Letzte Woche war mal wieder Buchmesse in Frankfurt. Alle, die das Buch
lieben oder von ihm leben, hatten eine große Familienfeier. Tagsüber stand man
in den Ausstellungshallen, abends bei den Partys. Dass ich über die letzteren
informiert wurde, verdanke ich einer befreundeten Journalistin. Ich war in
früheren Jahren mehrere Male dort und kann mir das Treiben noch sehr gut
vorstellen. Das wirklich Erstaunliche für mich ist, dass es die Buchmesse in
dieser Form immer noch gibt. Ja, es gibt sie sogar zweimal, im Herbst in
Frankfurt, im Frühjahr in Leipzig.
Um diese Zeit gibt es allerhand Vorträge und Artikel über Bücher, besonders im Fernsehen und Internet, aber auch in diversen andern Medien. Entweder wird nur gejammert, oder nur für die papierne Form des Buches geworben. Etwas aus dem Rahmen fiel ein aus Anlass der Buchmesse geführtes Interview in der FAZ am 7.10.2013. Der Gesprächspartner war Sascha Lobo. Seinen Kopf mit dem roten Irokesen-Haarbusch kennen auch Leute, die das Internet oder die Bloggerszene nicht verfolgen. Auf der Buchmesse warb er für sein neuestes Projekt. Es heißt Sobooks. Das sei eine Abkürzung für ‚Social Books‘. Im Interview geht es hauptsächlich um Sobooks. Das Ziel sei es, im Netz eine Plattform aufzubauen,
die den Veränderungen der Buchwelt durch das Internet angepasst ist. Mit dem einen großen Ziel, das Buch als verkaufbares Kulturprodukt im Digitalen zu erhalten.
Dies ist also ein neuer Ansatz, der das Problem zu lösen versucht, wie
Bücher das Internet überleben können. Da ich selbst seit über 20 Jahren
fachlich und technisch mit dieser Problematik zu tun hatte, erlaube ich mir
einige Kommentare. Zunächst möchte ich ganz dreist behaupten, dass jeder der
das ‚Überleben von Büchern‘ als ein oder sein Problem ansieht, mir leid tut.
Für mich ist das vergleichbar, als wenn jemand sich um das Überleben von Öllampen
oder Pferdekutschen Sorge macht.
Lobo, der ja nicht aus dem Verlags- oder Bibliothekswesen stammt,
versucht dort Gehör zu finden, indem er mit Platon argumentiert. Man sollte
nicht versuchen, das Buch zu retten, sondern die ‚Idee Buch‘. Diese Idee könnte
verschiedene Formen annehmen. Die Idee Buch bestünde nämlich darin, dass jemand
einige zusammenhängende Gedanken zusammenhängend darstellt, und andern
Leuten ̶ zeit- oder ortsversetzt ̶ , die
Möglichkeit gibt, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Ein einzelner Fachartikel
geht zwar auch in diese Richtung, ist aber weniger als ein Buch. Auch eine einzelne
Kurzgeschichte, deren literarisches Genre durch die Verleihung des
Literatur-Nobelpreises 2013 an die Kanadierin Alice Munro hervorgehoben wurde, ist
noch kein Buch.
Dass sich einzelne Fachartikel oder Kurzgeschichten besser verteilen und
besser verkaufen lassen, indem man sie bündelt, ist schon lange keine gute Idee
mehr. Es war dies eigentlich nie. Zwar versuchen Verleger einzelne Fachartikel sündhaft
teuer zu machen, wollte man sie elektronisch beziehen. Typischerweise sind es
30-40 Euro. Das entspricht etwa der Hälfte des Jahresabonnements, wenn man die
Zeitschrift nicht als Teil einer Mitgliedschaft in einer Fachgesellschaft sehr
billig bezieht. Deshalb hat sich ein riesiger Nebenmarkt entwickelt. Man
verteilt Fachartikel von Institut zu Institut oder von Autor zu Autor unter
Umgehung der Verlage. Monate später erscheinen sie dann mit Heft-Nummer und
Seitennummer versehen in einer Fachzeitschrift. Sie seien erst dann ordnungsgemäß
archivierbar ̶ was immer das heißt.
