Thomas Metzinger ist ein Philosoph von der Universität Mainz, den ich bisher hauptsächlich aus Wissenschaftssendungen von Arte kannte. Gerade habe ich sein Buch ‚Der Ego-Tunnel‘ gelesen. Mein Freund aus Grasse hatte es mir empfohlen. Obwohl für Laien geschrieben, ist es harte Kost. Aber es lohnt sich. Seine Sichtweise der Dinge spricht Informatiker besonders an.
Gegenstand des Buches ist unter anderem Metzingers Erklärung von Bewusstsein und Geist. Er ist ein moderner Philosoph, dessen Theorien auch neuere Erkenntnisse der Neurowissenschaften berücksichtigen. Deren Fortschritte sind gerade sehr rasant dank der Verbreitung bildgebender Verfahren (etwa der Kernspintomografie). War man früher vor allem auf Geisteskranke oder Unfallopfer angewiesen, um etwas über unser Gehirn zu lernen, können wie jetzt die Gehirntätigkeit bei gesunden Menschen beobachten, und zwar während sie denken.
Wie viele Neurowissenschaftler so ist Metzinger auch der Ansicht, dass jede geistige Tätigkeit ein neuronales Korrelat (engl. neuronal correlate of consciousness, NCC) besitzt. Das ist die vorsichtige Umschreibung dafür, dass wir im Begriff sind, den uralten Streit über Dualismus und Materialismus wissenschaftlich zu beenden. Wir sind in der Lage festzustellen, dass ein anderer Teil des Gehirns beteiligt ist, wenn wir statt an weiße Tauben an rote Rosen denken. Was passiert, wissen wir noch nicht, sondern nur, dass sich der Stoffwechsel, d.h. der Energieverbrauch, an unterschiedlichen Stellen des Gehirns ändert. Jetzt zu zwei frappierenden Aussagen aus dem Buch.
Bewusstsein sei ein phänomenales Selbstmodell (Abk. PSM). Den Begriff ‚phänomenal‘ übergehe ich zunächst, komme aber ganz am Schluss darauf zurück. Was ein Modell ist, muss man Informatikern nicht erklären. Es ist eine meist vereinfachte Rekonstruktion der Realität. „Wirklichkeitserzeuger“ sagt Metzinger dazu. Ein Selbstmodell ist ein Modell, das jedes Individuum für sich selbst bildet. Es ist die Erst-Personen-Perspektive auf die Welt. Um das Modell zu bilden und fortzuschreiben, machen wir laufend Beobachtungen, und zwar in Echtzeit. Diese Beobachtungen erfolgen so schnell, dass wir das Modell (fast immer) für die Realität selbst halten. Gewisse Formen der Kontrolle haben wir. Wir wissen, dass wir ein Modell bilden und können manchmal von ihm aus extrapolieren, also überlegen, was wäre wenn. Nach Metzinger ist das PSM ein Resultat der natürlichen Evolution. Hier verlassen wir diesen Pfad.
Die Seele sei ein durch außerkörperliche Erfahrung gewonnenes Selbstmodell (Abk. OBE-PSM). Gerade mit außerkörperlichen Erfahrungen (engl. out-of-body experiences, OBE) hat sich Metzinger seit seiner Jugend befasst. Es ist die bei vielen Menschen vorhandene Fähigkeit, sich auch in wachem Zustand vorzustellen, dass man seinen Körper verlassen hat. Man schwebt meistens über sich selbst hinweg. Man hat dabei ein anderes Bewusstsein, also Selbstmodell, als sonst. Das Gemeinsame vieler dieser Erlebnisse ist, dass der Körper kaum noch Gewicht hat. Man besitzt einen Feinstoffkörper oder Lichtkörper. Die christliche Heilslehre kennt so etwas auch und nennt es den verklärten Körper. Metzingers Schlussfolgerung: Seele ist kein metaphysischer, sondern ein phänomenaler Begriff. Die Seele sei ein Phänomen, also eine Erscheinung in unserer Erlebniswelt. Auf dieser Erfahrung hätten unsere Vorfahren aufgebaut, indem sie postulierten, dass (wenigstens) diese Seele auch nach dem Tode des Individuums weiter existiert. Nichts ist für ein Wesen mit Bewusstsein beklemmender als die Unausweichlichkeit des Sterbens.
Wirklich interessante Einsichten! Vielleicht greife ich auch andere Themen des Buches später auf, oder ähnliche Themen aus andern Büchern. Ein sehr spannender Teil des Wissens über die Welt ist das Wissen über uns als Menschen.
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