Der SPIEGEL hat diese Woche die Diskussion um das Ausspähen
der Bürger um zwei neue Informationen bereichert. Die US-Botschaft in Berlin
besitzt technische Einrichtungen auf
ihrem Dach, die gemeinsam von NSA und CIA genutzt werden. Außerdem hat das
Weiße Haus eingeräumt, im Handy von Kanzlerin Merkel seit 2005 einen Trojaner
platziert zu haben. Die Reaktion in der Öffentlichkeit, also in den Medien, hat
unterschiedliche Formen angenommen. Auch der neue Bundestag wird das Thema auf
seine Tagesordnung setzen.
Fernsehdiskussion
Ich gebe im Folgenden nur einige der Meinungen wieder, die am Sonntagabend in der Sendung von Günter Jauch zu Wort kamen. Auch sie sind nicht uninteressant.
Fernsehdiskussion
Ich gebe im Folgenden nur einige der Meinungen wieder, die am Sonntagabend in der Sendung von Günter Jauch zu Wort kamen. Auch sie sind nicht uninteressant.
Ex-Botschafter Kornblum: Was die NSA tut, ist dumm. Sie
überschreitet die Grenzen des Anstands im Umgang mit Partnern. Über das, was
während seiner Amtszeit in der US-Botschaft in Bonn geschah, darf er nichts
sagen. Das verbietet ihm sein Diensteid. Was jetzt in Berlin geschieht, davon
weiß er nichts. Snowden hat seine Geheimhaltungsverpflichtung gebrochen. Auch
in Amerika gibt es Prozeduren, wie man im Falle eines Gewissenskonfliktes
vorgeht, ohne zum Verräter zu werden. Die Deutschen sollten sich nicht nur als
hilfloses Opfer sehen. Ganz hoffnungslos ist die Situation noch nicht.
CDU-Abgeordneter Bosbach: Die amerikanischen Geheimdienste
scheinen eine 100% Erfassung und Speicherung des weltweiten Daten- und
Telefonverkehrs anzustreben. Unsere Geheimdienste arbeiten immer lokal
begrenzt, etwa in Afghanistan.
SPIEGEL-Reporter: Die USA sammeln Unmengen an Information,
um sie als politische oder wirtschaftliche Waffe zu nutzten. So kannte die
amerikanische UN-Botschafterin die interne französische Diskussion über Libyen,
ehe es zur Abstimmung im Sicherheitsrat kam. Alle Botschafter der USA freuen
sich über das gute Briefing über das Gastland, das sie vor Amtsantritt in der
NSA-Zentrale in Fort Meade bekommen.
Schriftstellerin July Zeh: Man solle nicht nur die
Amerikaner und Engländer als Bösewichte hinstellen. Was die heutige Technik
allen Unternehmen, Ganoven und Spionen erlaubt über die Privatsphäre einzelner
Personen zu erfahren, ist unglaublich. Das gab es noch nie. Die Grundrechte der
Amerikaner sind genauso bedroht wie unsere. Bei konventionellen und atomaren
Waffen kam es irgendwann zu Abrüstungsgesprächen. Im Cyberwar sind noch alle in
der Aufrüstungsphase. Zu verlangen, sich immer besser gegenseitig abzusichern,
ist ähnlich als wenn nur noch gepanzerte Autos auf die Straßen dürften.
Ranga Yoshewar: Er war erschüttert, als er hörte, was man
über seine Gesprächspartner erfahren kann, wenn er sein Handy nicht-eingeschaltet
in seiner Tasche bei sich führt. Er bedauert, dass Europa das ganze Geschäft
der Telekommunikation und des Internets an amerikanische Firmen verloren hat.
Beispiele waren Skype, das an eBay ging, und Nokia, das jetzt zu Microsoft
gehört. Nicht einzelne europäische Länder sollten mit Facebook und Google
verhandeln, sondern 28 EU-Länder gemeinsam (Nur zur Erinnerung: In Deutschland
verhandelt Schleswig-Holstein mit Facebook). Außerdem sieht er ein großes
Geschäftspotential für europäische Unternehmen, indem sie Cloud-Dienste
anbieten, die unsere deutschen Datenschutzbedingungen erfüllen.
Andere Meinungen
Andere Meinungen
Dem Nachrichtendienst Golem gab Hartmut
Pohl, der Sprecher des Präsidiumsarbeitskreises Datenschutz und
IT-Sicherheit der Gesellschaft für Informatik (GI) diese Woche ein Interview. Darin heißt es:
Pohl geht davon aus, dass die
Sicherheitsbehörden in Deutschland wissen, dass alle Personen in der
Bundesrepublik Deutschland vollständig abgehört werden. Dazu würden
Telefongespräche per Festnetz oder Mobiltelefon vollständig gespeichert. Auch
alle Dienste im Internet würden gespeichert und könnten entsprechend
ausgewertet werden, womöglich auch sofort. ... (Es) hören alle Staaten ab, die
es sich finanziell leisten können.
