Samstag, 12. Februar 2011

Geschichte der deutschen Informatik – wissenschaftlich betrachtet

Es gab bisher eine Reihe von Einzeldarstellungen zur Geschichte der deutschen Informatik. Man kann sie bestenfalls als Sektorengeschichten bezeichnen. Mal wurde nur die Geschichte eines Teiles der Industrie erzählt, so bei Dietz. Mal waren es einzelne Firmengeschichten wie bei Meissner und Zuse. Einen Überblick über die Informatik-Forschung, soweit sie von der Bundesregierung gefördert wurde, gaben Reuse und Vollmar. Bei Bauer geht es primär um eine Abgrenzung der Informatik von der Mathematik.

Jetzt gibt es ein Werk, von dem man sagen kann, dass es einer wissenschaftlichen Darstellung der gesamten Geschichte der deutschen Informatik recht nahekommt. Es ist die Dissertation von Timo Leimbach, die er im Januar 2009 an der Ludwig-Maximilians-Universität in München verteidigte. Im Titel wird zwar nur die Software-Industrie erwähnt. Die Arbeit geht aber weit darüber hinaus. In gutem Historikerstil bemüht sich der Autor um Breite, Objektivität und Sachlichkeit. Eine genaue Referenz für die Arbeit kann ich leider nicht angeben. Für eine elektronische Kopie möge man sich an den Autor wenden. Herr Leimbach ist inzwischen bei der Fraunhofer-Gesellschaft in Karlsruhe beschäftigt.

Eine Dissertation zu lesen, ist nicht jedermanns Sache, zumal wenn sie die Anforderungen erfüllen muss, die ein Fach stellt, das dem Leser nicht besonders vertraut ist. Von den insgesamt 535 Seiten sind 480 Seiten der flüssig geschriebene Hauptteil. Dazu kommen 10 Seiten Vorspann und 45 Seiten Literatur. 

Diese von einem Historiker vorgelegte Arbeit besteht aus zwei sehr unterschiedlichen Teilen. In dem einen Teil wird versucht, das historische Geschehen aufzudecken (also aus der Vergessenheit zurückzuholen) und zu interpretieren. Bei der Interpretation wird ein in den letzten Jahren in Mode gekommener Maßstab angelegt, nämlich den der Innovationsforschung. Es wird versucht die Innovationssysteme zu charakterisieren, die hier eine Rolle spielten. Das macht die Arbeit besonders lesenswert. Der zweite Teil der Dissertation besteht in dem Versuch zu erklären, bzw. zu rechtfertigen, warum diese Interpretationsmethode vorzuziehen ist gegenüber anderen. Da die Arbeit bei Historikern eingereicht wurde, ging da offensichtlich kein Weg daran vorbei. Leider sind die beiden Teile der Dissertation nicht sauber getrennt, sondern ineinander verwoben.

Jetzt zum historischen Material selbst. Herr Leimbach hat nicht nur viele der einschlägigen Veröffentlichungen gelesen, er hat auch mit einigen Zeitzeugen Interviews geführt. Das ist sehr lobenswert. Leider sind (bis jetzt) nirgendwo die ganzen Interviews zu lesen, aber das kann ja noch kommen. 

Ehe ich auf Einzelheiten eingehe, ein Punkt der Kritik vorweg. Ich bringe ihn auch deshalb an, weil er mich persönlich betrifft. Zur deutschen Informatik gehört nach Herrn Leimbachs Meinung nur, wer für ein Unternehmen arbeitet, dessen Hauptsitz in Deutschland ist. Danach sind die Ford- und Opel-Arbeiter keine deutschen Autobauer. Würde die Deutsche Bank ihren Firmensitz nach Luxemburg verlegen, gäbe es plötzlich fast Hunderttausend deutsche Banker weniger. Nach dieser Sichtweise sind auch die 4000 Inder, die für SAP in Bangalore arbeiten, keine indischen Informatiker.

