Sonntag, 13. Oktober 2013

Das Buch im Wandel der Technik

Letzte Woche war mal wieder Buchmesse in Frankfurt. Alle, die das Buch lieben oder von ihm leben, hatten eine große Familienfeier. Tagsüber stand man in den Ausstellungshallen, abends bei den Partys. Dass ich über die letzteren informiert wurde, verdanke ich einer befreundeten Journalistin. Ich war in früheren Jahren mehrere Male dort und kann mir das Treiben noch sehr gut vorstellen. Das wirklich Erstaunliche für mich ist, dass es die Buchmesse in dieser Form immer noch gibt. Ja, es gibt sie sogar zweimal, im Herbst in Frankfurt, im Frühjahr in Leipzig.

Um diese Zeit gibt es allerhand Vorträge und Artikel über Bücher, besonders im Fernsehen und Internet, aber auch in diversen andern Medien. Entweder wird nur gejammert, oder nur für die papierne Form des Buches geworben. Etwas aus dem Rahmen fiel ein aus Anlass der Buchmesse geführtes Interview in der FAZ am 7.10.2013. Der Gesprächspartner war Sascha Lobo. Seinen Kopf mit dem roten Irokesen-Haarbusch kennen auch Leute, die das Internet oder die Bloggerszene nicht verfolgen. Auf der Buchmesse warb er für sein neuestes Projekt. Es heißt Sobooks. Das sei eine Abkürzung für ‚Social Books‘. Im Interview geht es hauptsächlich um Sobooks. Das Ziel sei es, im Netz eine Plattform aufzubauen, 

die den Veränderungen der Buchwelt durch das Internet angepasst ist. Mit dem einen großen Ziel, das Buch als verkaufbares Kulturprodukt im Digitalen zu erhalten.

Dies ist also ein neuer Ansatz, der das Problem zu lösen versucht, wie Bücher das Internet überleben können. Da ich selbst seit über 20 Jahren fachlich und technisch mit dieser Problematik zu tun hatte, erlaube ich mir einige Kommentare. Zunächst möchte ich ganz dreist behaupten, dass jeder der das ‚Überleben von Büchern‘ als ein oder sein Problem ansieht, mir leid tut. Für mich ist das vergleichbar, als wenn jemand sich um das Überleben von Öllampen oder Pferdekutschen Sorge macht.

Lobo, der ja nicht aus dem Verlags- oder Bibliothekswesen stammt, versucht dort Gehör zu finden, indem er mit Platon argumentiert. Man sollte nicht versuchen, das Buch zu retten, sondern die ‚Idee Buch‘. Diese Idee könnte verschiedene Formen annehmen. Die Idee Buch bestünde nämlich darin, dass jemand einige zusammenhängende Gedanken zusammenhängend darstellt, und andern Leuten  ̶  zeit- oder ortsversetzt  ̶ , die Möglichkeit gibt, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Ein einzelner Fachartikel geht zwar auch in diese Richtung, ist aber weniger als ein Buch. Auch eine einzelne Kurzgeschichte, deren literarisches Genre durch die Verleihung des Literatur-Nobelpreises 2013 an die Kanadierin Alice Munro hervorgehoben wurde, ist noch kein Buch.

Dass sich einzelne Fachartikel oder Kurzgeschichten besser verteilen und besser verkaufen lassen, indem man sie bündelt, ist schon lange keine gute Idee mehr. Es war dies eigentlich nie. Zwar versuchen Verleger einzelne Fachartikel sündhaft teuer zu machen, wollte man sie elektronisch beziehen. Typischerweise sind es 30-40 Euro. Das entspricht etwa der Hälfte des Jahresabonnements, wenn man die Zeitschrift nicht als Teil einer Mitgliedschaft in einer Fachgesellschaft sehr billig bezieht. Deshalb hat sich ein riesiger Nebenmarkt entwickelt. Man verteilt Fachartikel von Institut zu Institut oder von Autor zu Autor unter Umgehung der Verlage. Monate später erscheinen sie dann mit Heft-Nummer und Seitennummer versehen in einer Fachzeitschrift. Sie seien erst dann ordnungsgemäß archivierbar  ̶  was immer das heißt.

