Am 16.9.2010 schrieb mir Kollege Peter Mertens aus Nürnberg:
… ist meine Erinnerung falsch: Irgendwo hatten Sie sich schriftlich in die Richtung geäußert, dass es problematisch ist, Ergebnisse von Forschungsprojekten, die mit deutschen Steuergeldern erarbeitet wurden, Konkurrenzländern zugänglich zu machen statt sie zunächst hierzulande ökonomisch zu verwerten?
Am gleichen Tag schrieb ich zurück:
… nur so viel zu Ihrer Frage: So hatte ich mich nie ausgedrückt, und würde es auch nicht tun. Ich kämpfe nur gegen den Irrglauben von Politikern, dass sie mit dem Geld, das sie für Forschung ausgeben, die Wirtschaft fördern. Einerseits glauben nämlich viele Forscher, dass sie ihren Ruf verlieren, wenn sie ihre Ergebnisse so absichern, dass sie wirtschaftlich verwertbar sind. Andererseits werden Forschungsprojekte in die Welt gesetzt, unabhängig davon, ob es bei uns im Lande überhaupt Interesse oder Kompetenz gibt, um die Ergebnisse wirtschaftlich zu verwerten.
Nachtrag vom 18.2.2011
Ich hatte Herrn Kollegen Mertens außerdem vorgeschlagen, einen Beitrag im Informatik-Spektrum zu lesen, der diese Fragen anschneidet. Darin wurde unter anderem bemerkt:
- Die von etablierten Firmen, und zwar nicht nur in unserer Branche, angemeldeten Erfindungen stammen in zunehmendem Maße aus ihren Labors in China, Indien und Israel.
- Schon seit Längerem finanziert der deutsche Steuerzahler auch Informatik-Forschung in den USA, in China und Indien. Die Frage ist daher berechtigt, wozu das gut ist. Die Antwort ist relativ einfach. Es kommt auf die Ergebnisse an, nicht darauf wer sie wo erzielt hat. Die Ergebnisse müssen allerdings für den Geldgeber verwertbar sein, d.h. die Nutzungsrechte müssen klar definiert sein.
Spitzenforschung bringt das Land voran, heißt es. Das ist auch nicht falsch. Wie ich im Folgenden zeigen möchte, ist es allerdings nur die halbe Wahrheit. Mich stört es manchmal, wenn ich sehe, dass Forschung mit falschen Erwartungen überfrachtet wird, oder wenn Forscher Dinge versprechen, die sie selbst nie einlösen können. Oft ist der Begriff Forschungsprogramm auch nur ein Deckmantel für etwas ganz anderes (wie im Falle des ÜRFs der 1970er Jahre).
In früheren Veröffentlichungen hatte ich mich zu meinem Verständnis von Forschung und Entwicklung (abgekürzt F&E) und von Innovationen geäußert. Deshalb wiederhole ich hier – in etwas andern Worten – zum Teil früher Gesagtes.
Nicht selten wird Forschung mit Innovation (= Neuerung) verwechselt oder in eine zwangsläufige Verbindung gebracht. Neuerungen für die Lehre oder für die Anwendung werden in den meisten technischen Fächern nicht durch Forschung (F) sondern durch Entwicklung (E) geschaffen. In den Naturwissenschaften und der Medizin ist es teilweise anders. So entstehen neue Medikamente manchmal unmittelbar aus der Forschung heraus. Sobald sie klinisch getestet sind, setzt die Massenfertigung ein. In der Informatik – wie im Maschinen-, dem Automobil- oder Flugzeugbau − ist oft eine viele Personenjahre verschlingende Entwicklerarbeit erforderlich, um neue oder verbesserte technische Produkte oder Dienste zu schaffen, die andern Fachleuten weiterhelfen, oder gar dem Mann und der Frau auf der Straße das Leben erleichtern. Manchmal müssen zuerst Prototypen gebaut werden, um Annahmen über das Zusammenspiel von Komponenten oder über die Fähigkeiten und Vorlieben der Nutzer zu verifizieren. Die benötigte Entwicklungsdauer kann leicht zum Problem werden, da Märkte sich oft schnell verändern.
