Nathaniel Rochester
III,
wie er mit vollem Namen hieß, war der amerikanische IBMer, der als erster
unmittelbaren Einfluss auf meine berufliche Laufbahn nahm. Ich kannte ihn
bereits vom Namen her, bevor ich ihn im Sommer 1963 persönlich kennenlernte. Wie
in diesem Blog berichtet, traf ich
ihn und seinen Kollegen Pete Sheridan im französischen IBM Labor in La Gaude,
kurz nachdem das Algol-Projekt, an dem ich beteiligt war, beendet worden war. Er
heuerte mich für ein Projekt in New York an, aus dem später die
Programmiersprache PL/I hervorging. Während meiner Abordnung in New York von
Oktober 1963 bis Juli 1964 war Rochester mein Bereichsleiter. Er hatte sein
Büro in White Plains, NY. Mein Abteilungsleiter in New York berichtete an ihn.
Ich
traf Rochester alle paar Wochen, wenn er sich über den Fortgang unseres
Projekts erkundigte. Bei dem Abendessen in einem New Yorker Hotel, das ich
erwähnte, war er der Gastgeber. Für von Frankreich verwöhnte Deutsche kam es
einem Kulturschock gleich, da anstatt Wein nur Eiswasser geboten wurde. Seine
Frau war eine der eifrigsten mit den Strickarbeiten vor und nach dem Essen. Nat
Rochester hatte eine sehr verbindliche Art mit Kollegen innerhalb und außerhalb
der Firma IBM zu verkehren. Man konnte fast meinen, es mit einem älteren Bruder
zu tun zu haben.
Nach
meiner Versetzung nach Poughkeepsie, NY, riss unser Kontakt für eine Weile ab.
Später in Böblingen besuchte er mich und meinen Bereich etwa einmal pro Jahr.
Rochester gehörte in dieser Zeit bereits zu den älteren Kollegen, die keine
unmittelbare Projektverantwortung mehr besaßen, aber trotzdem großen technischen
Einfluss nahmen. Dies ermöglichte ihm die Position eines IBM Fellows. Er konnte
jederzeit überall aufkreuzen. Seine Ratschläge, die er vor Ort erteilte,
konnten sehr nützlich sein. Seine anschließenden Berichte über Dinge, die ihm
gefielen oder nicht gefielen, entschieden über den Ruf des Projekts und seiner
Mitarbeiter in der technischen Community. Wie zu dieser Zeit üblich, war der
für uns maßgebliche, weltweite fachliche Kollegenkreis ziemlich deckungsgleich mit IBM.
Über
Rochesters fachliche Beiträge gibt die oben angegebene Wikipedia-Biografie
einen guten Überblick. Ich zitiere deshalb lediglich aus einer
IBM-Veröffentlichung [1], die eine kurze Zusammenfassung seines beruflichen Werdegangs
brachte:
1948 trat er IBM in Poughkeepsie, NY, bei. Er entwarf das Testverfahren und leitete
die Architektur-Arbeiten der Bandgeräte und
der IBM 701. Er schrieb das
erste symbolische Assembler-Programm,
einen Vorgänger von SAP [dem späteren offiziellen
Assembler-Programm]. Er hatte die technische Leitung der IBM 700 Serie während
der Entwicklung der IBM 703,704, 705 und dem Beginn der 709. Er wechselte
zur IBM Research Division bei deren Gründung im Jahre 1955 und leitete den Bereich
Computer-Theorie und experimenteller Computer-Entwurf.
Im Jahr 1961 trat er in die Data Systems Division (DSD) ein, den Bereich, der unter anderem für IBM die ersten beiden Timesharing-Systeme,
QWIKTRAN und CPS, entwickelte und den Entwurf
der PL/I- Sprache betrieb.
Seine Patente auf das Rechenwerk der 701 und auf
die Variable-Wortgrößen-Architektur der Bandgeräte brachten ihm einen Outstanding Invention Award von IBM.
Hinzufügen
möchte ich, dass ein Outstanding
Invention Award (OIA) für Forscher und Entwickler bei IBM eine der
höchstgeschätzten Auszeichnungen war. Der damit verbundene Geldpreis glich für
amerikanische Kollegen zum Teil die Vergütungen aus, die deutsche Erfinder
aufgrund des Erfindervergütungsgesetzes automatisch erhielten. Qwiktran (Abk.
für Quick Fortran) war ein auf der Sprache Fortran basierendes
Timesharing-System für die IBM 7090. Es wurde von der IBM-Gruppe im Time/Life
Center in New York City entwickelt. Das Conversational
Programming System (CPS) war ein Timesharing-System,
das als Prototyp vom Wissenschaftlichen Zentrum in Cambridge, MA, entwickelt
worden war. Es unterstützte die Sprache BASIC. Die 700-Serie war die erste
Familie von elektronischen Rechnern, mit der IBM nach dem Erfolg in der
Lochkartentechnik das neue Gebiet betrat. Sie waren noch mit Röhren bestückt;
erst mit der IBM 7090 nahmen Transistoren Einzug.
In der
Zeit, als ich mit Nat Rochester in Kontakt stand, waren es außer Programmiersprachen
und Timesharing-Systemen noch zwei weitere technische Themen, die ihn
persönlich beschäftigten. Ich will kurz an sie erinnern.