Zurück zu Büchern. Ich selbst habe in den letzten zwölf Monaten 44 Bücher mehr oder weniger vollständig gelesen. Natürlich ist dies nur möglich, da ich Rentner bin. Darunter waren lediglich noch zwei Papierbücher. Eines wurde mir geschenkt, eines hatte mir ein Freund geliehen. Insgesamt 24 Bücher (so genannte eBooks) las ich als Teil meines Abos bei Skoobe, das ich seit einem Jahr besitze. Weitere 10 Bücher habe ich einzeln bezahlt, acht waren kostenlos. Bei letzteren handelte es sich um Klassiker, von Platon über Kant zu Franz Kafka. Ich kaufe fast alle Bücher, für die ich einzeln bezahlen muss, bei iBook. Ich benutze deshalb iBook, weil dann alle Belastungen auf mein Konto bei Apple laufen. Ich habe dieses Konto schon seit mehreren Jahren, weil ich darüber auch Musik und Programme (so genannte Apps) kaufe. Mit der finanziellen Seite (Höhe der Preise, Abrechnungsverfahren) habe ich nicht die geringsten Probleme. Ich bin der Meinung, dass sich diese Seite des Geschäfts stabilisiert hat und erwarte keine großen Durchbrüche mehr.

Hinzufügen möchte ich noch, dass ich alle erwähnten eBooks auf einem iPad lese. Auf demselben Gerät habe ich außerdem etwa 20-30 Fernsehfilme gesehen. Die meisten davon stammten von Arte. Dies ist der Grund, warum Nur-Buchlese-Geräte wie Kindle für mich nicht in Frage kommen. Den wöchentlichen SPIEGEL, die FAZ, die New York Times oder die Filme über die Enkelkinder möchte ich nur am Rande erwähnen.

Nicht so zufrieden bin ich mit der Art, wie ich von den Anbietern von eBooks mit Gewalt zum rein passiven Lesen verdonnert werde. Genau hier setzt auch die Kritik von Sascha Lobo ein. Mich ärgert es primär, dass ich keine Möglichkeit besitze, Zitate direkt aus dem eBook zu kopieren. Da ich viele Bücher, die ich lese, anschließend in diesem Blog bespreche, vergesse ich daher manchmal die wichtigsten Zitate. Alles Material für die Besprechung sammele ich während des Lesens als Notizen auf meinem iPhone (in Evernote). Wenn ich Zitate besonders schön oder wichtig finde, tippe ich sie (nach der Adlermethode) in mein iPhone. (Für jemanden, der den Ausdruck nicht kennt, sei dies erläutert: Wie ein Adler kreist mein Zeigefinger um einen Buchstaben auf der virtuellen Tastatur, ehe er herabstürzt).

In meinen Augen möchte Lobo nichts anderes, als was einige Kollegen und ich zwischen 1993 und 1996 in einem von der Bundesregierung geförderten Projekt bereits anstrebten. Wir hatten damals diverse Ideen, wozu man das Material verwenden könnte, das in einem Online-Buch (der Begriff eBook setzt sich erst später durch) in maschinen-lesbarer Form vorhanden ist. Wir dachten zunächst primär an die Wiederverwendung in der akademischen Lehre. Wir hatten 14 deutsche Verlage in das Projekt eingebunden und baten sie, darüber nachzudenken, wie die entsprechenden Geschäftsmodelle aussehen könnten. Das Ergebnis war: Das Material muss möglichst genau so aussehen, wie in einem papieren Buch. Es darf nicht zerfleddert, noch verändert werden. Auch die Seitenzahlen müssen genau dieselben bleiben. Der Preis darf höchstens 10 % niedriger sein. Lobo schlägt heute (2013) unter anderem vor, dass man zulassen sollte, dass ein Leser seine Kommentare mit dem Text des eBooks verlinken darf. Das Buch würde dadurch für den einzelnen Leser an Wert gewinnen. Dem Autor könnte man die Kommentare zur Kenntnis geben oder zur Verfügung stellen, wenn er dies wollte. Man könnte vereinbaren, dass er sie in einer Neuauflage verwenden darf, usw.

Nach Lobo sollte ein Buch ein Beitrag zu einem anhaltenden Dialog des Autors mit den Lesern sein, kein Monolog. Platon, und insbesondere sein Lehrmeister Sokrates, der sich sogar weigerte seine Reden aufzuschreiben, hätten dies bestimmt vehement gefordert, wären vor 2000 Jahren die technischen Möglichkeiten vorhanden gewesen, die wir heute haben. Um zu illustrieren, wie langsam sich Denkmuster verändern, will ich einen Satz aus dem Interview herausgreifen. Der Journalist der FAZ machte Lobo den ernsthaften Vorwurf, dass er die Bezeichnung ‚books‘ für sein Konstrukt verwendet:

Wenn Sie Webseiten verkaufen wollen, brauchen Sie die doch nicht Bücher zu nennen.