Zurück zu Büchern. Ich selbst habe in den letzten zwölf Monaten 44
Bücher mehr oder weniger vollständig gelesen. Natürlich ist dies nur möglich,
da ich Rentner bin. Darunter waren lediglich noch zwei Papierbücher. Eines
wurde mir geschenkt, eines hatte mir ein Freund geliehen. Insgesamt 24 Bücher (so genannte eBooks) las ich als Teil
meines Abos bei Skoobe, das ich seit einem Jahr besitze. Weitere 10 Bücher habe
ich einzeln bezahlt, acht waren kostenlos. Bei letzteren handelte es sich um
Klassiker, von Platon über Kant zu Franz Kafka. Ich kaufe fast alle Bücher, für
die ich einzeln bezahlen muss, bei iBook. Ich benutze deshalb iBook, weil dann
alle Belastungen auf mein Konto bei Apple laufen. Ich habe dieses Konto schon
seit mehreren Jahren, weil ich darüber auch Musik und Programme (so genannte
Apps) kaufe. Mit der finanziellen Seite (Höhe der Preise, Abrechnungsverfahren)
habe ich nicht die geringsten Probleme. Ich bin der Meinung, dass sich diese
Seite des Geschäfts stabilisiert hat und erwarte keine großen Durchbrüche mehr.
Hinzufügen möchte ich noch, dass ich alle
erwähnten eBooks auf einem iPad lese. Auf demselben Gerät habe ich außerdem
etwa 20-30 Fernsehfilme gesehen. Die meisten davon stammten von Arte. Dies ist
der Grund, warum Nur-Buchlese-Geräte wie Kindle für mich nicht in Frage kommen.
Den wöchentlichen SPIEGEL, die FAZ, die New York Times oder die Filme über die Enkelkinder möchte ich nur am Rande erwähnen.
Nicht so zufrieden bin ich mit der Art, wie
ich von den Anbietern von eBooks mit Gewalt zum rein passiven Lesen verdonnert
werde. Genau hier setzt auch die Kritik von Sascha Lobo ein. Mich ärgert es primär,
dass ich keine Möglichkeit besitze, Zitate direkt aus dem eBook zu kopieren. Da
ich viele Bücher, die ich lese, anschließend in diesem Blog bespreche, vergesse
ich daher manchmal die wichtigsten Zitate. Alles Material für die Besprechung
sammele ich während des Lesens als Notizen auf meinem iPhone (in Evernote).
Wenn ich Zitate besonders schön oder wichtig finde, tippe ich sie (nach der
Adlermethode) in mein iPhone. (Für jemanden, der den Ausdruck nicht kennt, sei
dies erläutert: Wie ein Adler kreist mein Zeigefinger um einen Buchstaben auf
der virtuellen Tastatur, ehe er herabstürzt).
In meinen Augen möchte Lobo nichts anderes,
als was einige Kollegen und ich zwischen 1993 und 1996 in einem von der
Bundesregierung geförderten Projekt bereits anstrebten. Wir hatten damals
diverse Ideen, wozu man das Material verwenden könnte, das in einem Online-Buch
(der Begriff eBook setzt sich erst später durch) in maschinen-lesbarer Form
vorhanden ist. Wir dachten zunächst primär an die Wiederverwendung in der
akademischen Lehre. Wir hatten 14 deutsche Verlage in das Projekt eingebunden
und baten sie, darüber nachzudenken, wie die entsprechenden Geschäftsmodelle
aussehen könnten. Das Ergebnis war: Das Material muss möglichst genau so
aussehen, wie in einem papieren Buch. Es darf nicht zerfleddert, noch verändert
werden. Auch die Seitenzahlen müssen genau dieselben bleiben. Der Preis darf
höchstens 10 % niedriger sein. Lobo schlägt heute (2013) unter anderem vor,
dass man zulassen sollte, dass ein Leser seine Kommentare mit dem Text des eBooks
verlinken darf. Das Buch würde dadurch für den einzelnen Leser an Wert
gewinnen. Dem Autor könnte man die Kommentare zur Kenntnis geben oder zur
Verfügung stellen, wenn er dies wollte. Man könnte vereinbaren, dass er sie in
einer Neuauflage verwenden darf, usw.
Nach Lobo sollte ein Buch ein Beitrag zu einem
anhaltenden Dialog des Autors mit den Lesern sein, kein Monolog. Platon, und
insbesondere sein Lehrmeister Sokrates, der sich sogar weigerte seine Reden
aufzuschreiben, hätten dies bestimmt vehement gefordert, wären vor 2000 Jahren
die technischen Möglichkeiten vorhanden gewesen, die wir heute haben. Um zu
illustrieren, wie langsam sich Denkmuster verändern, will ich einen Satz aus
dem Interview herausgreifen. Der Journalist der FAZ machte Lobo den ernsthaften
Vorwurf, dass er die Bezeichnung ‚books‘ für sein Konstrukt verwendet:
Wenn Sie Webseiten
verkaufen wollen, brauchen Sie die doch nicht Bücher zu nennen.
