Alice Endres (Jahrgang 1964) ist
Landwirtin im Kreis Bitburg in der Eifel. Der Betrieb ruht auf drei Säulen, dem
Anbau von Körnerfrüchten, der Milchviehzucht und dem Betreiben einer Biogas-Anlage.
Alice vertritt die Interessen der milcherzeugenden Betriebe in der
Milcherzeugergemeinschaft Milch Board. Außerdem kandidierte sie auf der Liste der Grünen
bei der Landtagswahl 2013 in Rheinland-Pfalz. Alice und ihr Mann Thomas, ein
Sohn meines Bruders, haben vier erwachsene Kinder.
Bertal Dresen (BD): Da ich gerade erst wieder in der Eifel war, drängt
sich mir eine Reihe von Fragen auf, die das Schicksal der Landwirtschaft
generell betreffen. Aufgrund meiner sporadischen Besuche sehe ich den Wandel,
soweit er die Eifler Landwirtschaft betrifft, möglicherweise deutlicher als
jemand, der dauernd am Ort ist. Vor einem Jahr fiel mir der Übergang zu einer
Monokultur besonders auf. Auf der ganzen Flur schien es nur noch Mais zu geben.
Dieses Mal erklärte mir mein Bruder, dass es nur noch zwei Betriebe im Dorf gäbe,
die Milch erzeugen. In vielen der einst so stolzen Bauernhäuser wohnen nur noch
ein oder zwei alte Leute. Übertreibe ich?
Alice Endres (AE): Zum großen Teil hast Du Recht. Dieser Wandel findet
leider in ganz Deutschland statt. Als ich 1981 in Deinem Heimatdorf meine
landwirtschaftliche Lehre begann, gab es dort noch über zwanzig Bauernbetriebe.
Alles war kleinparzelliert. Man baute auch noch die arbeitsintensiven Rüben an,
die ich persönlich für ein gutes Viehfutter halte. Diese passen arbeitstechnisch
nicht mehr in den heutigen Betriebsablauf. Außerdem gab es Sommergerste für die
Bitburger Brauerei. Diese bezieht heutzutage die Sommergerste teilweise aus den
Kornkammern Europas, wo sie günstiger als im klimatisch benachteiligten Gebiet der
Eifel produziert wird.
Zum Heute: Insgesamt gibt es noch drei
Bauern in Deinem Heimatdorf. Einer von ihnen betreibt zwar noch Ackerbau, hat
aber die Viehhaltung aufgegeben. Wir selbst haben eine Dreier-Fruchtfolge:
Wintergerste-Mais-Weizen im Ackerland, sowie Weide, Ackerfutter und Luzerne im
Grünland. Damals bewirtschaftete Dein Bruder etwa 25 Hektar, auf denen sowohl das
Futter für das Vieh als auch Verkaufsgetreide angebaut wurden. Wir
bewirtschaften heute rund 200 Hektar, mehr als acht Mal soviel. Unsere
Fruchtfolge gestalten wir natürlich so, das unsere Arbeitsabläufe rational
sind. Wir hatten z.B. im ersten Jahr nur Gerste in einem Teil unserer Flur, im
zweiten Jahr Mais und im dritten Jahr nur Weizen. Letztendlich wirkt dies
optisch wie eine Monokultur, vor allem wenn alle verbleibenden Bauern mit ihrer
Fruchtfolge parallel wirtschaften. Aber gerne gebe ich die Frage zurück: Was
ist Monokultur? Wir halten bei uns eine gesunde Fruchtfolge ein! Da ist der
Maisanbau (die ‚Vermaisung‘) in Baden-Württemberg wesentlich intensiver, da
dort die großen Zuchtbetriebe für Maissaatgut stehen.
BD: Im Nachbardorf fiel mir auf, dass die Zahl der Windräder
sich verdoppelt hatte. Mein dortiger Kontakt bestätigte, dass eine
Genossenschaft den ganzen Rotorpark betreibt; dass also der ganze Ort daran verdient.
Ist das überall so?
AE: Die Situation ist ganz typisch. Energiegenossenschaften
sind politisch gewollt. Ich selbst halte sie für gut. Die Energiewende wurde
leider politisch eingerichtet, bevor diese im Detail organisiert wurde.
BD: Was in Deutschland bezüglich der Energiewende allgemein
passiert ist, habe ich in meinem Blog
zu beschreiben versucht. Das Erneuerbare-Energie-Gesetz (EEG) war ein so großer
Erfolg, dass wir jetzt ein Überangebot an Strom haben. Dumm ist nur, dass für
die Förderung Laufzeiten versprochen wurden, die viel zu lang waren.
