Montag, 5. Mai 2014

Über das Fellow-Programm der IBM – früher und heute

Das von Manfred Roux, einem der Betreuer dieses Blogs, durchgeführte Interview mit Namik Hrle (durch Anklicken aufrufen!) gibt Gelegenheit, an drei Fellows aus bzw. in Böblingen zu erinnern. Ein IBM Fellow ist die höchste technische Karrierestufe und Auszeichnung bei der Firma IBM. Das Programm besteht seit 1963. Früher konnten Fellows über fünf Jahre ihr Arbeits- und Forschungsfeld frei wählen und erhielten dafür ein Budget. Das Fellow-Stipendium konnte nach fünf Jahren um jeweils weitere fünf Jahre verlängert werden, nach entsprechender Bewertung. Jedes Jahr wurden weniger als zehn neue IBM Fellows ernannt.

Aus dem Böblinger Labor stammten Otto Folberth und Siegfried Wiedmann. Beide repräsentieren die Anfänge der Böblinger Halbleiter-Entwicklung. Dieser Bereich des Labors legte den Grundstein für den weltweiten Ruf des Labors.

Otto Folberth (1924- ) ist promovierter Physiker von der Universität Erlangen. Von 1952 bis 1960 war Folberth wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungslaboratorium der Siemens-Schuckert-Werke AG in Erlangen. Ab 1961 leitete er den Aufbau der Halbleiter-Entwicklung im Böblinger Labor der IBM. Die dort entwickelten hochintegrierten Halbleiterkomponenten, wie etwa der berühmte Riesling-Speicherchip, fanden Verwendung in vielen weltweit vermarkteten Computersystemen der IBM. Folberth wurde im Jahre 1974 zum ersten IBM Fellow in Deutschland ernannt. Ab 1983 bis zur Pensionierung im Jahre 1989 war er Direktor für Wissenschaft der IBM Deutschland. Von 1968 bis 1988 war er Lehrbeauftragter (und ab 1974 auch Honorarprofessor) an der Universität Stuttgart. Von 1988-1990 war Folberth Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft

Siegfried Wiedmann (1938- ) ist in Plochingen am Neckar geboren und hat an der Universität Stuttgart Elektrotechnik studiert. Er erwarb 1963 das Diplom und schloss 1967 seine Promotion ab. Danach arbeitete er für IBM im Labor Böblingen und in den USA. Im Jahre 1971 erfand er zusammen mit Horst Berger eine einfachere Logik für elektronische Schaltkreise. Diese als I2L (engl. integrated injection logic) oder MTL (engl. merged transistor logic) bezeichnete Schaltkreis-Logik erfordert pro Gatter nur zwei statt drei Transistoren. Sie benötigt deutlich weniger Strom und ist störungsunempfindlicher als die bis dahin benutzte Transistor-Transistor-Logik (TTL). Im Jahre 1977 erhielt er den seit 1919 vergebenen IEEE Morris N. Liebmann Memorial Award (mit Horst H. Berger). Er wurde 1979 zum IBM Fellow ernannt. Ab Mitte der 1980er Jahre wurde er Honorar-Professor an der TU Berlin, wo Horst Berger die Mikroelektronik aufgebaut hatte.

Neben Folberth und Wiedmann möchte ich einen dritten Fellow erwähnen, der für die Zeit seines Fellow-Stipendiums ins Böblinger Labor versetzt wurde. Um Heinz Zemanek zu würdigen, reichen einige wenige Zeilen nicht aus. Ich werde deshalb nur auf seine Böblinger Jahre eingehen. Wer ihn kennt, kann sich vorstellen, dass die Umsiedlung von der Weltstadt Wien in die schwäbische Provinz für ihn eher schmerzlich als erfreulich war. Das Wort der babylonischen Gefangenschaft fiel, ob von ihm oder seinen Freunden, weiß ich nicht mehr.

