Ein Koalitionsvertrag wird von manchen Leuten mit der
Bemerkung zur Seite geschoben, dass sei nur ein Stück Papier und Papier sei
geduldig. Obwohl das Medium Papier nicht mehr im Vordergrund steht, halten
viele dennoch an dieser Meinung fest. Im Folgenden will ich versuchen zu
beschreiben, was ich aus dem Koalitionsvertrag
herauslese, der in den letzten Wochen zwischen Union und SPD ausgehandelt wurde.
Allgemeiner Eindruck
Dieser Koalitionsvertrag ist in erster Linie als
Wahlkampf-Dokument zu sehen. Weil den SPD-Mitgliedern die Rolle von
Superwählern eingeräumt wurde, geht der Wahlkampf noch einige Wochen weiter. Er
geht so zu sagen in eine zweite Runde. Statt alle 61,8 Millionen
Wahlberechtigte zur Neuwahl aufzurufen, dürfen jetzt 470.000 SPD-Mitglieder
entscheiden, welche Regierung gebildet wird. Die SPD-Mitglieder an der Basis
haben ihren plötzlichen Machtzuwachs erkannt, und werden es denen da oben
zeigen. Die zu Zuschauern degradierten 61,3 Millionen anderen Wähler müssen abwarten.
Falls das Abstimmungsergebnis negativ sein sollte, sind alle 185 Seiten des
Dokuments Makulatur. Die wochenlange Arbeit von etwa 50 Spitzenpolitikern des
ganzen Landes wäre umsonst gewesen.
Immer wieder wird uns Lesern eingehämmert, dass es das letztendliche
Ziel jeder Politik ist, zum Glück der Menschen in einem sozialen Gemeinwesen
beizutragen. Aspekte dieses Glücks sind Wohlstand, Freiheit, Sicherheit,
Frieden und Gesundheit. Wer mehr erwartet, wird mit Recht enttäuscht sein. Der Staat
kann viel. Über das hinaus, was der Staat reguliert, gibt es jedoch auch noch
Leben.
Zwei Dinge fallen mir auf, wenn ich den Vertrag auf mich
wirken lasse. Er setzt sich von einem nur von der Union verfassten Dokument ab,
indem er einige von der SPD im Wahlkampf gegebene Versprechen (Mindestlohn,
doppelte Staatsangehörigkeit für Kinder von Einwanderern, Rente nach 45
Beitragsjahren) ausdrücklich ausweist. Diese Zugeständnisse werden relativiert,
indem auf die vielen Dinge verwiesen wird, bei denen die Politik der bisherigen
Regierung unverändert fortgesetzt wird. Dies ist auch der Grund, warum das
Dokument im Vergleich zu früheren Koalitionsverträgen derart an Länge dazu
gewonnen hat. Es entstand eine Bestandsaufnahme der derzeitigen Politik plus
Fortschreibung. Dass neue Sozialleistungen, wie die verbesserte Mütterrente,
Geld kosten, sollte niemanden überraschen.
Bei manchen Punkten hat man den Eindruck, dass sie für Leser
im Ausland geschrieben sind. Es geht dabei vor allem um die Bevölkerung
derjenigen Länder, die glauben unter der deutschen Vorherrschaft zu leiden. Die
Botschaft heißt: Es ist nicht allein der Euro, der Deutschland stark macht,
sondern die Politik, die richtige Anreize gibt und Schwerpunkte setzt. Bei uns
hat die Politik die Wirtschaft einschließlich der Gewerkschaften voll im Griff.
Außerdem sind bei uns Politik und Wirtschaft äußerst lernfähig. Wenn alle
Länder Europas eine damit vergleichbare Politik betrieben, gäbe es keine
Probleme mehr. Die Wahl des nächsten Europa-Parlaments steht nämlich vor der
Tür. Zu befürchten sind einerseits eine geringe Wahlbeteiligung, anderseits das
Vorrücken europa-feindlicher Parteien. Beidem muss entgegen gearbeitet werden.
Ganz deutlich ist die Botschaft der EU-Kommission gegenüber.
