Als
Nicht-Physiker greife ich besonders dann gerne zu einem Physikbuch, wenn ein
neues Phänomen entdeckt wurde oder wenn etwa ein Nobelpreisträger sich kritisch
mit seiner Wissenschaft auseinandersetzt. Das Buch von Harald Lesch und Jörn Müller
mit dem Titel Sternstunden des Universums wurde mir empfohlen,
weil es didaktisch sehr gut gemacht sei. Bei den Streifzügen durch Astronomie,
Kosmologie und Quantenphysik werden vor allem die Themen herausgegriffen, die
dem Mann oder der Frau auf der Straße etwas unheimlich vorkommen. Es gibt
Erscheinungen in der Natur, da ist man geneigt zu fragen, was sich die Natur (oder
ihr Schöpfer) dabei wohl gedacht hat. Da wir von einem Krimi gewohnt sind, dass
der Täter bei dem einen oder anderen Schachzug böswillige Absichten hatte, darf dies
bei der Natur als Täter jedoch (anscheinend) nicht angenommen werden. Wenn es doch
so erscheint, dann nur, weil wir den Vorgang (noch) nicht richtig verstehen.
Von
dieser kriminologischen Interpretation des Buches abgesehen, sind es zwei
Thesen, die die Autoren sehr stark vermitteln – ob absichtlich oder ungewollt,
sei dahingestellt.
(1) Auch die Physik kann sich nicht damit begnügen, den
Zustand der Welt zu beschreiben, als wäre er nur von zeitlos geltenden Gesetzen
abhängig und
(2) Nichts deutet darauf hin, dass die
Entwicklungsgeschichte der Natur auf den Menschen Rücksicht nahm oder nehmen
wird.
Die zu
Verdächtigungen Anlass gebenden Ereignisse beginnen mit den Oklo-Sedimentschichten
in Gabun, wo die Natur vor Jahrmillionen einen Kernreaktor betrieben hat, setzen
sich fort mit Planeten, die von einer Bahn in eine andere springen, gehen über
Meteore und Asteroiden, die die Erde geradezu bombardieren und enden mit den
Klima-Turbulenzen, die bereits weltweite Gegenmaßnahmen hervorgerufen haben.
Supernovas können tödliche Strahlenkeulen in unsere Richtung lenken (etwa vom Sternbild Eta
Carinae aus), oder auf einem der inzwischen entdeckten 500 Exo-Planeten könnte
doch konkurrierendes Leben entstanden sein (etwa auf Gliese 581g).
Sterngebilde
können, was Größe, Masse, Rotationsgeschwindigkeit, Hitze und Leuchtkraft betrifft,
alles überbieten, was wir kennen und aushalten können. Wie heute jedes Kind
weiß, sind Schwarze Löcher an Gefräßigkeit nicht zu überbieten. Sie haben sogar
Objekte geschaffen, für die der Begriff Stern nicht mehr ausreicht. Gemeint
sind Quasare. Sie erhalten ihre Energie nicht durch Kernfusion wie einzelne
Sterne, sondern durch Akkredition. Sie verschlucken ganze Galaxien.
Die
Astronomie und auch die Physik tun gut daran, sich das Weltall und seine Gesetze
als das Ergebnis historischer Prozesse vorzustellen. Manche Physiker glaubten
früher, sich in dieser Hinsicht von andern Fächern (etwa der Biologie) abheben zu können. Nichts
drückt dies klarer aus als die Entstehung der Metalle. Der Metallgehalt
(Metallizität genannt) eines Himmelskörpers ist ein klares Indiz für sein
Alter. Außerdem haben alle Objekte eine Zukunft, die anders ist als sein
jetziges Erscheinungsbild.
Sich
den Urknall vor 13,7 Mrd. Jahren vorzustellen, wird immer schwieriger. Nach
landläufiger Theorie soll alle Materie, die es in unserem Universum gibt, sich
in einem unendlich kleinen Punkt unendlich dicht und bei unendlich hoher
Temperatur befunden haben (auch Singularität genannt). Eine bessere Erklärung
wollen die String-Theoretiker haben. Sie geben die Forderung nach
infinitesimalen Größen auf und ersetzen sie durch Plancksche Einheiten. Unterhalb
von Planck-Längen und Planck-Zeiteinheiten können wir nichts feststellen. Dummerweise
ist die String-Theorie nicht falsifizierbar. Moderner ist die Annahme, dass die
Raumzeit gequantelt ist, d.h. es gibt sie nicht kontinuierlich, sondern nur
häppchenweise. Leute, die so rechnen, benutzen Formeln, in denen auch vor dem
Urknall etwas war. Es gab Masse, die nicht unendlich klein war. Es gab auch
Zeit. Vielleicht war damals der Zeitpfeil sogar umgedreht (so meint es ein Herr
Bojowald).
Sehr
fundamental ist die Frage, wieso es überhaupt noch Materie gibt. Eigentlich
müsste sie längst von Antimaterie ausgelöscht sein. Man glaubt, dass es
irgendwann (per Zufall?) einen Überschuss von Materie über Antimaterie gab, und
zwar im Verhältnis ein Partikel auf 10 hoch 10 Partikel. Die Folge war, dass
die CP-Symmetrie (Ladung, Polarität) verletzt wurde. Daher werden Materie und
Antimaterie von der schwachen Kernkraft unterschiedlich behandelt. Der
materie-freie Raum ist nur ein falsches Vakuum. Er besitzt negative Energien,
die sich in Quantenfluktuationen bemerkbar machen. Ob wir in Zukunft mehr in
die Vergangenheit sehen können, hängt von der relativen Geschwindigkeit der Expansion
unseres Universums ab. Die Frage ist, was sich schneller ausdehnt, der
materie-freie Raum (das falsche Vakuum) oder das wahre Vakuum.
Multiversen
sind gedanklich möglich. Sie liegen jenseits vom Hubble-Volumen (das, was wir
zurzeit sehen können). In ihnen können andere Naturgesetze gelten als bei uns.
Eine zerbrochene Tasse kann sich dort möglicherweise wieder von selbst zusammensetzen.
Die große Frage der Kosmologie heißt, wer oder was setzte die Naturkonstanten
fest, die die Physik unseres Universums bestimmen? Wieso unsere Werte das sind,
was sie sind, ist eines der größten, noch ungelösten Rätsel. Bei manchen der Konstanten macht es die vierte Stelle hinter dem Komma erst möglich, dass wir Menschen überhaupt existieren können.
Dass
einer der Autoren (Lesch) auch einen Hang zur Philosophie hat, wird aus folgender
Überlegung deutlich. Für die Frage aller Fragen gäbe es zwei Formen:
(1) Wie kommt es, dass überhaupt etwas ist und nicht
nichts ist? oder
(2) Warum (oder weshalb) ist überhaupt etwas und
nicht nichts?
Der
erste Fall sei eine Seinsfrage, die Naturwissenschaftler stellen dürfen. Im zweiten
Falle handele es sich um eine metaphysische Frage oder Sinnfrage. Sie gehöre in
den Bereich der Philosophie. Dass man die Theologie völlig außen vorlässt, ist
überraschend. Wenn ich den Vergleich mit Kriminalgeschichten erneut aufgreife,
so kann man dort eine ähnliche Reihenfolge der Fragen feststellen. In Krimis
fragt man zuerst, Wer hat es getan und
wie? Erst danach fragt man, Warum hat
er es getan?
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.