Heinz Zemanek (1920- ) hatte 1961 das Wiener Labor der Firma IBM gegründet, als er mit seiner Forschungsgruppe zusammen die Wiener Universität verließ. In den Jahren zwischen 1968 und 1975 wurde seine Gruppe mit der formalen Definition der Programmiersprache PL/I betraut. Die daraus hervorgegangene Vienna Definition Language (VDL) wurde weltbekannt. Nach der Überführung des Wiener Labors in ein Produktentwicklungslabor erhielt Zemanek 1976 den Titel und das Budget eines IBM Fellows. Sein Stipendium war mit einer Umsiedlung in das Böblinger Labor der IBM verbunden, wo es damals eine sehr aktive Compiler-Entwicklung gab. Zemanek wählte als Arbeitsgebiet die Grundlagen formaler Beschreibungsmethoden. Er befasste sich unter anderem mit dem römischen Architekten Vitruv (erstes Jahrhundert vor Christus), dessen Gedanken zur Arbeitsweise von Architekten er auf Computer-Systeme und Programmiersprachen übertrug. Mich überzeugte er, einen Umweg nach Chiwa in Usbekistan zu machen, zum Geburtsort von Al Choresmi, dem ersten Algorithmiker. Zemanek pflegte Kontakt zu mehreren deutschen Unternehmen und Universitäten. Als brillanter Redner war er sehr begehrt.

2 Kommentare:

  1. Es drängt mich, einige Daten bezüglich Heinz Zemanek nachzutragen. Zemanek war nur zweieihalb Jahre in Böblingen. Im Mai 1979 kehrte er nach Wien zurück. Dort befasste er sich weiter mit dem Thema ‚Abstrakte Architekturen‘. Außerdem nahm die Beschäftigung mit der Geschichte der Informatik einen großen Raum ein. Zwischen 1980 und heute erhielt Zemanek etwa 40 internationale Preise und Auszeichnungen, darunter die IEEE Computer Pioneer Medal (1986), die John-von-Neumann-Medaille der ungarischen Computer-Gesellschaft (1989), die Goldene VDE-Ehrennadel (1995), den L.L. Auerbach Award der IFIP (1998), sowie den Eduard-Rhein-Ehrenring (1998). Die österreichische Computer-Gesellschaft vergibt seit 1985 alle zwei Jahre den Heinz-Zemanek-Preis an ihre Mitglieder. Ich besuchte Zemanek zuletzt im Jahre 2003 in seinem Büro an der TU Wien. Zum Jahreswechsel erhalte ich regelmäßig seine Aktivitätsberichte, mit denen er seinen Bekanntenkreis bezüglich Vorträgen, Veröffentlichungen, Ehrungen und Reisen auf dem Laufenden hält.

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  2. Am 12.5.2014 schrieb Hartmut Wedekind aus Darmstadt:

    Übrigens: Zemanek war häufig in Erlangen, auch u.a. anlässlich der Verleihung des Dr. Ing. E.h. . Die Weiterführung der Ideen des Wiener Kreises hat ihn mächtig interessiert. Auch die hübsche Geschichte zum Thema, wie kam Wittgenstein I (der „Abbild-Theoretiker“) zum Wittgenstein II (Die pragmatische Wende. z.B. §43 „Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache“, oder §132:“Die Verwirrungen, die uns beschäftigen, entstehen gleichsam, wenn die Sprache leerläuft, nicht wenn sie arbeitet"), die hübsche Geschichte habe ich von ihm. Die Geschichte geht wie folgt: „Wittgenstein sah, wie ein Polizist einen Verkehrsunfall protokolierte und war darüber empört, dass dieses Protokoll ein Abbild des Geschehens sein sollte“. So wurde aus Wittgenstein I ein pragmatischer Wittgenstein II, der nach dem Handeln fragt. Ein Protokoll über einen Verkehrsunfall war die Ursache für die Wende von I nach II.

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