Die PKW-Maut ist eine Art Köder für die EU. Böte man uns den gleichen Betrag (nur
wenige Mrd. Euro), den diese Steuer auf Holländer, Österreicher, Polen und
Italiener uns einbringen würde, dann ließe sich ein Deal machen. Der übrigen
Welt gegenüber stellen wir uns als bescheidene Mittelmacht dar, die bereit ist
Aufgaben zu übernehmen, sei es im Klimaschutz oder bei der Terrorbekämpfung.
Dass CIA und NSA (also die USA) zu weit gehen, darin sind sich bei uns alle
einig.
Detailpläne
Einige Details will ich noch kurz hervorheben. Es betrifft die
geplante Wirtschafts- und Europapolitik sowie die Maßnahmen, die die
Wissenschaft und hier speziell die Informatik berühren. Die SPD ist auf die
Haltung der CDU/CSU eingeschwenkt, was die Steuer- und Währungspolitik
betrifft. Es gibt (zunächst) keine Steuererhöhungen für Besserverdienende.
Außerdem soll die Vergemeinschaftung von Schulden zwischen den Euroländern
(etwa durch Ausgabe von Eurobonds) vermieden werden. Der Euro steht nicht zur
Diskussion. Eine Erweiterung der Europäischen Union, etwa um die Türkei, wird
nicht forciert. Die Finanzmärkte sollen stärker reguliert werden.
Bankenaufsicht und Finanz-Transaktionssteuer sollen kommen. Zumindest in
Deutschland ist man sich da einig. Ob man in Europa, und vor allem in England,
damit durchkommt, ist fraglich.
Die Breitband-Versorgung ländlicher Gegenden wird weiter ausgebaut.
Jedermanns Datenpakete sollen gleichberechtigt transportiert werden (auch als
Netzneutralität bekannt). Die Vorratsdatenspeicherung soll kommen, allerdings mit
einer auf drei Monate verkürzten Sperrfrist. Mit andern Ländern Europas will
man einen ‚Schengenraum‘ für sichere Kommunikation im Internet schaffen,
hoffend, dass da die fünf angelsächsischen ‚Rowdies‘ (USA, UK, Kanada,
Australien und Neuseeland) nicht hinein können. Das Geschäft mit den Clowds
will man ihnen entreißen. Europäischen Telekommunikationsanbietern soll
verboten werden, den USA ihre Kundendaten zur Verfügung zu stellen. (Dass
unsere Geheimdienste ohne amerikanische Daten schlecht aussehen, wird nicht
erwähnt).
Industrie, Verwaltung, Verkehr und Gesundheitswesen sollen
weiter digitalisiert werden. Aber auch unser Kulturgut soll durch
Digitalisierung vor dem Verfall geschützt werden. Ergebnisse aus der
Spitzenforschung kämen mittels Digitalisierung schneller zur Anwendung. ‚Big
Data‘ wird ausgebaut, natürlich mit verbesserter Sicherheit. Man möchte
deutsche Wagniskapitalgeber dazu bringen, auch in Deutschland zu investieren
(Sie tragen nämlich ihr Geld heute mit Vorliebe in die USA). In vier Jahren
sollen die Weichen gestellt sein, dass Deutschland und Europa eine Führungsrolle
bei der ‚konsequenten,
sozialverträglichen, vertrauenswürdigen und sicheren Digitalisierung der
Gesellschaft und Wirtschaft einnehmen.‘
Die Informatik-Ausbildung in Grundschulen und Gymnasien soll
bleiben und sogar verstärkt werden. (Auf die einschlägigen Diskussionen hatte
ich in einem früheren
Eintrag hingewiesen). Medienkompetenz soll bereits in Kitas gelehrt werden. Da
dies bekanntlich nicht in den Kompetenzbereich des Bundes fällt, hat diese Aussage wenig
zu bedeuten. Das Urheberrecht, so wie es heute steht, wird als wichtig
anerkannt. Alle Forschungsprogramme, bei denen der Bund den Ländern hilft,
werden beibehalten oder ausgebaut. Forschungsanstrengungen, insbesondere bei
der IT-Sicherheit, werden intensiviert. Es soll einen Forschungscluster ‚IT-Sicherheit
und kritische IT-Infrastruktur‘ geben. Die Bürgerinnen und Bürger werden
aufgefordert, national entwickelte IT-Sicherheitstechnologien einzusetzen.
