Bei meinen diversen Reisen machte ich
gerne einen Umweg, wenn es darum ging, einem in der frühen Geschichte der
Menschheit überlieferten Großereignis auf den Grund zu gehen. Die folgenden
fünf Sagen oder Geschehnisse sind relativ präzise dokumentiert. Gerade in den
letzten Jahrzehnten wurden intensive Bemühungen unternommen, die etwas
wunderlichen Ereignisse zu lokalisieren, bzw. zeitlich einzuordnen. Dass dabei
moderne technische Mittel verwandt wurden, versteht sich von selbst. Im
Folgenden wird für jedes Ereignis der neueste Stand der Forschung kurz
beschrieben. Ich beschränke mich dabei auf Sagen aus dem östlichen Mittelmeerraum.
Garten Eden (vor etwa 12.000 Jahren)
Die Bibel (Genesis) lokalisiert
den Garten Eden durch die Angabe von vier Flüssen, die aus ihm entspringen
sollen: Euphrat, Tigris, Pischon und Gihon. Während mit Euphrat und Tigris das
Zweistromland Mesopotamien ins Blickfeld rückte, gaben die beiden andern Flüsse
Rätsel auf. Leute, die meinten, dass man geografische Angaben nicht ernst
nehmen könnte, brachten den Nil, den Indus und den Ganges ins Spiel. Andere
hielten die Idee bereits für absurd, überhaupt einen konkreten Ort zu vermuten.
Der erste, der sich über diese Art von Bedenken hinwegsetzte, war übrigens
Heinrich Schliemann (siehe unten).
Flüsse aus dem Garten Eden (nach D. Rohl)
In einer Fernseh-Sendung bei Phoenix
wurden dieser Tage die Deutungsversuche des englischen Ägyptologen David Rohl vorgestellt.
Er sieht im Pischon den Sefid Rud (auch Qezel Uzan genannt), der die Stadt Rascht südlich umfließt und im
Kaspischen Meer endet. Der Grenzfluss namens Aras zwischen
Armenien und der Türkei, bzw. zwischen der aserbaidschanischen Enklave Nachitschewan
und dem Iran, soll bis ins 7. Jahrhundert Gyhun geheißen haben. Er umfloss einst das Land Kusch, das
in der Bibel erwähnt wird. Er mündet in der Nähe von Baku ins Kaspische Meer. Der
Garten Eden soll demnach in der Ebene zwischen der Stadt Täbris im Iran und dem
Urmia-See gelegen
haben. Das Wort Eden bedeutet im Sumerischen ‚Steppe‘. Die Gegend um den
Urmia-See ist heute sehr trocken, der See selbst ist im Begriff zu versalzen
und auszutrocknen. Paradies ist das altpersische Wort für umzäunten Palastgarten.
Sprachgeschichtlich deutet alles auf einen von Steppe bedrohten Garten. Rohls
Meinung würde von der Wissenschaft (noch) nicht akzeptiert, heißt es. Andere
Autoren verweisen auf eine mögliche Lage südlich des Schatt
el-Arab, dem Zusammenfluss von
Euphrat und Tigris, im Gebiet des Persischen Golfes oder an versunkene Inseln
in der Straße von Hormuz. Diese Lage erscheint mir weniger plausibel als Rohls
Vorschlag.
In der Vertreibung aus dem Paradies
sehen Kulturgeschichtler die Erinnerung an die Altsteinzeit, als der Mensch
noch keinen Ackerbau kannte und als Jäger und Sammler wörtlich ‚von der Hand in
den Mund‘ lebte. Diese Lebensweise wird in vielen Weltgegenden noch bis heute
gepflegt, etwa in der Südsee. Zeitlich gesehen fand der Übergang von der Altsteinzeit
zur Jungsteinzeit im Vorderen Orient (dem so genannten „Fruchtbaren
Halbmond“) vor etwa 20.000 bis 12.000
Jahren statt. Es war die Zeit der ersten Garten- und Feldbearbeitung, der
Domestizierung von Haustieren und der Gründung von Städten. In Europa und
Amerika vollzog sich dieser Übergang erheblich später.
Sintflut (um 5.600 vor Chr.)
