Freitag, 9. Mai 2014

Über Logik, Verallgemeinerungen und Metapher in der Wissenschaft

‚Philosophische Interessen sind bei Ingenieuren häufig eine Alterserscheinung‘. Diesen Satz fand ich dieser Tage am Beginn eines Artikels von Heinz Zemanek über philosophische Aspekte der Informatik [1]. In den letzten Tagen griffen zwei meiner Freunde und Blog-Partner einen wissenschaftstheoretischen Themenkreis auf, der in diesem Blog früher schon aus etwas anderer Perspektive behandelt wurde. Es geht um die Rolle von Logik, Abstraktion und Begriffsbildung in den Wissenschaften.

Am 4.5.2014 schrieb Hans Diel aus Sindelfingen:

Vor einigen Tagen wurde ein Artikel von mir, den ich bei einem amerikanischen Physikjournal eingereicht hatte, zurückgeschickt mit der Begründung, der Artikel enthielte zu viele philosophische Betrachtungen. Auf meine Rückfrage hin, was dabei das Problem sei, kam folgende Antwort: "Theoretical physics is an exact science, in contrast to philosophy where logics or other sort of working rules" (sic!). Meine Reaktion darauf schwankt immer noch zwischen Empörung und Belustigung. Abgesehen davon, dass ihr Englisch nicht sehr verständlich ist, scheint die Redakteurin – von der ich annehme, dass sie Physikerin ist  ̶  Exaktheit und logische Korrektheit als Alternativen (oder gar Gegensätze) zu sehen.

In den Jahren, in denen ich mich mit einigen Gebieten der Physik intensiver beschäftigt habe, habe ich viele Stellen gefunden, wo die Physik alles andere als exakt ist. Oft ging dies einher mit unsauberer Logik. Nachdem ich mich etwas beruhigt hatte, wurden mir zwei Punkte bewusst: (1) Die Geringschätzung der Logik (und der Philosophen) ist weit verbreitet, selbst unter Naturwissenschaftlern. (2) Genau so weit verbreitet wie die Geringschätzung der Logik (und vielleicht sogar ein Grund für die Geringschätzung) ist das Unverständnis darüber, was eigentlich der Gegensatz zu Logik ist. Zum zweiten Punkt habe ich einige Gedanken:

(1) Logik versus Exaktheit: Ich bleibe dabei, dass ein solcher Gegensatz Unfug ist und eines Wissenschaftlers nicht würdig ist. Ich kann nur mit etwas gutem Willen spekulieren, dass die oben erwähnte Physikerin den Philosophen damit den Vorwurf machen will, dass diese zwar logisch sauber argumentieren, dies jedoch sehr oft auf der Grundlage von nicht exakten Fakten tun.

(2) Logik versus Intuition oder (Bauch-)Gefühl: Den Vorwurf, dass logisches Vorgehen oft weniger erfolgversprechend ist als auf das Gefühl oder die Intuition zu vertrauen, bekomme ich persönlich auch oft zu hören. Es gibt auch viele Bücher zu diesem Thema. In den Büchern werden natürlich auch viele (zum Teil berühmte) Beispiele genannt, wo tatsächlich die intuitive Vorgehensweise erfolgreich(er) war. Für mich hatten die Beispiele alle gemeinsam, dass entweder (a) die Faktenlage so dürftig war, oder (b) die Zeit innerhalb der eine Entscheidung gefunden werden musste so kurz war, dass logische Überlegungen zu recht zu Gunsten von Intuition zurückgestellt werden mussten. Es gibt natürlich auch viele Berufe in denen aus der Erfahrung erworbene Intuition einen großen Wert hat gegenüber Logik und Fachwissen.

(3) Logik versus Unlogik: Es gibt meines Erachtens sicher Gebiete, wo bei der Suche nach Erkenntnisgewinn die Anwendung von Logik einen sehr hohen Stellenwert hat. Für mich zählen dazu in erster Linie Mathematik und Philosophie. Daneben gibt es natürlich auch Gebiete, in denen andere Aspekte, wie das Erforschen der Fakten oder Intuition, wichtiger sind als logisches Denken (z.B. Archäologie, Zoologie, Psychologie, Medizin). Den begrenzten Stellenwert logischer Argumentation anzuerkennen, sollte jedoch nie bedeuten, dass unlogische Aussagen toleriert oder akzeptiert werden. Auch wenn die Wichtigkeit der Logik je nach Arbeitsgebiet unterschiedlich bewertet werden sollte, ganz ohne Logik, oder konträr zur Logik geht es nie.