NB: Hier wird wieder der Karren vor den Esel gespannt. Wer
Bürger aufruft, etwas zu nutzen, was gerade erforscht wird, klingt nicht sehr
überzeugend. Diesen Denkfehler habe ich auch früher immer wieder beklagt.
Außer Sicherheit und Kryptografie werden die folgenden
IT-Schlüsseltechnologien als förderungswürdig genannt: Netzwerktechnik,
Embedded Systems, Prozess- und Unternehmens-Software, Machine-to-machine-Kommunikation (S. 20). Mit
dem Etikett ‚Software made in Germany‘ könnte ein Qualitätsversprechen verbunden
werden. Weitere Informatik-Themen, die teilweise im Zusammenhang mit andern
Tätigkeitsbereichen erwähnt werden, sind: Telearbeit, Gesundheitskarte,
Telemedizin und Internet der Dinge. Wer auf einem nicht genannten Gebiet tätig
ist, mag dieses weiterhin für wichtig und interessant halten. Sicherlich wird
es schwieriger sein, an die für die Förderung erhofften öffentlichen Gelder heranzukommen.
Tipps an die Akteure
Zurück zur Bundespolitik. Sollte der vorliegende
Koalitionsvertrag bei der SPD-Basis durchfallen, sollte Angela Merkel eine
Minderheitsregierung bilden. Einige der an der Ausarbeitung des
Koalitionsvertrags beteiligten Parlamentarier der SPD müssten eigentlich in der
Lage sein, ihre Politik zu unterstützen. Sie ist jetzt sogar erstaunlich gut
dokumentiert. Sigmar Gabriel scheint dem Unheil vorbeugen zu wollen, indem er
keine Ministerkandidaten benennt, die dann ohne Hemd da stehen würden.
Am 30.11.2013 schrieb Otto Buchegger aus Tübingen:
AntwortenLöschenUnd bald kommen dann die Europawahlen!
Heute am 14.12.2013 war die Auszählung. Von 474.820 SPD-Mitgliedern nahmen 369.364 (77,8%) an der Abstimmung teil. 256.643 (69,5%) stimmten für den Koalitionsvertrag; 80.921 waren dagegen; 31.800 gaben ungültige Stmmzettel ab.
AntwortenLöschenDie drei Monate nach der Wahl zustande gekommene dritte Regierung Merkel bietet kaum große Überraschungen. Teilweise ist es ein zurück zu bereits Dagewesenem (Außen- und Innenministerium, Finanz- und Wissenschaftsministerium). Vor allem zu zwei Änderungen gab es Kommentare in der Öffentlichkeit. Sie sind beide bei der CDU/CSU:
AntwortenLöschenDass eine Frau (Ursula von der Leyen) demnächst unsere Soldatinnen und Soldaten kommandieren wird, rief eine seltsame Form von Männerborniertheit auf den Plan. Das Internet war voll von Sticheleien, dass dies wohl das Letzte sei. Jemand, der nicht gedient habe, könne nicht an der Spitze des Heeres stehen. Dabei tut dies dem deutschen Image als ehemalige Militaristen ausgesprochen gut. Auch ist es eine weitere Bewährungsprobe für eine ehrgeizige Politikerin. Ein zweiter von Guttenberg, der mit der Wehrpflicht aufräumte, muss sie nicht gleich werden. Aber mehr Aufmerksamkeit kann nicht schaden.
Die Internet-Gurus lamentieren, dass das Thema ‚digitale Infrastruktur‘ zwar aufgegriffen wurde, aber dem Verkehrsminister Dobrindt zugeschlagen wurde. Das beweise, dass die Union Datenautobahnen zu Autobahnen dazurechne. Ich finde es besser, dass bei dem Thema an Investitionen, vor allem im ländlichen Raum, gedacht wird, als an neue Gesetze.