Dies erinnert mich an einen Vorwurf, den ich bekam, als ich im Jahre 2000 mit einem Ko-Autor zusammen ein Buch mit dem Titel ‚Digitale Bibliotheken‘ herausbrachte. „Sie sollten Ihr Buch Informationssysteme oder sonst etwas (abschreckend) Technisches nennen, aber nicht Bibliotheken.“ Wie gefährlich Analogien sind, musste ich übrigens selbst erfahren, als ich das Buch in einer Stuttgarter Buchhandlung suchte. Man hatte es in der Sektion Architektur eingebucht und ausgestellt.

Ein paar kritische Gedanken meinerseits. Ich bin der Meinung, dass von gewissen Branchenvertretern, seien es Verleger oder Bibliothekare, unsere Jugend in unverantwortlicher Weise in die Irre geleitet wird. Es wird ihr suggeriert, dass nur das papierne Buch unsere Kultur retten kann. Dabei ist Papier ein Stoff, dessen Herstellung und Entsorgung die Umwelt belastet. Papierne Bücher belegen wertvollen Wohn- oder Lagerraum, sie erfordern hohe Transportkosten, um sie vom Drucker zum Buchhändler und vom Buchhändler zum Leser zu bringen. Die Auswahl ist immer beschränkt oder oft vergriffen. Die Haltbarkeit ist vom Verfahren der Papierherstellung abhängig, sowie vom Brandschutz des Bibliotheksgebäudes, usw.

Genauso wie Sascha Lobo halte ich es für falsch, in den Kategorien von Entweder und Oder zu denken. Hin und wieder werde ich ein papiernes Buch lesen, häufiger ein eBook, vielleicht auch einmal ein SoBook. Wenn ich bedenke, wie lange eBooks benötigten, bis sie zu einem für mich akzeptablen wirtschaftlichen Angebot wurden, glaube ich nicht, dass ich SoBooks noch erleben werde. Immerhin enthält mein Skoobe-Abo inzwischen etwa 30.000 Titel. Sie verteilen sich auf die Kategorien Belletristik (20.000), Sachbuch und Ratgeber (je 4.000)  und Jugendbücher (2.000). Bei iBook sind es bestimmt nicht weniger. Vor allem finde ich da auch nicht-deutsche Texte und Fachbücher. Ich habe das Gefühl, dass ich noch eine Weile versorgt bin.

2 Kommentare:

  1. Sokrates soll absichtlich nichts Schriftliches hinterlassen haben. ‘Worte aufzuschreiben, heißt sie zu töten‘ soll er gesagt haben. Man kann nur feststellen, was andere Leute wissen, indem man mit ihnen redet. Aufgeschriebenes kann leicht falsch interpretiert werden. Dass andere Philosophenschulen sich nicht an diese Grundsätze hielten, ist offensichtlich. Seither blüht allenthalben die Exegese, sowohl bei Juristen, Philologen wie Theologen.

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  2. Am 13.10.2013 schrieb Andreas Barth aus Stutensee:

    Ich bin bei meinem Lesevergnügen im Moment völlig unbeeindruckt von der digitalen Welt. Zwar nutze ich gelegentlich auch meinen IPad zum Herunterladen digitaler Texte, aber ich kaufe auch weiterhin munter Bücher, und zwar sowohl Fachbücher aus den Naturwissenschaften und der Mathematik als auch Belletristik. Ich bekenne mich zu meinem Anachronismus. Zur Büchermesse gehe ich nicht, aber ich verfolge aufmerksam, was es an Neuem in der Literatur gibt. Da ich im September Urlaub hatte, konnte ich die Zeit sehr gut nutzen und kann euch meine Bücher hier weiterempfehlen:

    - Jenni: Die französische Kunst des Krieges (unglaublich beeindruckende Darstellung der französischen Kriege in Indochina und Algerien)

    - Safranski: Goethe (eine Biografie, faszinierend geschrieben)

    - Mak: Amerika! (Geert Mak wiederholt die Reise von Steinbeck mit seinem Hund Charley durch die USA, aber mit seiner Ehefrau; dabei analysiert und reflektiert er die Geschichte und Kultur der USA)

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