(4) Logik versus Unentscheidbarkeit: Anfang des 20. Jahrhunderts dachten die "Päpste" der Mathematik (Hilbert) und der Philosophie (Russel) es müsse möglich sein, alleine durch logisches Schließen aus einem passenden Satz von Axiomen alle für das Gebiet (z.B. Arithmetik) wahren Aussagen abzuleiten. Ein anderer berühmter Mathematiker (Gödel) hat (auch alleine durch logisches Schließen) bewiesen, dass dies nicht möglich ist. Es gibt Aussagen für die, obwohl sie logisch sauber formuliert sind, grundsätzlich (d.h. nicht etwa auf Grund unklarer Faktenlage) nicht entschieden werden kann ob sie wahr oder falsch sind.

(5) Logik versus Absurdität: Die radikalste Infragestellung (westlicher) Logik ist mir in der chinesischen Philosophie des Taoismus begegnet. Es liegt in der Natur des Themas, dass das "Tao" nicht in einigen Sätzen erklärt werden kann (davon abgesehen, dass ich nicht sicher bin, es selbst verstanden zu haben). Man braucht dazu mindestens ein ganzes Buch. Aus dem Buch von Raymond Smullyan mit dem Titel "Das Tao ist Stille" dazu einige Sätze die vielleicht erahnen lassen, was mit "Tao" gemeint ist:

- Das Tao ist vage.
- Das Tao ist formlos.
- Das Tao und der Weise diskutieren nicht.
- Das Tao ist gut, aber ohne Moral.
- Das Tao ist ein erfrischendes Paradoxon.

Berühmt sind die kleinen, absurd anmutenden, Gedichte ("Haiku" genannt) der Tao-Weisen. Beispiel: Das Hundejunge,  Das nicht weiß, dass schon Herbst ist,  Muss ein Buddha sein.

Die obige Überschrift "Logik versus Absurdität" klingt geringschätzig, ist jedoch von mir nicht so negativ gemeint. Dahinter steckt die Vermutung, dass man den begrenzten Stellenwert der Logik nur unzureichend mittels Logik und logischer Argumente begründen kann. Dazu passt sehr gut, dass der Autor des oben zitierten Buches (R. Smullyan), der sich mit dem Buch als Tao-Verehrer geoutet hat, ein in Fachkreisen bekannter Professor für Mathematische Logik ist. Für mich ist er damit einer der wenigen Wissenschaftler, der bei aller Liebe zu seinem Arbeitsgebiet, doch dessen beschränkte Bedeutung anerkennt.

Am 5.5.2014 schrieb Peter Hiemann aus Zarzis (Tunesien):

Zu Platons Zeiten waren Philosophen angesehene Persönlichkeiten, die „Wissenschaft“ betrieben. Sie stellten sich den konkreten Problemen ihrer Zeit und fragten sich unter Anderem „Was kann ich wissen?“. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass einige heutige Philosophen die Domänen Logik, Erkenntnistheorie und Metaphysik für Kronen der obersten philosophischen Disziplin erachten, ohne ihre Aufmerksamkeit auf aktuelle Probleme unserer Zeit zu richten.

„Philosophen … beanspruchen mehr oder weniger, die letzten und unhintergehbaren Grundlagen allen Denkens und aller Wahrheit, d. h. die fundamentalsten Gesetze und Strukturen der Wirklichkeit darstellen zu können.“ (Wikipedia über Theoretische Philosophie).