Während der Lokalisierungsversuch für
den Garten Eden für mich neu war, gab es für die biblische Sintflut schon seit
längerem Erklärungsversuche. Das Ereignis, dass hier seinen Widerhall findet,
sei das Einbrechen von Mittelmeerwasser ins Schwarze Meer gewesen. Das
Besondere an diesem Ereignis ist, dass es außer in der Bibel auch im
Gilgamesch-Epos und andern Dokumenten aus der Region erwähnt wird.
Während der Vergletscherung der Alpen
und Skandinaviens (Würm- bzw. Weichsel-Eiszeit) vor etwa 12.000 Jahren lag der Wasserspiegel des Mittelmeeres etwa
120 Meter tiefer als heute. Später lag er immer noch etwa 35 Meter tiefer als
heute. Als durch Zufluss vom Atlantik der Wasserspiegel weiter anstieg, wurde
schließlich die Barriere zum Schwarzen Meer überschwemmt. Das geschah etwa 5.600
vor Christus. An Bohrkernen im Schwarzen Meer liegen die Ablagerungen eines
Salzmeers über denen eines Südwassersees. Eine Sandschicht dazwischen
bestätigt, dass es zwischenzeitlich heftige Turbulenzen und Wasserbewegungen
gab.
Die Ufer rund ums Schwarze Meer waren um
diese Zeit bereits dicht bewohnt, so dass es zur Überschwemmung menschlicher
Siedlungen und Abwanderungen ins Landesinnere kam. Der Berg Ararat, an dem die Arche des Noah schließlich gelandet sein
sollte, ist mit 5.137 Metern die mit Abstand höchste Erhebung im gesamten
Gebiet. Er hüllte sich den ganzen Tag in Wolken, als ich 1989 in Eriwan, der Hauptstadt Armeniens,
war. Wenn nicht an einer Bergwand, so kann der mittels eines Bootes geflüchtete
Noah auch nach der Beruhigung des Wassers irgendwo in der Nähe an Land gegangen
sein. Der bereits erwähnte Name der Enklave Nachitschevan heißt auf Deutsch
‚Land der Landung‘. In der Bibel und auch in den andern alten Schriften wird die
Sintflut als göttliche Reaktion auf eine Rebellion verführter Menschen
verstanden. Es wurde ein Teil der Menschheit flächendeckend ausgerottet.
Atlantis (um 1500 vor Chr.)
Jetzt kommt endlich eine Sage, bei der
ich einige der vermuteten Lokalitäten selbst in Augenschein nahm. Der ursprüngliche
und einzige Bericht steht bei Platon, und zwar in den um 360 vor Chr.
verfassten Dialogen „Timaios“ und „Kritias“. Er soll die Sage in Ägypten erfahren
haben. Laut Platon handelte es sich bei Atlantis um eine Seemacht, die
ausgehend von ihrer „jenseits der Säulen des Herakles“ (also im Atlantik) gelegenen Hauptinsel große Teile
Europas und Afrikas unterworfen hatte. Nach einem gescheiterten Angriff auf Athen
sei Atlantis schließlich um 9600 vor Chr. infolge einer Naturkatastrophe
innerhalb „eines einzigen Tages und einer unglückseligen Nacht“ untergegangen. Während
Althistoriker und Philologen überwiegend von einer Erfindung Platons ausgehen,
vermuten manche Autoren einen realen Hintergrund der Geschichte und unternahmen
unzählige Versuche, Atlantis zu lokalisieren (siehe auch Lokalisierungshypothesen
zu Atlantis).
Nachdem der britische Archäologe Arthur Evans
zu Beginn des 20. Jahrhunderts die minoischen
Ruinen auf Kreta ausgegraben und die vormalige Existenz dieser bis dahin
sagenhaften Kultur bewiesen hatte, wurden die ersten komplexen Theorien
aufgestellt, welche das minoische Kreta als das von Platon beschriebene
Atlantis identifizierten. Der griechische Archäologe Spyridon Marinatos (1901-1971) vertrat die Position, dass der Vulkanausbruch auf Santorin um
1500 vor Chr. eine Flutwelle (Tsunami) ausgelöst habe, welche die minoischen
Zentren auf Kreta vernichtete. Ich besuchte 1988 die von Marinatos
ausgegrabene Siedlung Akrotiri auf der Südseite der Insel Santorin. Spätere
Forschungsergebnisse zeigten allerdings, dass der Untergang der minoischen
Kultur erst geraume Zeit nach dem massiven Vulkan-Ausbruch erfolgte. Auf Kreta
gab es zum Beispiel auch spätere Keramikstufen, die in Akrotiri nicht mehr
vorkamen. Durch neuere dendrochronologische Untersuchungen wird der Ausbruch inzwischen auf das Jahr 1613 vor Chr.