Dies erinnert mich an einen Vorwurf, den ich
bekam, als ich im Jahre 2000 mit einem Ko-Autor zusammen ein Buch mit dem Titel
‚Digitale Bibliotheken‘ herausbrachte. „Sie sollten Ihr Buch Informationssysteme
oder sonst etwas (abschreckend) Technisches nennen, aber nicht Bibliotheken.“ Wie gefährlich Analogien sind, musste ich übrigens selbst erfahren, als ich das Buch in einer Stuttgarter Buchhandlung suchte. Man hatte es in der Sektion Architektur eingebucht und ausgestellt.
Ein paar kritische Gedanken meinerseits. Ich bin der Meinung, dass von
gewissen Branchenvertretern, seien es Verleger oder Bibliothekare, unsere Jugend
in unverantwortlicher Weise in die Irre geleitet wird. Es wird ihr suggeriert,
dass nur das papierne Buch unsere Kultur retten kann. Dabei ist Papier ein
Stoff, dessen Herstellung und Entsorgung die Umwelt belastet. Papierne Bücher
belegen wertvollen Wohn- oder Lagerraum, sie erfordern hohe Transportkosten, um
sie vom Drucker zum Buchhändler und vom Buchhändler zum Leser zu bringen. Die Auswahl
ist immer beschränkt oder oft vergriffen. Die Haltbarkeit ist vom Verfahren der
Papierherstellung abhängig, sowie vom Brandschutz des Bibliotheksgebäudes, usw.
Genauso wie Sascha Lobo halte ich es für falsch, in den Kategorien von
Entweder und Oder zu denken. Hin und wieder werde ich ein papiernes Buch lesen,
häufiger ein eBook, vielleicht auch einmal ein SoBook. Wenn ich bedenke, wie
lange eBooks benötigten, bis sie zu einem für mich akzeptablen wirtschaftlichen
Angebot wurden, glaube ich nicht, dass ich SoBooks noch erleben werde. Immerhin
enthält mein Skoobe-Abo inzwischen etwa 30.000 Titel. Sie verteilen sich auf
die Kategorien Belletristik (20.000), Sachbuch und Ratgeber (je 4.000) und Jugendbücher (2.000). Bei iBook sind es
bestimmt nicht weniger. Vor allem finde ich da auch nicht-deutsche Texte und Fachbücher. Ich
habe das Gefühl, dass ich noch eine Weile versorgt bin.
Sokrates soll absichtlich nichts Schriftliches hinterlassen haben. ‘Worte aufzuschreiben, heißt sie zu töten‘ soll er gesagt haben. Man kann nur feststellen, was andere Leute wissen, indem man mit ihnen redet. Aufgeschriebenes kann leicht falsch interpretiert werden. Dass andere Philosophenschulen sich nicht an diese Grundsätze hielten, ist offensichtlich. Seither blüht allenthalben die Exegese, sowohl bei Juristen, Philologen wie Theologen.
AntwortenLöschenAm 13.10.2013 schrieb Andreas Barth aus Stutensee:
AntwortenLöschenIch bin bei meinem Lesevergnügen im Moment völlig unbeeindruckt von der digitalen Welt. Zwar nutze ich gelegentlich auch meinen IPad zum Herunterladen digitaler Texte, aber ich kaufe auch weiterhin munter Bücher, und zwar sowohl Fachbücher aus den Naturwissenschaften und der Mathematik als auch Belletristik. Ich bekenne mich zu meinem Anachronismus. Zur Büchermesse gehe ich nicht, aber ich verfolge aufmerksam, was es an Neuem in der Literatur gibt. Da ich im September Urlaub hatte, konnte ich die Zeit sehr gut nutzen und kann euch meine Bücher hier weiterempfehlen:
- Jenni: Die französische Kunst des Krieges (unglaublich beeindruckende Darstellung der französischen Kriege in Indochina und Algerien)
- Safranski: Goethe (eine Biografie, faszinierend geschrieben)
- Mak: Amerika! (Geert Mak wiederholt die Reise von Steinbeck mit seinem Hund Charley durch die USA, aber mit seiner Ehefrau; dabei analysiert und reflektiert er die Geschichte und Kultur der USA)