Sollen Philosophen oder andere bekennende Logiker unter sich über Logik soviel disputieren, wie sie wollen. Ich bin der Meinung, dass das Thema Logik am besten bei Mathematikern aufgehoben ist. Der mathematische „Gigant“ David Hilbert war sich letztlich auch sicher, dass formal logisch korrekte Prozeduren nicht ausreichen, um alle logisch korrekten Aussagen in einem hinreichend komplexen System zu beweisen. Zu Ihren Einschätzungen über die generelle Wichtigkeit logischen Schlussfolgerns will ich mich aber gerne äußern:

Zu (1) „Die Geringschätzung der Logik (und der Philosophen) ist weit verbreitet, selbst unter Naturwissenschaftlern.“

Ich denke, dass alle Naturwissenschaftler ihre Denkmodelle, Arbeitshypothesen und Theorien in sich logisch schlüssig konstruieren und formulieren müssen. Das bedeutet aber nicht, dass naturwissenschaftliche Theorien ausschließlich auf formal logischen Prinzipien beruhen. Es gibt viele Beispiele für logisch korrekte Theorien, die aber durch empirische Erkenntnisse mit der Zeit „ergänzt“ wurden. Eines der bekanntesten Beispiele betrifft die Theorie unseres Sonnensystems: Ptolomäus → Kopernikus → Galilei → Kepler → Newton → Einstein → ??  An dem Beispiel lässt sich auch die abnehmende Rolle philosophischer (religiöser orientierter) Denkmodelle auf naturwissenschaftliche Modelle erkennen.

Zu (2) „Genau so weit verbreitet wie die Geringschätzung der Logik (und
vielleicht sogar ein Grund für die Geringschätzung) ist  das Unverständnis
darüber was eigentlich der Gegensatz zu Logik ist.“

Meines Erachtens existiert zu mathematisch definierter Logik kein Gegensatz. Gegensätzliche Einschätzungen von Theorien, die Naturphänomene erklären wollen, existieren aber sehr wohl. Die bekanntesten Beispiele betreffen die gegensätzlichen Vorstellungen von Vertretern des Kreationismus und Vertretern der Evolutionstheorie. Beide berufen sich auf logisch korrektes Schlussfolgern. Die Kreationisten basieren ihre Vorstellungen auf der Existenz eines transzendenten „Intelligent Designers“. Die Evolutionisten basieren ihre Vorstellungen auf empirisch beobachtbaren Prinzipien der Natur.

Am 6.5.2014 schrieb Hans Diel:

Bei Ihrem Bezug auf Hilbert bin ich mir nicht sicher ob die Erkenntnis von Gödel richtig interpretiert wurde. Deshalb nochmals:

Logik versus Exaktheit: Mir ist schon öfter aufgefallen, dass (scheinbar oder tatsächlich) bahnbrechende Erkenntnisse auf einem Gebiet der Wissenschaft, bei der Publikation in Zeitschriften und populärwissenschaftlichen Büchern, so vereinfacht und verallgemeinert werden, dass das Ergebnis ziemlich verbogen oder gar verfälscht wird. Vereinfachung ist bei derartigen Publikationen natürlich meistens notwendig. Oft wird jedoch unnötig verallgemeinert und die sachlich richtige und wichtige Erkenntnis zu einem allgemeinen Prinzip des Fachgebiets, oder gar der Weltanschauung erhoben. Ich nenne den Vorgang mal „Philosophierung“  (ein hässliches Wort. Weiß jemand ein besseres Wort?). Beispiele für Philosophierungen: Da werden aus:

 - (A) der Erkenntnis, dass der Ort des Elektrons zu gewissen Zeiten räumlich ausgedehnt ist, die Aussage (B) dass der Ort nur mit einer gewissen Präzision gemessen werden kann (Heisenberg).

 - (A) der Tatsache dass das Verhalten des Elektrons (oder Photons, etc.) schlecht mit dem klassischen Bild eines Teilchens oder einer Welle beschrieben werden kann, (B) das Komplementaritätsprinzip (Bohr).

 - (A) der Entdeckung, dass die Erweiterung des Lagrangian um einen Term der das Higgs-Teilchen vorhersagt, (B) die Aussage man habe nun (endlich) verstanden woher die Teilchen ihre Masse bekommen.

 - (A) der Feststellung, dass die Evolutionstheorie ohne die Annahme eines Ziels der Evolution auskommt, (B) die Aussage es gibt kein Ziel bei der Entwicklung des Lebens in unserem Universum.