AE: Dass wir jetzt ein Überangebot an Strom haben, ist
leider so. Die für die Förderung zugesagten langen Laufzeiten sind jedoch nicht
schuld daran. Die Investitionen in alternative Energien sind teuer. Wer darin
investierte, musste kalkulieren können. Die Subvention der Kernkraftwerke (AKW)
war und ist letztendlich wesentlich teurer für alle.
BD: Die Stromerzeugung ging fast vollständig in die Hände
mittelständiger Unternehmen über, besonders an der Küste. In vielen Gegenden
verschafft das EEG Bauern ein alternatives Einkommen. Ist das bei Euch auch
der Fall?
AE: Dass die Stromerzeugung in die Händ mittelständiger
Unternehmen übergeht, das war der ursprüngliche Gedanke der Grünen. Fakt jedoch
ist, das die CDU das EEG dahingehend erweitert hat, dass die Mittelständler
nicht mehr die Profiteure sind. Stattdessen sind es die Konzerne mit Expansionsgedanken,
die in die landwirtschaftlichen Betriebe inklusive Energieproduktion
eingestiegen sind. Wir gehören noch zu den etwa 25% der Anlagen, die Privaten
gehören. Wir haben uns nicht in die flächenunabhängige Größe treiben lassen,
was sich jetzt als gut herausstellt, da die anderen die Eigentümerschaft über
ihren Betrieb zunehmend verlieren.
BD: Warum ist das so?
AE: Das Kapital versucht dank seiner Spekulationsgewinne
(‚Blasengeld‘) in Realwerte und Land zu investierten. Das ist jetzt wirklich
keine Schwarzmalerei. Vor einem Monat ̶ es hat mich
wirklich erstaunt ̶ kam ein
Bericht im ZDF, dass 70% der landwirtschaftlichen Fläche in Brandenburg von
Investoren übernommen worden sei. Den Landwirten steht es zur Rückpacht wieder zur
Verfügung.
BD: Dass die Produktion von Lebensmittel in der Hand von
Bauern bleiben soll, ist eine ganz andere Forderung. Hast Du Zahlen, aus denen
hervorgeht, wie weit das überhaupt noch der Fall ist? Meines Erachtens sind die
meisten Hühnerfleisch-Produzenten keine Bauern (mehr). Es gibt Argumente, dass
die Qualität umso besser gewährleistet werden kann, je industrieller die
Produktion erfolgt.
AE: An Zahlen zu kommen, wie weit die Landwirtschaft noch
in Bauernhand ist, oder aber in industrieller Hand, ist sehr schwer. Ich habe
jedoch eine Aussage eines Bauern (ehemals Kuhbauer, jetzt Hähnchenmäster). Vor
zwei Jahren auf einer Veranstaltung in Niedersachsen kam ein Mann auf mich zu,
als ich gerade aufbrechen wollte. Er sagte, er sei mit dem Milchgeld nicht mehr
zurechtgekommen, und habe sich dahingehend beraten lassen, einen
Geflügelmaststall zu bauen, um Einkommen zu generieren. Er hat dem zugestimmt,
die Bank auch, aber er hat sich letztendlich durch eine Abnahmegarantie
komplett an einen (bekannten) Konzern verkauft. Er kriegt die Küken von diesem,
muss Futter von diesem beziehen, muss 28 Tage Antibiotikazusätze füttern, dann,
um einen negativen Antibiotikatest beim Schlachten zu bestehen, fünf Tage einen
Kortisonzusatz geben, um das Immunsystem bis zur Schlachtung runterzufahren. Der
Bauer, der dies sagte, litt ungemein unter dieser Situation. Er war sich dessen
sehr bewusst, kann aber finanziell nicht mehr aus dieser Schraube raus. Seitdem
kann ich kein Puten- oder Hähnchenfleisch mehr essen! Das gleiche ist im
Schweinebereich der Fall. Industriell heißt immer groß, viele Tiere auf wenig Fläche;
bedeutet vermehrten Medikamenteneinsatz. Das ist einfach Fakt! Industriell
verkauft sich als sicher und sauber, fast steril. Ob das gesund ist, ist die
Frage.
BD: Ein weiteres Argument ist, dass wir die Nothilfen an
Entwicklungsländer erst dann loswerden, wenn wir ihre Agrarprodukte in unsere
Märkte lassen. Dass die geografische Nähe der Agrarproduktion zum Verbraucher
ökologische Vorteile habe, scheint mir oft nur vorgeschoben zu sein. Wenn die
Eifler nur Eifler Erzeugnisse essen, fahren die Eifler eher mehr Auto, als wenn
sie ihre Früchte von spanischen oder griechischen Äckern beziehen. Sehe ich das
falsch?