Hoch anzurechnen ist Herrn Leimbach, dass er versucht herauszuarbeiten, welchen Zusammenhang es gab zwischen der öffentlichen Förderung durch die Bundesregierung bzw. die EU, dem Aufbau des Studiengangs Informatik (einschließlich der Wirtschaftsinformatik) und den Erfolgen sowohl der Hardware- wie der Software-Industrie in unserem Lande. Das ist eine Mammutaufgabe. Sie ist ihm in weiten Teilen gelungen. Er hängt dabei nicht der naiven Vorstellung an, dass hier alles nach Plan lief und dass das Eine aus dem Andern folgte, so wie das Küken aus dem Ei. Bekanntlich hatten einige Unternehmen nachhaltigen Erfolg im Markt (vor allem Nixdorf und SAP, aber auch Softlab und Software AG), die von der öffentlichen Förderung weitgehend verschont geblieben waren.

Mit Absicht erzählte man auch bei uns gerne die ‚Mär von der technologischen Lücke‘ (auch mal Software-Krise genannt), um Politiker, die ja bekanntlich von Technik nichts verstehen, zum Handeln zu bewegen. In Wirklichkeit mangelte es einfach an Geschäftssinn. Leimbach glaubt, dass eine bestimmte Form der politischen  Einäugigkeit daher rührte, dass dies dem Modell der Atomforschung entsprach. Man beginnt zentral und wenn man etwas hat, wird nach außen ‚diffundiert‘. Obwohl man genau wusste, dass der Erfolg von IBM nicht primär auf technischer Stärke beruhte, konnte bei den großen Subventionsempfängern (AEG/Telefunken, Siemens) nur Beihilfe zu technischen Investitionen gewährt werden.

Dass die im Entstehen begriffene Software-Branche gegenüber den geplanten ‚nationalen Hardware-Champions‘ bei der Förderung fast übersehen wurde, ist traurig aber wahr. Zu lange hatte Software nämlich ein Legitimations­problem, d.h. ein Vertrauensdefizit in Öffentlichkeit und Politik. Selbst der phänomenale Erfolg von SAP konnte dieses Problem nur teilweise beheben.

Leimbach weist in jedem einzelnen Falle nach, dass neben der technologischen oder wissenschaftlichen Vorbereitung einer Innovation noch Einiges dazu kommen musste, ehe daraus ein Markterfolg wurde. Eine ähnliche Meinung vertrete ich auch  in einem meiner letzten Beiträge im Informatik-Spektrum. Das Modell der Innovations­­­systeme scheint im Falle von SAP hervorragend zu passen. Bei Nixdorf und der Software AG scheinen andere Faktoren ausschlaggebend gewesen zu sein (etwa die frühe Internationalisierung bei der Software AG). Alle Software-Unternehmen standen vor dem Dilemma, die richtige Balance zu finden zwischen Dienstleistung und Produktgeschäft. Wie wir wissen, hat kein einziges der hier betrachteten Hardware-Unternehmen überlebt, bzw. diesen Geschäftsbereich zum dauerhaften Erfolg geführt. Zwei Software-Unternehmen wurden zu ‚Global Players‘ (SAP und Software AG). Die meisten anderen Firmen sind nicht mehr in deutschem Besitz.

Die Details der Firmengeschichten muss ich glauben. Schließlich hat er mit den Gründern einiger der Firmen gesprochen oder interne Dokumente zu Rate gezogen. Im Falle von IBM sind ihm nur 2-3 kleine Fehler unterlaufen. Daraus schließe ich, dass auch der Rest sehr viel Vertrauen verdient. Eine gewisse Enttäuschung stellte sich bei mir am Schluss ein. Ich erwartete, dass aus den vorliegenden historischen Daten einige nützliche Lehren für Spätgeborene abgeleitet würden. Da hatte ich wohl zu viel erhofft.

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