 - (A) Erkenntnissen der Genforschung, (B) das Prinzip „der „egoistischen Gene“. 

 - (A) der Feststellung, dass die Formeln für die Berechnung von physikalischen Vorgängen keine Zeitrichtung bevorzugen, (B) die Aussage es gibt keinen Zeitpfeil bei der Entwicklung unseres Universums.

Die Liste könnte ich noch erweitern. Ich bin mir nicht sicher ob ich die A-Aussagen immer korrekt formuliert habe und ob der Unterschied zwischen den A-Aussagen und den B-Aussagen jeweils auf Anhieb ersichtlich ist. Diese Schwierigkeit  ist jedoch genau die Ursache des Problems. Die A-Aussagen sind die ursprünglichen exakten Aussagen der Wissenschaftler. Die B-Aussagen sind durch die „Philosophierung“ der A-Aussagen entstanden. Übrigens, kann es durchaus sein, dass auch (einige der) B-Aussagen zutreffend sind. Nur sollte man nicht so tun als wäre (A) und (B) identisch oder als würde (B) logisch zwingend aus (A) folgen.

Wenn also die oben erwähnte Physikerin geschrieben hätte „Die Physik ist eine exakte Wissenschaft und sollte sich nicht mit der Philosophierung ihrer Erkenntnisse beschäftigen“, dann hätte sie dafür meine volle Zustimmung. Leider muss ich jedoch feststellen, dass es fast immer die jeweiligen Wissenschaftler (z.B. Physiker) selbst sind die ihre (zweifellos wichtigen) Erkenntnis durch Philosophierung noch wichtiger machen wollen. Den Philosophen bleibt dann oft nur noch die unausgegorenen Philosophien der Naturwissenschaftler zu vertiefen oder abzuwandeln. Ich beobachte jedoch auch zunehmend, dass es Philosophen gibt die ein Fachgebiet (z.B. Physik) gut genug kennen, so dass sie die Originalaussage (A) kennen und verstehen und die jeweiligen logischen Schwachstellen beim Übergang von (A) nach (B) sehen.

Am 6.5.2014 antwortete Peter Hiemann:

Mein Verständnis von Hilberts Vorschlag, mit finiten Methoden die Widerspruchsfreiheit der Axiomensysteme der Mathematik nachzuweisen und Gödels Unvollständigkeitssatz, der unter anderem zeigt, dass das Hilbert-Programm die von ihm angestrebte vollständige Axiomatisierung der Mathematik nicht gänzlich erfüllt werden kann, basiert auf Douglas Hofstadters Erklärungen in dessen Buch „Gödel, Escher, Bach“. Hofstadter beschreibt, wie formale Systeme, die auf Axiomen beruhen, funktionieren.

Am 8.5.2014 ergänzte ich (Bertal Dresen) die obige Diskussion:

Da ich einige Tage verreist war, möchte ich dem oben gesagten drei Bemerkungen hinzufügen:

(1) Was Hans Diel als ‚Philosophierung‘ bezeichnet, nannte ich andernorts ‚unzulässige Verallgemeinerung‘ oder Abstraktionitis. Die Versuchung, in diese Falle zu geraten, ist umso größer, je mehr man von Abstraktionen schwärmt. Manche Naturwissenschaftler verlassen die wissenschaftliche Basis ihres Faches (oder die Wissenschaftlichkeit überhaupt), wenn sie anfangen zu verallgemeinern. Das gilt erst recht für Techniker und Ingenieure. Aussagen, die für Äpfel gewonnen wurden, können nicht deshalb auf Birnen übertragen werden, weil beide zur Oberklasse Obst gehören. Sie müssen zuerst (induktiv) auch für Birnen nachgewiesen werden. Nur externes (semantisches) Wissen gestattet die Deduktion, nicht die Mathematik. Nur wer die (biologische) Geschichte kennt, kann gewisse Eigenschaften aus der Oberklasse Obst deduktiv ableiten. Entsprechende Diskussionen in diesem Blog sind notorisch. ‚Genau hinsehen vermehrt das Unterschiedliche und reduziert das Gleiche‘ sagte Zemanek an der zitierten Stelle.