Auf F&E im eigenen Lande können wir eher verzichten als auf Innovationen. Das ist zwar nur ein Trost, da wir uns in Zukunft immer weniger F&E werden leisten können. Der Grund dafür sind die steigenden Kosten sowie der Mangel an Fachkräften, von evtl. vorhandenen Motivationsproblemen gar nicht zu reden. Deshalb sollte man heute schon solche Forschungsaktivitäten in Frage stellen, die nie in der Lage sein werden, sich auf Produkt-Entwicklungen auszuwirken, da es die entsprechende Industrie hierzulande überhaupt nicht (mehr) gibt.
Viele der Innovationen, die Wirtschaft und soziales Leben verändern, ergeben sich nicht schon durch die Entwicklung, sondern erst durch die Einführung und Anwendung neuer Produkte oder Dienste. Es sind der Wille und die Fähigkeit erforderlich, etwas zu verändern. Ohne Innovationen ist der wirtschaftliche Abstieg eines Landes unvermeidbar. Anderseits ist wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Garant für sozialen Wohlstand und sinnstiftende Beschäftigung. Es ist daher eine wichtige Aufgabe, den Studierenden die Rolle von Innovationen klarzumachen. Gut wäre es, wenn man sie anregen bzw. anleiten würde, selber welche anzustoßen oder herbeizuführen. Der frühere Innovationspreis der GI verfolgte dieses Ziel.
Forschung – so heißt es − vermehrt das Wissen, das wir benötigen, um unsere Welt immer besser zu verstehen. Schaden kann das sicher nicht. Ob es aber die beste Art ist, die (beschränkten) geistigen und finanziellen Ressourcen eines Landes einzusetzen, das darf hinterfragt werden. Forschung gilt bei vielen Kollegen als der heilige Gral, dem man als Hoher Priester einer Kulturnation seine Reverenz erweist, und den man erst dann in die Hand von ehemaligen Kolonialvölkern übergeben möchte, wenn es nicht mehr anders geht. Dass dies gerade geschieht, ist nicht mehr zu leugnen.
Um es überspitzt zu sagen: Forschen kann jeder Berufsneuling, der gerade sein Studium beendet hat, vorausgesetzt, jemand stellt die richtigen Fragen. Das gilt sowohl für theoretische wie für experimentell zu untersuchende Probleme. Es gilt erst recht für Arbeiten, in denen primär andere Veröffentlichungen ausgewertet oder Feldstudien durchgeführt werden. Um gute Produkte zu entwickeln, benötigt man Erfahrung im Umgang mit den einschlägigen Technologien und gute Marktkenntnisse. Beides lernt man nicht an Hochschulen. Den Kollegen in den Schwellenländer fehlen zum Teil nur (noch) die Marktkenntnisse.
Bei einigen öffentlich geförderten Forschungsvorhaben stand die Industrie gelangweilt am Rande oder täuschte Interesse vor. Wenn die Politik der Industrie helfen will, - so dachte man − dann sollte das Geld lieber im vorwettbewerblichen Bereich eingesetzt werden als in der direkten Förderung der Konkurrenz. Aus Effizienzgründen könnte es sogar besser sein, den Unternehmen steuerliche Anreize für F&E zugeben als noch mehr in öffentliche Forschung zu investieren. Für diese Ansicht konnten allerdings bisher noch keine politischen Mehrheiten organisiert werden.
Noch einen geradezu unerlaubten Gedanken zum Schluss: Mancher Praktiker empfindet, dass es schade ist, wenn durch fragwürdige Forschungsprojekte junge Kolleginnen und Kollegen dazu verleitet werden, wertvolle Lebenszeit zu vergeuden – und das angesichts des Mangels an Fachkräften. Leider sagt ihnen das niemand. Neben den eingesetzten Steuermitteln ist das der unsichtbare Preis, den unsere Volkswirtschaft für die so hoch geschätzte öffentliche Forschung bezahlt.
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