(+/- 10 Jahre) datiert.
Ausgrabung in Akrotiri
Auch der französischen Meeresforscher Jacques-Yves
Cousteau (1910-1997) hat in den Gewässern vor Santorin im Auftrag der
griechischen Behörden in den Jahren 1975 und 1976 nach Überresten von Atlantis geforscht.
Sein Projekt soll mit 1,8 Mill. US-Dollar von der Staatskasse Griechenlands
subventioniert worden sein. Da es völlig erfolglos verlief, ließ Cousteau die
Öffentlichkeit wissen, bei der Sage von Atlantis handele es sich nur um ein von
Platon geschaffenes Märchen. Das legendäre Inselreich habe es nie gegeben. In
jüngster Zeit stoßen immer mehr Forscher (unter anderem aus Israel) zur ‚Minoer-Fraktion‘,
wobei das Minoer-Reich als riesiges Seefahrer-Imperium angesehen wird, das sich
über den gesamten Mittelmeer-Raum erstreckt haben soll.
Trojanischer Krieg (um 1300 vor Chr.)
Auch hier verbrachte ich 2003 einen ganzen
Tag auf Spurensuche. Heinrich Schliemann (1822-1890)
war der erste, der Homers Bericht in der Ilias einen wahren historischen Kern zugrunde legte. Er und
seine Nachfolger ̶ so der
Tübinger Archäologe Manfred Korfmann (1942-2005) ̶ wiesen
eindeutig nach, dass es der Hisarlik-Hügel bei Canakkale an der türkischen
Dardanellenküste war, auf dem das Troja Homers stand. Die von Homer
beschriebene Landschaft der Troas sieht genau so aus, wie er sie beschrieb. Das
Meer ist sowohl in westlicher Richtung als auch nach Norden ungefähr gleich
weit entfernt. Es war im Altertum sicherlich noch näher, da der Fluss, der an
der Stadt vorbeifließt, Geröll und Sand angelandet und die Küstenlinie nach
außen verschoben hat.
Osttor der Kernstadt
Im Grunde ist Troja ein riesiger
Schutthügel, in dem Generationen von Archäologen ihre Grabungsspuren
hinterlassen haben. Gut zu erkennen und gut beschildert sind die verschiedenen
historischen Schichten, die mit Troja I bis Troja XIII bezeichnet sind. Troja
VII gilt als die Schicht, die im trojanischen Krieg, also um 1300 vor Christus,
zerstört wurde. Troja XII war eine römische Stadt. Troja XIII war ein
byzantinischer Bischofssitz, der bis ins neunte Jahrhundert bestand. Unsere
Besichtigung begann am Osttor der Stadt. Die freigelegte Stadtmauer ist hier
mehr als fünf Meter hoch und schräg nach hinten geneigt. Mitten durch den Hügel
von Hisarlik hat Heinrich Schliemann einen tiefen Graben in nord-südlicher
Richtung gezogen. Er begann diesen an der Seeseite, da hier die Mauer etwas
abgerutscht war. Er legte Häuser in der Schicht II frei, die mit
Fischgrätmustern verziert sind und aus der Steinzeit stammen.
Schliemann-Graben
Fündig wurde er aber schließlich am
Westtor, als er neben der Rampe in einer Nacht-und-Nebel-Aktion den so
genannten Schatz des Priamos ausgrub. Heute sagen die Archäologen, hätte er ihn
doch nur gleich am Anfang gefunden. Er hätte die Stadt weniger zerstört. In der
Ebene zwischen nördlicher Stadtmauer und Meer liegen zwei Grabhügel, die seit
der Antike als die Gräber von Achill und Hektor angesehen werden. Sie wurden
bisher nicht geöffnet.
Westtor mit Rampe
Der Tübinger Archäologe Korfmann war der
Ansicht, dass Troja eine Handelsniederlassung der Hethiter war. Er fand unter
anderem eine Tontafel in hethitischer Keilschrift. Darin schreibt eine Mutter
ihrem Sohne: „Sag Deiner Frau, sie soll während Deiner Abwesenheit bei mir
wohnen. Das ist besser für die öffentliche Meinung“. Dass nur deutsche
Archäologen in Troja graben, fand unser Reiseleiter eher problematisch. Man
erfahre dann nämlich nur, was gefunden wurde, wenn man deutsch lesen kann. Die türkische
Regierung täte nichts, um ihre Bevölkerung über das Erbe aus griechischer Zeit
zu informieren.