Dilemma der Tastaturbelegung
Jeder,
der heute eine Tastatur benutzt, fragt sich warum die Buchstaben so angeordnet
sind, dass oben links die Reihenfolge QWERTY (oder in Deutschland
QWERTZ) entsteht. Es hat mit der Häufigkeitsverteilung von Buchstaben in der
englischen Sprache zu tun. Dabei kann für die beiden ersten Buchstaben QW auch
AZ stehen. Schon lange weiß man, dass diese Belegung aus ergonomischer Sicht alles
andere als optimal ist. Es gibt daher eine Menge Vorschläge, die
Tastaturbelegung zu ändern. Durchgesetzt hat sich noch keiner. Was Millionen
sich angewöhnt haben, ist sehr schwer zu verdrängen.
Nat Rochester
hatte als Fellow ein Projekt namens Chord Keyboard (deutsch: Akkord-Tastatur),
das die Problematik des Tippens neu anging. Es gab zwölf Tasten für die vier
Finger, an den Seiten und Ecken gewölbt, so dass ein Finger zwei Tasten gleichzeitig
drücken konnte, oder vier Tasten, wenn sie übereck lagen. Es gab drei
Daumentasten, auch mit der Möglichkeit, zwei auf einmal anzuschlagen. Experimente
zeigten, dass es mit der Tastatur leicht möglich war, alle Grundfunktionen des
Tippens auszuführen. Sie hatte große Vorteile für diejenigen, die bereit waren,
eine große Anzahl von Silben (oder Akkorden) für allgemeine Wörter und Sätze zu
lernen. Ähnliche Konzepte werden heute weltweit von Stenografen bereits benutzt.
Leider fehlte dem Ansatz die Akzeptanz in der Praxis und wurde daher nicht in
ein Produkt überführt.
Geburtshelfer der ‚Künstlichen Intelligenz‘
Wie das
Software Engineering so führt auch das Forschungsgebiet Künstliche Intelligenz seine
Entstehung auf eine Tagung zurück. Im Sommer 1956 gewannen John McCarthy und Marvin Minsky Nat Rochester und
andere Industrievertreter dazu, eine Konferenz am Dartmouth College zu
sponsern, bei der McCarthy den Begriff der Künstlichen Intelligenz (engl.
artificial intelligence) populär machte. Rochester startete anschließend mehrere
Projekte innerhalb von IBM, die sich mit automatischem Beweisen und
Computerspielen befassten. Dazu gehörten Arthur Samuel's Dame-Programm, Herbert Gelernter's Theorem-Beweiser und
Alex Bernstein's Schach-Programm. Um 1958, als Gastprofessor am MIT half er
John McCarthy bei der Entwicklung der Programmiersprache Lisp.
Auf
Druck von Kunden und Aktionären entschloss sich IBM um 1960, alle Aktivitäten auf
dem KI-Gebiet einzustellen. Durch die übertriebenen Aussagen der
KI-Protagonisten auf der ganzen Welt gerieten Computer als solche ins
Zwielicht. IBM legte fortan Wert darauf zu sagen, dass Computer für sehr
nützliche Aufgaben verwendbar sind, und nicht zum Spielen da sind. Außerdem tun
sie nur genau das, was man ihnen sagt und entwickeln keine eigenen Ideen. Erst
eine ganze Generation später wagten IBMer es wieder, das Wort KI in den Mund zu
nehmen. Seit Deep Blue, ein von IBM
gebauter und programmierter Rechner, einen Schachweltmeister schlug, hat sich
die Einstellung geändert. Auch das Projekt Watson, mit dem IBM in
jüngster Zeit wieder viel Aufmerksamkeit in der Presse bekam. gibt offen zu,
dass dabei KI-Methoden im Spiel sind.
Ein Schlussgedanke
Vielleicht
wundert es, dass ein Hardware-Mann wie Nat Rochester später sein Interesse so
sehr auf Software verschob. Im Oral History
Interview
der IEEE über seine Anfangsjahre bei IBM begründet er sein Interesse für
Software wie folgt:
We were concerned with software right from the
beginning, because we realized that in some sense software was more reliable
than hardware. That is, once you got it de-bugged it would stay de-bugged,
whereas the hardware would wear out and deteriorate.
Gut, auch
einmal daran erinnert zu werden! Natürlich gibt es auch Software-Fehler. Nur
haben sie ganz andere Ursachen als Hardware-Fehler. Es sind fast nur
Entwicklungsfehler, genauer gesagt Entwurfsfehler. Es ist dies eine sehr
ernüchternde Einsicht. Es kostet einige Überlegungen, um darauf vernünftig zu
reagieren.
Referenz:
1. IBM Journal of Research and Development: 25th Anniversary Issue, 1981. Seite
842
Am 15.10.2012 schrieb Karl Ganzhorn aus Sindelfingen:
AntwortenLöschen… habe aber keine spezifischen Erinnerungen an [Nat Rochester] und kann Ihnen schon gar keine ergänzenden Informationen zu Ihrem Artikel liefern. Es ist jedoch ein sehr lobenswertes Vorhaben, durch solche Informationsverbreitung Erinnerungen an Pioniere aus der Frühzeit der Informationstechnik wach zu halten! Dazu kann ich Ihnen nur gratulieren. Herzlichen Dank für Ihre Publikation. Sie wird von Vielen mit Freude gelesen werden.
Good and useful post. Quite attractive. Know more about
AntwortenLöschenbest ivf center in hyderabad