein besonderer Grund
dafür ist, dass sich Hochschulen hervorragend als neutrale Plattformen für die
Zusammenarbeit verschiedener Industriepartner anbieten. Ein wesentlicher Aspekt
der Digitalisierung der Welt ist, dass Innovationen nur über enge Kooperation
der IT-Anbieter und -Anwender entstehen. Ein anschauliches Beispiel ist etwa
der Automobil- bzw. Mobilitäts-Sektor. Nicht nur dass moderne Fahrzeuge ohne
ein hohes Mass eingebauter IT inzwischen unvorstellbar sind, sondern vor allem
die zunehmende Vernetzung der Fahrzeuge in eine effiziente, aber auch komplexe
Mobilitäts-Struktur erfordert gemeinsame Innovationen der Hersteller, der
Zulieferer, der Dienstleister, sowie der IT-Anbieter. Die Anwender-Industrie
erkennt dabei zunehmend die Bedeutung der Informatik und intensiviert die
Zusammenarbeit mit Hochschulen im Bereich IT. Diese bieten vor allem junge,
interessierte Menschen, die in der heutigen digitalisierten Welt aufgewachsen
sind, und die im Rahmen ihres Studiums und mit den Möglichkeiten ihres Instituts wichtige Beiträge zur anwendungsorientierten Innovation leisten können.
BD: Karl Ganzhorn, der inzwischen 92 Jahre alte Gründer und erste
Leiter des Böblinger Labors, hatte sich 1972 mit einer Denkschrift an die
Bundesregierung für die Einrichtung des Informatik-Studiengangs stark gemacht. Sie
selbst haben diese Ausbildung genossen. Hat sich das Berufsbild des
Informatikers gefestigt? Wo würden sie gerne Änderungen bei der Ausbildung
sehen? Ist die Betonung von Allgemeinwissen und Grundlagen wichtiger als
berufliche Bildung? Neulich schrieb ein amerikanischer Kollege, dass jemand, der ein
halbes Jahr bei Google oder Apple war, besser weiß, was Informatik ist, als
wenn er vier Jahre in Harvard oder Stanford studiert hätte. Entspricht das nicht
der deutschen Erfahrung mit den Dualen Hochschulen, den früheren
Berufsakademien? Was halten Sie davon, dass der Master der Regelabschluss für
Informatiker werden soll? Sollte sich die Industrie auch über
Ausbildungsinhalte Gedanken machen? Wie finden Sie Bewerber, die außer Begabung
auch Kreativität und Leidenschaft für ihren Beruf besitzen? Sind die von IBM propagierten
‚Talent Clouds‘ mehr als nur eine Verkaufsmasche?
DW: Wie schon oben beschrieben,
hat sich aus meiner Sicht das Berufsbild des Informatikers weiter entwickelt.
Es geht heute und in Zukunft nicht mehr nur um den Entwurf und Betrieb eines
„Rechenzentrums“, das im Hintergrund, für die meisten Menschen unsichtbar,
irgendwelche Dienstleistungen unterstützt. IT ist heute ein Teil des Alltags
geworden und dadurch sehr viel sichtbarer als zu der Zeit, als ich
Informatik studiert habe. Allerdings bleibt es eine Herausforderung, junge
Menschen dafür zu interessieren, wie die moderne Technologie funktioniert, und
nicht nur, wie man sie benutzt. Wie für jede komplexe, hochentwickelte
Technologie gilt für die IT und das Fach Informatik, dass es einer
anspruchsvollen Grundausbildung in Methoden bedarf, und einige Monate Arbeit in
einem IT-Unternehmen allein noch keine ausreichende Grundlage für die
professionalle Ausübung eines IT-Berufs darstellen.
Auf der anderen Seite ist
nicht zu unterschätzen, wie rasant schnell sich die IT-Anwendungen und auch
IT-basierte Geschäftsmodelle weiterentwickeln, was nur durch frühzeitige
Mitarbeit in einem Unternehmen zu erfahren ist. Zu diesem Umfeld gehören für
mich aber nicht nur die bekannten großen Firmen, sondern auch die zunehmend
breitere Landschaft an IT-Startups, vor allem Firmengründungen direkt aus der
Hochschulzeit heraus. Diese Kombination, anspruchsvolle methodische Ausbildung
der Grundlagen der Informatik und frühzeitige Anwendung dieses Wissens auf
IT-basierte Lösungen mit einem Geschäftswert in der realen Welt, sollten wir
fördern. Die Dualen Hochschulen sind
durchaus ein guter Ansatz in diesem Sinne.
Insgesamt bleibt die
Gestaltung der Ausbildungsinhalte sicher eine Herausforderung, vor allem weil
die Breite der Themen in der IT zugenommen hat. Eine zu starke Spezialisierung
halte ich allerdings nicht für sinnvoll, damit ganzheitliches Denken erhalten bleibt.
Wenn man dann in der Informatiker-Ausbildung noch Themen wie z.B.
Projekt-Management, Arbeiten in globalen Teams, Qualität, Zuverlässigkeit und
Sicherheit von IT-Systemen, Datenschutz, anwendungsgerechtes Design,
Benutzer-Akzeptanz, und vieles mehr unterbringen möchte, wird die Zeit knapp.
Das einzige wesentliche Optimierungspotential in der heutigen Informatik in
Deutschland ist nach meiner persönlichen Erfahrung der hohe Anteil an
Mathematik. Da die deutsche Informatik mehr aus der mathematischen Tradition
hervorgegangen ist (im Vergleich z.B. zu der mehr Ingenieurs-orientierten
Computer Science in den USA), ist der Mathematik-Anteil im Grundstudium im
Hinblick auf die spätere Praxisorientierung aus meiner Sicht zu hoch und für
den einen oder anderen prinzipiell Technik-Interessierten potentiellen
Informatik-Studenten, der analog der obigen Aussage „ein halbes Jahr bei Google
oder Apple“ etwas in der IT bewegen möchte, eher nicht motivierend.
Mit einem guten Mix aus
fundierter Grundlagenvermittlung, Nähe zur Praxis in den Betrieben und
Unterstützung eigener unternehmerischer Ideen, sollte das Informatik-Studium
mehr junge Menschen in Deutschland anziehen. Wie oben schon gesagt, bin ich
persönlich überzeugt, dass wir erst am Anfang der Möglichkeiten in der IT
stehen. Es gibt noch viel zu tun und zu entdecken.
BD: Herr Wittkopp, haben Sie
herzlichen Dank für die ausführliche Beantwortung meiner Fragen. Ich bin
sicher, dass vor allem Kolleginnen und Kollegen an den Hochschulen einige
Anregungen erhalten werden.
Am 3.4.2013 schrieb Otto Buchegger aus Tübingen:
AntwortenLöschenWar interessant! Danke!
Die IBM macht einen ganz großen Fehler bei der Vergabe der Diplomarbeiten, wurde mir von einem FH Professor mitgeteilt: Man darf sie nicht veröffentlichen! Deshalb lehnen viele die Zusammenarbeit mit der IBM ab.