(2) Mir missfällt bei einigen Logikern deren Arroganz, die darin besteht, dass sie grundsätzlich jede Semantik ignorieren, also den Bezug auf die Realität. Das ist die Voraussetzung dafür, dass sie ihren Sport betreiben können. Der Preis ist der der Irrelevanz. Was kümmert uns die Erde mit ihrem Dreck, also ‚Banalitäten‘ wie Zeit, Geld oder Leben. Hauptsache, wir können (Gehirn-) Sport betreiben. Logik (erster Ordnung) ist ein Jonglieren mit drei Wörtern (‚nicht‘, ‚und‘, ‚oder‘). Erst im zweiten Semester kommen Ausdrücke mit Quantoren vor ('für alle' und 'es gibt'). Die Sprache, ein vom Menschen geschaffenes Werkzeug, ist die Hauptquelle ihrer Weisheit.

(3) Irgendwo habe ich in letzter Zeit gelesen, dass sehr oft am Anfang einer neuen Erkenntnis Metapher stehen. Wir stellen eine gewisse Ähnlichkeit fest und verwenden gemeinsame Begriffe. Nur so könnten wir denken. Erst wenn wir merken, dass die Metapher mehr schadet als nutzt, suchen wir ein neues Wort. Beispiele gibt es viele. Die Physik ist voll davon. Ich denke an Kraft, Ladung, Spannung, Strahlung, Welle, Widerstand und dergleichen. Oft übernehmen wir auch Begriffe aus andern Sprachen wie Latein und Englisch.

Referenz:
  1. Zemanek, H.: Philosophische Wurzeln der Informatik im Wiener Kreis. In: Philosophie und Informatik. (P. Schefe et al., Hrgs.) 1993

6 Kommentare:

  1. Am 9.5.2014 hatte ich mit folgendem Kommentar auf meinen Blog-Eintrag hingewiesen::

    Seit Ludwig Wittgenstein erdreisten sich sogar Ingenieure den Berufsphilosophen in die Suppe zu spucken. Ich habe den großen Vorteil, dass ich gleich bei Wittgenstein II beginnen darf. Er hatte Teile der damaligen Philosophie als Wortspielerei bezeichnet. Manchmal habe ich den (hoffentlich falschen) Eindruck, dass dieser Zweig im Erlanger Konstruktivismus weiterlebt.

    Es freut mich besonders, dass meine Freunde ebenso gerne an der Philosopie (bzw. dem, was davon noch übrig geblieben ist) herumknabbern wie ich.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Am 12.5.2014 antwortete Hartmut Wedekind aus Darmstadt:

      Unter den Erlanger Konstruktivisten gibt es ausgesprochene Wittgenstein I + II Spezialisten. "Wittgenstein hat die Erlanger auf die Sprünge geholfen" sagte einmal der Altmeister Lorenzen. "Und dann weiter". Nur in ethischen Fragen sagte Wittgenstein 'God may help you'.

      Schauen Sie mal ins Mittelstraß-Lexikon [Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, 4 Bde. 1995]. Der bekannteste unter den Erlanger Wittgenstein-Spezialisten ist der Friedrich Kambartel, der der Münsteraner Logik-Schule um Hermes entstammt. Philosophisch hatte er beim berühmten Ritter in Münster gelernt. Er (Jahrgang 1935) gehörte als Jüngster zur Ritter-Schule, u.a. mit Lübbe, Spaemann und Odo Marquart, alle so Jahrgang 1927.

      Löschen
  2. Am 12.5.2014 schrieb Peter Hiemann aus Zarzis (Tunesien):

    „Der Erlanger Konstruktivismus macht sich die nachvollziehbare Rekonstruktion von Begriffen zum Programm und ist bestrebt, begriffliche Unklarheiten in der Wissenschaft zu erkennen, begründete Alternativen dazu zu erarbeiten und auf diesem Wege Missverständnismöglichkeiten im wissenschaftlichen Austausch zu verringern. Er ist auf den Konsens der wissenschaftlichen Gemeinschaft ausgerichtet.“ (Wikipedia)

    Am 7.4. 2014 ergab sich die Gelegenheit, konkret zu hinterfragen, ob und welchen Beitrag die Erlanger Konstruktivisten wie Friedrich Kambartel leisten könnten, um ‚Missverständnismöglichkeiten‘ hinsichtlich biologischer Interaktionen zu verringern.