Meine Reaktion auf die aktuelle Phase der Diskussion war: Mir
kommt es etwas komisch vor, dass jetzt alle Experten Schadenfreude zeigen.
'Ätsch, wir haben es Euch doch gesagt'. Am Anfang der Snowden-Affäre schrieb
ich in diesem
Blog, man solle jetzt nicht gleich alle Zahlungen an Sicherheitsexperten
stoppen. Eigentlich müsste dies die Frau Merkel für ihre 'Experten' tun. Da
waren Stümper am Werk. Die NSA folgt eigentlich nur der Hacker-Ethik. Sie macht
Nutzer von Informatik-Produkten auf ihren Leichtsinn (oder ihre Dummheit)
aufmerksam. Hacker rechnen sich das stets als gute Tat an.
Hinzufügen möchte ich, dass ich keineswegs die Ansicht vertrete, dass das Bild eines
einsamen Hackers ausreicht, um die NSA zu erklären. Ihre Macht und ihr Effekt
sind erheblich größer. Die folgenden Überlegungen sind jedoch nicht ganz von
der Hand zu weisen: Die NSA war nach 9/11 unter enormen Druck der US-Regierung,
um Erfolge zu liefern. Sie bekam Geld und Rechte. Sie probierte alles Mögliche
aus. Man war möglicherweise selbst erstaunt, was alles funktionierte. Statt in
Ruhe (also über Jahrzehnte) aussortieren zu können, was man auf Dauer davon
braucht, hat Snowden sie bloßgestellt. Jetzt müssen sie überhastet das Meiste
wieder einstellen. Der Regierung gefällt das gar nicht.
Die NSA hat Hacker angeheuert und deren Methoden einfach
übernommen. Man glaubt sich im 'Cyberwar' zu befinden. Dass der Begriff
`Krieg' im Denken der Amerikaner schneller akzeptiert wurde als bei uns, dafür sorgte der letzte republikanische Präsident. Wenn die Europäer das alles nicht so sehen, muss man das einer gewissen
Naivität oder ihrem moralischen Dünkel zu Gute halten. Ob die ‚alten Europäer‘
jedoch noch die Kurve bekommen werden, ist fraglich. So interpretiere ich das Verhalten der
Amerikaner.
Nachtrag vom 21.12.2013:
Ich hatte einen in Datenschutzfragen bewanderten Juristen (Kollegen A. Rossnagel) gefragt, ob ihm der Begriff 'Privatsphäre' keine Schwierigkeiten bereite. Hier seine Antwort:
Der Begriff der Privatsphäre wird in der Informatik, im Recht und z.B. in der Soziologie recht unterschiedlich benutzt. Im Recht hat er einen relativ kleinen Bedeutungsbereich. Bei Schutz gegen Persönlichkeitseingriffe (insb. gegen Presse) steht er zwischen Intim- und Öffentlichkeitssphäre und bezeichnet einen Bereich, in den die Presse nur nach einer Abwägung am Maßstab der Verhältnismäßigkeit eindringen darf. Im Datenschutz ist der Begriff spätestens seit dem Volkszählungsurteil 1983 überholt, weil es für das Schutzgut des Datenschutzes nicht auf eine räumliche Sphäre ankommen darf. Auch Daten aus der Sphäre öffentlicher Tätigkeit können schutzwürdig sein. Als treffender hat sich der Begriff der informationellen Selbstbestimmung erwiesen, weil er besser gegen die Risiken der elektronischen Verarbeitung der Daten schützt.
Nachtrag vom 21.12.2013:
Ich hatte einen in Datenschutzfragen bewanderten Juristen (Kollegen A. Rossnagel) gefragt, ob ihm der Begriff 'Privatsphäre' keine Schwierigkeiten bereite. Hier seine Antwort:
Der Begriff der Privatsphäre wird in der Informatik, im Recht und z.B. in der Soziologie recht unterschiedlich benutzt. Im Recht hat er einen relativ kleinen Bedeutungsbereich. Bei Schutz gegen Persönlichkeitseingriffe (insb. gegen Presse) steht er zwischen Intim- und Öffentlichkeitssphäre und bezeichnet einen Bereich, in den die Presse nur nach einer Abwägung am Maßstab der Verhältnismäßigkeit eindringen darf. Im Datenschutz ist der Begriff spätestens seit dem Volkszählungsurteil 1983 überholt, weil es für das Schutzgut des Datenschutzes nicht auf eine räumliche Sphäre ankommen darf. Auch Daten aus der Sphäre öffentlicher Tätigkeit können schutzwürdig sein. Als treffender hat sich der Begriff der informationellen Selbstbestimmung erwiesen, weil er besser gegen die Risiken der elektronischen Verarbeitung der Daten schützt.