AE: Es stimmt nicht, dass wir die Nothilfen an die
Entwicklungsländer erst dann loswerden, wenn wir ihre Agrarprodukte in unsere
Märkte lassen! Das ist das Wunschdenken unseres Wirtschaftsministeriums, mit
denen ich auch ein Gespräch hatte. Die glauben, wenn es denn so wäre, diese
Länder dann in der Lage wären, unsere Industriebetriebe durch Einkäufe zu unterstützen.
Diese Annahme entspricht aber leider nur einem Wunschdenken.
BD: Kannst Du diese Vermutung belegen?
AE: Ich habe z.B. Frauen aus Burkina
Faso kennengelernt. Wir haben
seinerzeit Entwicklungsgelder in diese Region geschickt, so dass man dort eine
Landwirtschaft zwecks Selbsternährung aufbauen konnte. Die EU hat aber zeitgleich
Exportsubventionen an unsere Produzenten gezahlt, so dass diese unsere
Produkte, vor allem auch unsere Abfälle wie Hühnerfüße, Schweineköpfe,
Milchpulver, usw. in diese sich zart entwickelnden Märkte dumpten. Ein Paradox: Wir
zahlen Entwicklungshilfe, damit sich die Drittländer ernähren können, zahlen
Exportsubventionen, damit unsere Überproduktion in Drittländern billig
abgesetzt werden kann, zahlen Subventionen an unsere Bauern, die mittlerweile etwa
70% von deren Betriebseinkommen ausmachen. Ist das nicht eine verkehrte Welt?
Unsere Überproduktion in Deutschland führt auch noch zu massiven ökologischen
Problemen, da eine standortintensive Tierhaltung zu gesteigerter
Nitrateinbringung ins Grundwasser führt, und somit letztendlich zur
Qualitätsminderung. Ich habe übrigens einen Vortrag von einem Prof. Binswanger
gehört, einem schweizerischen Volkswirtschaftler, der sehr einleuchtend über
die wirtschaftliche Entwicklung in der Welt berichtete und auch warnte. Im
Rahmen meiner Parteimitgliedschaft hatte ich ein zwei-stündiges Gespräch mit
Dirk Müller, einem Börsenguru, der unser Finanzsystem detailliert dargelegt
hat, auch historisch hinterlegt
BD: Es gibt einen Mathias Binswanger an der
Hochschule St. Gallen und einen Hans Christoph Binswanger an der Uni Zürich. Ich vermute es war der letztere.
Er leitet ein Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft. Dirk Müller
ist ein Börsenmakler und bekannter Autor. Seine Bücher sind Bestseller. Er
hat den Beinamen ‚Mister DAX‘ und berät Politiker und Verbände in Finanzfragen.
Auch Franz Josef Radermacher aus Ulm, mit dem Du über den Milch Board Kontakt
hattest, engagiert sich sehr in ökologischen Fragen. Er plädiert unter anderem
für einen Globalen Marshall-Plan. Das Thema Ökologie hat längst die Nische verlassen.
Es sind heute nicht nur die ehemals als Spinner verschrienen Grünen, die sich
des Themas annehmen. Die Gesellschaft als Ganzes befasst sich damit. Deine
Meinungen repräsentieren inzwischen weitgehend den so genannten ‚Main stream‘.
Fukushima war der Sargdeckel der Atom-Euphorie. Wir sind aber noch weit
entfernt von einer stabilen Lage, sowohl was die Energie-Diskussion betrifft,
als auch die politischen und sozialen Fragen überhaupt. Ich erwähne nur die
Ungleichheits- und die Migrationsdebatte. Der dramatische Wandel wird noch eine
Weile anhalten.
AE: Wir sind in Zeiten eines dramatischen Wandels, darin gebe
ich Dir 100% Recht. Ich habe eine Aufarbeitung der letzten Wirtschaftskrise
gelesen, und ich habe mich im Heute wiedergefunden. Ich habe viel mit meiner
Tochter diskutiert, die ja zu Latein auch Geschichte studiert. Ihr Geschichts-Professor
bedauere, dass die Geschichte nirgendwo zählt, sondern nur das
Vorausgerichtete, obwohl Geschichte viel erzählen könnte.
BD: Vielen Dank, Alice, für dieses interessante
Interview. Ich finde es sehr anregend, mit Dir zu diskutieren. Du weißt, meine
Eifler Jugendzeit ist eine Zeit, zu der ich mich immer wieder hingezogen fühle.
Dass die Eifel aber nicht mehr dieselbe ist, wie vor 60 Jahren, ist mir klar.
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