    „Wenn nun Biologen reden etwa wie folgt: „Die eine Zelle informiert die andere über ihren Zustand“ wo ist da die Trägerhandlung? Oder ist das biologische Informieren keine symbolische Handlung? Vermittels was wird in der Biologie informiert?“

    Würden wir uns bei der Beantwortung dieser Fragen auf die Erlanger Konstruktivisten verlassen, stünden wir wohl ähnlich wie Goethes Faust da:

    Habe nun, ach! Philosophie,
    Juristerei und Medizin,
    Und leider auch Theologie
    Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.
    Da steh ich nun, ich armer Tor!
    Und bin so klug als wie zuvor.

    NB (Bertal Dresen): Zur Klarstellung: Die obige Frage Hartmut Wedekinds war an Biologen gerichtet. Peter Hiemann antwortete am 13.4. 2014 mit einem 7-seitigen Artikel. Irgendwo darin muss die Antwort stehen. Ich selbst habe versucht, eine kürzere Antwort auf die Fragen von Hartmut Wedekind vom 7.4.2014 zu geben. Hier mein zaghafter Versuch::

    Frage 1: Wenn nun Biologen etwa wie folgt reden: „Die eine Zelle informiert die andere über ihren Zustand“, wo ist da die Trägerhandlung?

    Es werden elektrische Impulse von Zelle zu Zelle übertragen oder chemische Reaktionen ausgeführt

    Frage 2: Oder ist das biologische Informieren keine symbolische Handlung?

    Dieser Begriff macht in der Biologie keinen Sinn.

    Frage 3: Vermittels was wir in der Biologie informiert?

    Eine Zelle selektiert aus allen Signalen (oder Daten), die sie empfängt, diejenigen heraus, die sie interpretieren kann. Sie reagiert, basierend auf gespeicherter Erfahrung und Plan

    Frage 4: Gibt’s in der Biologie so etwas wie ein Kommunikationsprotokoll, das als Trägerhandlung abläuft, um so den Informationsaustausch erst zu ermöglichen?

    Die Kommunikation erfolgt als stetig laufender Strom von Daten (Impulse, chemische Reaktionen), aus denen jede Zelle das auswählt, was sie versteht bzw. nutzen kann.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Am 14.5.2014 schrieb Hartmut Wedekind:

      „Die Zelle selektiert Information“ heißt es im Text. „Selektieren“ ist aber auch ein aktives Handeln. Hier auf Signalniveau. Oder? Man erkennt: Den biologischen Vorgängen wird etwas aus unserer Sprachwelt übergestülpt. Man redet metaphorisch, in Bildern. „Die Erde dreht sich um die Sonne“. Ja das stimmt. Aber „drehen“ ist jetzt kein Handeln, sondern ein Vorgang oder ein Geschehen. Was ist der Unterschied zwischen „Handlung“ und „Vorgang“? Das lässt sich an drei Verben erklären: Geschehen (happen), verhalten (behave), handeln (act).

      Der Unterschied zwischen Verhalten und Handeln ist klar. Wenn ich huste, weil ich erkältet bin, dann nennt man das ein Verhalten. Ich verhalte mich hustend und kann nichts dafür. Wenn ich huste, um darauf aufmerksam zu machen, dass eine gewisse Person den Raum betritt, dann ist das ein Handeln. Aber „Der Stein rollt vom Berge“ oder „Die Erde dreht sich um die Sonne“, das sind Geschehen. Schlicht Vorgänge. „They just happen“.

