Mit großem Vergnügen bringe ich heute eine Würdigung des
Darmstädters Büchner aus der Feder des Darmstädters Wedekind. Warum darf ein
Informatiker nicht eines Schriftstellers gedenken, war meine Antwort, als
gefragt wurde, ob das etwas für diesen Blog sei.
Georg Büchner steht für den Vormärz. Das ist die Periode von
1830 bis 1848. In den Nachwehen der großen Pariser Revolution von 1789 und der
Niederlage Napoléons kam es dort zur Juli-Revolution von 1830. Sie fand ihren
Widerhall im Hambacher Fest von 1832. Von dort führte der Weg zur Frankfurter Paulskirche
in 1848.
Außer Büchner fallen mir zwei weitere Literaten ein, wenn vom
Vormärz die Rede ist. Der Düsseldorfer Heinrich Heine (1797-1856) hatte seinen Wohnsitz im
Jahre 1831 nach Paris verlegt und sollte nicht mehr nach Deutschland
zurückkehren. Der Frankfurter Ludwig Börne (1786-1837) lebte inzwischen ebenfalls in Paris,
kam aber als Ehrengast nach Hambach. Büchner studierte damals noch in Straßburg, wo die vor
den Russen und Preußen geflohenen polnischen Freiheitskämpfer gefeiert wurden.
Die badischen Revolutionäre Friedrich Hecker und Gustav Struve
traten erst 1848 in Kandern und Rastatt auf den Plan, ehe sie sich nach Amerika
in Sicherheit brachten. Im deutschen Geschichtsunterricht mussten alle diese Namen
für zwei Generationen von Schülern in der Versenkung verschwinden. Zunächst
bekam die Linie, die von Bismarck über Wilhelm II zu Hitler führte, den Vorzug,
mit der Weimarer Episode dazwischen.
Ich wünsche meinen Lesern viel Freude an Wedekinds Büchner.
Derweil kämpfe ich mich durch ‚Dantons Tod‘ und den ‚Woyzeck‘.
Nur das notwendige Bedürfnis
der großen Massen kann Umänderungen herbeiführen. Alles Bewegen und Schreien Einzelner
ist Torenwerk. (Brief an Eltern aus Straßburg vom Juni 1833)
Nachtrag am 1.11.2013:
Durch Wedekinds Beitrag neugierig gemacht, lud ich mir George
Büchner‘s Gesammelte Werke auf mein iPad. Ursprünglich wollte ich nur
schnuppern. Ich kannte bisher nur einige Titel wie ‚Dantons Tod‘ und ‚Woyzeck‘
dem Namen nach. Nach etwa 400 Seiten kenne ich jetzt das ganze Werk des Autors,
einschließlich seiner Schüleraufsätze und seines hinterlassenen Briefwechsels
mit seiner Familie, seiner Verlobten und seinen Freunden.
Nur so viel: Ich bin sehr beeindruckt von Büchners Persönlichkeit
und Werk. Er war ein zutiefst politischer Mensch. Er erlebte und erlitt den
mühseligen Prozess der misslungenen Demokratisierung unseres Landes. Im Grunde
floh er resignierend in die Wissenschaft, in seinem Falle, die Medizin. Zwei
Zitate aus seinen Briefen sollen dies beleuchten.
Der Einzelne ist nur Schaum
auf der Welle, die Größe ein bloßer Zufall, die Herrschaft des Genies ein
Puppenspiel, ein lächerliches Ringen gegen ein ehernes Gesetz, es zu erkennen
das Höchste, es zu beherrschen unmöglich. (Brief an Wilhelmine Jaeglé, seine
Verlobte, vom Januar 1834)
Obwohl die Darmstädter ihn mit Recht feiern, war Hessen
nicht der Ort, wo er sich wohl fühlte. Ich fand ein Zitat, das meinem Kollegen
Wedekind etwas weniger gefallen wird.
Es ist unmöglich von, noch in
Darmstadt etwas Vernünftiges zu schreiben. (Brief an Edouard Reuss vom
20.8.1832)
Das war so vor fast 200 Jahren. Das Elsass und die Schweiz, Straßburg und sogar Zürich gefielen ihm besser. In Zürich fiel ihm auf, dass man nicht sehr froh war, dass hier so viele deutsche
Möchtegern-Revolutionäre Zuflucht suchten. Straßburg war wesentlich
großzügiger.
Eine literarische Bewertung des Oeuvres traute sich Hartmut
Wedekind als Laie nicht zu. Ich tue es trotzdem mit dem sicheren Gefühl,
danebenzugreifen. Ich empfand jedes Werk inhaltlich und sprachlich als Unikat.
Hier meine Assoziationen:
- Dantons Tod: Fundamentalrealismus, in der Sprache 'extra dry'
- Lenz: Wahnsinn im Gebirge, von innen erlebt
- Leonce und Lena: fast eine Shakespeare-Komödie, ohne Elfen
- Woyzeck: antimilitaristisches Eifersuchtsdrama
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