Hängende Gärten der Semiramis (um 700
vor Chr.)
Während der Turm von Babel eindeutig als
gestufter Tempelturm (Zikkurat)
erklärt wurde, ist die Lage und das Alter der Hängenden Gärten umstritten. Das
Gebiet südlich von Bagdad mit den Städten Ur, Uruk und Babylon ist das Gebiet, in
dem die Sumerer die
ersten städtischen Siedlungen der Menschheit gründeten. Hier wurde auch die
älteste Schrift der Menschheit, die Keilschrift, erfunden. Sie diente zur
Unterstützung der Verwaltung und Buchhaltung. Die Gärten kommen in einer
Vielzahl von Berichten meist griechischer Autoren vor. Sie galten als eines der
sieben Weltwunder der Antike. Die griechische Sagengestalt der Semiramis
wird manchmal mit der assyrischen Königin Schammuramat
gleichgesetzt, die um 800 vor Chr. gelebt haben soll.
In den Quellen wird ein
terrassenförmiges Gebäude beschrieben mit einer Seitenlänge von 120 Metern. Die
Terrassen erreichten eine Höhe von etwa 25 bis 30 Metern. Unter den einzelnen
Stufenabsätzen sollen sich Gänge befunden haben. Die Etagenböden sollen aus dicken
Bleiplatten bestanden haben sowie Lagen aus Stroh, die mit Asphalt durchdrängt
waren. Darauf war Humus angebracht. Der deutsche Archäologe Robert Koldewey
(1855-1925) vermutete den Garten im Nordostteil des Südpalastes, dessen
Fundament aus mehreren überwölbten Räumen bestand. Dieser Bau wird heute der
Zeit des Nebukadnezar II. (605-562 vor Chr.) zugerechnet, unter dessen
Herrschaft sich das jüdische Volk im babylonischen Exil befand.
Künstlerische Darstellung (16. Jht)
Eine neue,
recht überzeugende Auffassung wird von der englischen Assyrologin und
Keilschriftexpertin Stephanie Dalley vertreten. Sie legte bereits Anfang der 1990er Jahre Argumente
für die Deutung vor, die Hängenden Gärten seien der Palastgarten des
assyrischen Königs Sanherib gewesen, der rund 100 Jahre vor dem babylonischen
König Nebukadnezar II. gelebt hatte. Dieser Palastgarten liegt in Ninive am Tigris, einem
Stadtteil der heutigen Stadt Mosul. Der Garten sei für Sanheribs Gattin Tāšmetun-Šarrat erbaut worden. Dalley untermauerte 2013 ihr Plädoyer
für Ninive in einem Buch mit weiteren Belegen aus topografischen Untersuchungen
und historischen Quellen. In einer von Arte ausgestrahlten Fernsehsendung
zeigte sie vor kurzem Reste eines Aquädukts mit Saheribs Namen auf jedem Bogen.
Die Bögen haben exakt die Form, wie sie in alten Zeichnungen vorkommen, welche
die Hängenden Gärten darstellen sollen. Für die Gewinde, auch archimedische
Schrauben genannt, mit deren Hilfe
das Wasser innerhalb des Gartens nach oben transportiert wurde, wird in alten
Keilschrifttexten das Wort für Dattelpalme benutzt. Eine Palme, deren Blätter spiralförmig
von unten nach oben entfernt worden waren, gab ihr den erklärenden Hinweis.
Wegen der militärischen Lage wagte sie es nicht, selbst das Palastgelände zu betreten.
Sie fand jedoch zwei mutige Männer, die in ihrem Auftrage das Gelände
fotografierten. Deutlich lässt sich ein zum Flussufer sich neigender Hang
erkennen. Sanherib ist der hebräische
Name des neuassyrischen Königs, der von etwa 705 bis 680 vor Chr. regierte. Er war der Sohn Sargons II., eines Königs, der Historikern besser bekannt ist und
der von 721 bis 705 vor Chr. regierte. Im Jahre 612 vor Chr. wurde Ninive
als dritte und letzte Hauptstadt Assyriens (nach Assur und Nimrud) von den Medern
und Babyloniern zerstört.
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