      Wir haben ein Deutungsproblem. Wenn ich Information selektiere, dann ich das ein Handeln an Symbolen. Wenn eine Maschine Information selektiert, dann ist das ein Verhalten oder ein Geschehen? Ein Geschehen wäre es, wenn es wie ein Blitz einschlägt, „it just happens“. Habe ich das Selektieren aber programmiert und die Maschine tut das dann, dann ist das ein Verhalten, hoffentlich ein korrektes Verhalten. So die Rede in der Informatik. „Die Zelle selektiert Information“. Ich plädiere jetzt für ein simples Geschehen im Sinne von „it just happens“. Nix davor und nix dahinter. Oder hat etwa jemand die Zelle programmiert, um Information zu selektieren? Der Herrgott etwa? Das wäre dann Metaphysik, also außerhalb der Betrachtungen.

      NB (Bertal Dresen): Es widerstrebt mir zuzugestehen, dass alle ernsthaften Probleme nur Sprachprobleme sind. Wie ich schon des Öftern sagte, ist Sprache nichts als ein Werkzeug des Menschen. Warum darf er das Werkzeug nicht hin und wieder verbiegen, damit es handlicher wird? Statt zu sagen, X wurde zum Selektieren veranlasst, darf jeder – der nicht durch die Erlanger Schule ging – auch sagen, x selektiert. Dabei ist X = Zelle, Meeresschnecke, Computer usw. Anstatt selektieren sind auch viele andere Verben in ähnlicher Weise benutzbar, z.B. speichern, merken, reagieren, rechnen, entscheiden. Der zugehörige Fachausdruck fällt mir gerade nicht ein. Ist es Anthropomorphierung?

      Löschen
    2. AM 14.5.2014 schrieb Peter Hiemann aus Zarzis (Tunesien):

      In der Tat funktioniert eine Zelle nur mit einem intakten genetischen Programm. Wird das Programm beschädigt (etwa durch radioaktive Strahlung), stirbt die Zelle. Wird ein wichtiges Gen dieses Programms verändert, welches das Wachstum dieser Zelle kontrolliert, verwandelt sich die Zelle in eine Krebszelle mit ungebremstem Wachstum. Ist das Immunsystem in der Lage, eine Krebszelle als Fremdkörper zu identifizieren, wird das genetische Programm veranlasst, die Zelle zu zerstören. Nach einer endlichen Anzahl von Reproduktionen erlischt ein genetisches Programm, Zellen und der entsprechende Organismus stirbt.

      Die Vorstellung, dass die Zelle entscheidet bzw. selektiert, welches Gen ihres genetischen Programms in welcher Situation aktiviert wird, trifft nicht zu. Biologische Systeme wie eine Zelle, ein Herz oder ein Zentralnervensystem (Gehirn) funktionieren ohne zentrale Steuerung. Es sind sich selbstorganisierende Systeme. "Selbst" in diesem Zusammenhang bedeutet nicht "von selbst" sondern "aus sich selbst heraus". Natürlich hat nicht der Herrgott die Zelle programmiert. Jede biologische Art, ob Pflanze oder Tier oder Mensch hat ein einmaliges genetisches Programm. Die genetischen Programme lassen sich als "Gedächtnis-Speicher" der Evolution interpretieren.

      NB (Bertal Dresen): In dem Satz ‚das genetische Programm veranlasst die Zelle, dies oder das zu tun‘ drückt sich die Individualität der Lebewesen aus.

      Löschen
  3. Ich stelle mir vor, dass das von Zellen benutzte Kommunikationsprotokoll so ähnlich wie CSMA/CD (Carrier Sense Multiple Access with Collision Detection) funktioniert. Hier zwei Sätze aus Wikipedia:

    „Die Stelle, die Daten senden möchte, lauscht also auf dem Medium (Carrier Sense), ob es bereits belegt ist und sendet erst, wenn die Leitung frei ist. Da zwei Stellen gleichzeitig zu senden anfangen können, kann es trotzdem zu Kollisionen kommen, die dann festgestellt werden (Collision Detection), woraufhin beide Stellen sofort mit dem Senden aufhören und eine zufällige Zeit warten, bis sie einen erneuten Sendeversuch starten.“

    Vielleicht gibt es Biologen, die es besser wissen. Dummerweise ist die obige Definition voll von Anthropomorphismen. Man kann diese auch als Metapher bezeichnen. Wie gesagt, ohne Metapher kann ein Mensch nichts Neues denken.

    AntwortenLöschen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.