Die Informatik verdankt ihren phänomenalen Aufstieg nicht nur Erfindern und Entwicklern von Computern und ihrer Software, sondern auch den Anwendern. Wenn ich an deutsche Anwendungspioniere denke, fällt mir als erster Heinz Schappert ein.
Kennengelernt habe ich Schappert, als er noch Mitarbeiter der (damaligen) TH Darmstadt war. Ab Februar 1957 war dort eine Rechenanlage IBM 650 installiert. Für diesen Rechner schrieb auch ich meine ersten Programme ab Herbst 1957 in Sindelfingen. Der Rechner besaß einen magnetischen Trommelspeicher von 2000 Worten und Lochkarten-Ein- und Ausgabe. Man programmierte in Assembler – Symbolic Optimizing Assembly Program (Abk. SOAP) genannt – sowie in einem Drei-Adress-Code, dem Bell Interpreter.
Heinz Schappert 1956
(an der IBM 650 in Sindelfingen)
Im Jahre 1960 ging Schappert nach Leverkusen als Leiter des Rechenzentrums der Bayer AG. Die Firma Bayer erhielt um diese Zeit ebenfalls eine IBM 650. Schappert und ich trafen uns mehrmals bei Veranstaltungen der IBM-Benutzerorganisation GUIDE. Während die Benutzerorganisation SHARE, in der sich die technisch-wissenschaftlichen Anwender trafen, in der Öffentlichkeit bekannter ist, war GUIDE nicht weniger einflussreich. IBM hatte zu fast jeder Zeit mehr kommerzielle Anwender als technisch-wissenschaftliche. Viele von den GUIDE-Mitgliedern waren außerdem uralte Kunden aus der Lochkartenzeit. So soll die Firma Bayer bei IBM die Kundennummer 001 gehabt haben.
Heinz Schappert war einer der DV-Anwender, die 1975 der Bundesregierung empfahlen, einen Studiengang Informatik einzurichten. Unter den Mitgliedern des zuständigen Ad-Hoc-Ausschusses fallen mir noch zwei Namen von andern bekannten Anwendungsvertretern auf, nämlich Dr. Olaf Abeln, Firma BBC, Mannheim, und Dipl.-Math. Klaus Wenke, Martin Brinkmann AG, Bremen. Ein weiterer Name aus dieser Zeit ist Dr. Hans-Wilhelm Schäfer von der Allianz AG. Er hat unter anderem mit Schappert zusammen über Anwendungen im Versicherungswesen publiziert.
An ein Projekt, in dem ich unmittelbaren Kontakt mit Schappert hatte, erinnere ich mich besonders lebhaft. In den Jahren 1962-63 befasste sich ECMA (European Computer Manufacturers Association) auf Betreiben der französischen Firma Bull damit, die Sprache COBOL in andere Sprachen als Englisch zu übersetzen. Von der IBM Europa bekam ich den Auftrag, mich um die deutsche Version zu kümmern. Es gelang mir, mit Herrn Schapperts Hilfe den Deutschen Normenausschuss (DIN) zu involvieren. Nach mehreren Sitzungen konnten sich die beteiligten Experten sogar auf einen Norm-Vorschlag einigen. Ich selbst schrieb ein Programm (in Fortran), mit dem man deutsche, französische oder spanische COBOL-Programme in englisches COBOL übersetzen konnte.
Das Projekt fand ein jähes Ende, als Herr Schappert seine Programmierer in Leverkusen fragte, ob sie in Zukunft lieber deutsches statt englisches COBOL verwenden würden. Die Antwort war eindeutig „Wir bleiben bei englischem COBOL. Das hat den großen Vorteil, dass man sofort sieht, was Schlüsselworte der Sprache (engl. keywords) und was Variablennamen des Programmierers sind.“ Meine Arbeit eines halben Jahres landete im Papierkorb. Was blieb war, dass ich später in der eigenen Firma als COBOL-Experte galt und sogar über Grundkenntnisse im Compilerbau verfügte. Außerdem blieb die Erinnerung an ein schönes Jahr an der Côte d’Azur. Ich gehörte während dieser Projektzeit nämlich zum französischen IBM-Labor bei Nizza.
Bei einer späteren Gelegenheit bat mich Heinz Schappert ihm eine nicht mehr benutzte Kernspeicherkarte zu besorgen, um sie seiner Sammlung historischer Relikte hinzuzufügen. Ich konnte ihm den Wunsch erfüllen. Schappert fand es nicht unter seiner Würde, sich in Fachartikeln [1] mit den von seinen Mitarbeitern benutzten Programmiersprachen COBOL und RPG zu befassen. Er hat die DV-Aktivitäten der Bayer AG über 28 Jahre lang geleitet [2]. Er engagierte sich – so heißt es – ‚Tag und Nacht‘ für seine Aufgabe. Er starb 1989 im Alter von 61 Jahren.
Schappert hatte in Darmstadt Physik studiert und wurde bei Alwin Walther promoviert. Noch aus seiner Darmstädter Zeit stammt das 1959 erschienene Buch über Programmierverfahren elektronischer Rechenautomaten, einer der ersten deutschen Texte zu diesem Thema. Wertvolle Hinweise zu seinen Lebensdaten sowie das oben benutzte Foto verdanke ich seinem langjährigen Kollegen und Weggefährten Gerhard Hund, der heute in Odelzhausen lebt.
Zusätzliche Quellen
- Schappert, H.: Deutsche Syntax einer englischen COBOL-Fassung. Elektronische Rechenanlagen 9(2): 74-84 (1967)
- Schappert, H.: Zur DV-Entwicklung bei Bayer. Bayer AG Leverkusen, AV Informatik, 1985
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