Stefan Jähnichen (Jahrgang 1947) ist seit 1991 Professor für Informatik an die TU
Berlin, wo er das Fachgebiet Softwaretechnik der Fakultät IV (Elektrotechnik
und Informatik) leitet. Von 2001 bis 2012 fungierte Jähnichen auch als Direktor
des Fraunhofer-Instituts für Rechnerarchitektur
und Softwaretechnik (FIRST). Von
2008 bis 2010 war er Präsident der Gesellschaft für Informatik (GI). Daneben arbeitet Jähnichen als Kurator im
Forschungszentrum Informatik (FZI) in
Karlsruhe sowie in der Leitung des Daimler Center for Automotive IT Innovations
(DCAITI) in Berlin. Weiterhin war Jähnichen Mitglied im
Fachkollegium Informatik - Softwaretechnologie der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) sowie Aufsichtsratsmitglied des European Center for Information and Communication Technologies (EICT). Jähnichen ist Mitglied des Panel „Informatics“ des
European Research Councils (ERC) und
leitet dieses Panel in den Jahren 2009/10 und 2012/13. Jähnichen studierte bis
1974 Elektrotechnik an der TU Berlin,
wo ihm 1979 der Grad Dr.-Ing. Elektrotechnik verliehen wurde. Von 1988 bis 1991
war er Professor an der Universität Karlsruhe, dem heutigen KIT, im Fachgebiet Informatik.
Bertal Dresen (BD): Vier Jahre haben Sie der Gesellschaft für Informatik (GI) als Präsident vorgestanden. Wie erschien die GI Ihnen? Spürten Sie, was 20.000 Informatikerinnen und Informatikern am Herzen liegt oder beschränkt sich der Feedback auf vielleicht 100 Aktive? Was erwarten die Mitglieder? Wie machen sich die Unterschiede zwischen den Fachgebieten bemerkbar, oder die Unterschiede zwischen Alt und Jung, zwischen Akademikern und Praktikern? Wie kann der Einfluss der Jugend und der Praktiker verstärkt werden? Was waren aus Ihrer Sicht die Hauptprobleme Ihrer Amtszeit, die größten Enttäuschungen? Gibt es bekannte Forderungen oder Erwartungen der Mitglieder (abgesehen von verbesserter Kommunikation, auf die ich bei der nächsten Frage eingehen werde), welche die GI nicht oder nur schwer erfüllen kann? Wenn ja, warum? Hat die Leitung der GI Wünsche an ihre Mitglieder, auch und besonders an die korporativen?
Stefan Jähnichen (SJ): Die GI hat zwar
knapp 20.000 Mitglieder, wird aber sicherlich aktiv von weit weniger
Mitgliedern vertreten. Trotzdem war ich in meiner Amtszeit beeindruckt, wie
viele Aktivitäten von der GI betrieben oder zumindest unterstützt werden. Ich
denke dabei an die vielen Tagungen, vor allem aber an die Wettbewerbe und
Preise und bin beispielsweise immer noch stolz auf die mehr als 120.000
Teilnehmer am Biber Wettbewerb für Schulen, dem Bundeswettbewerb Informatik
oder die lange Liste von Preisen, die die GI gemeinsam mit den ihr
nahestehenden Informatikförderern vergibt, von den Auszeichnungen für
Abschlussarbeiten bis hin zur höchsten Auszeichnung für einen deutschen
Informatiker, der Zuse Medaille. Es macht wenig Sinn, an dieser Stelle alle GI
Aktivitäten aufzählen zu wollen, aber die Leistung aller Mitglieder, die daran
mitwirken und auch die Leistung der doch sehr kleinen Geschäftsstelle muss man
würdigen. Und, an dieser Stelle, mein Dank an Alle, die mitgeholfen haben!
Natürlich hätten wir, hätte die GI gern noch mehr junge und aktive Mitglieder, aber, daran müssen wir halt arbeiten. Es geht dabei nicht nur um die Anwerbung neuer und vor allem junger Mitglieder, sondern viel stärker noch um ihre Einbindung in die Strukturen der GI und damit auch deren Gestaltung und Weiterentwicklung.
Ich würde mir allerdings von vielen Informatikern mehr Bewusstsein für eine GI als Interessensvertretung unseres Berufsstandes, der Informatik, wünschen. Die oft auch an mich gerichtete Frage, was denn eine GI für einzelne Personen an Vorteilen bringt, greift zu kurz, denn auch wenn die Mitarbeit in Fachausschüssen oder der Zugang zu Zeitschriften einen Mehrwert darstellen, muss die Bedeutung der Informatik, ihre Weiterentwicklung und ihre Vertretung als eine der wichtigsten Technologien dieses Jahrhunderts in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik im Vordergrund stehen. Und dies geht nachhaltig nicht ohne eine kompetente und starke Fachgesellschaft – der Gesellschaft für Informatik!
Beschäftigt
haben mich und meine Vorstandskollegen in meiner Amtszeit - für mich sehr
unerwartet - der Verkauf der Anteile an der CERT-IT, die Neuorientierung der
DIA, der deutschen Informatik Akademie, und dann natürlich der Verlust der
Computerzeitung. Bei der DIA bin ich leider nicht sicher, ob unsere
Rettungsversuche zu einem guten Ende führen werden, da der Markt für
Weiterbildung ein schwieriges Geschäftsfeld ist. Wichtige Themen waren außerdem
der europäische und daraus folgend der nationale Qualifikationsrahmen zur Aus-
und Weiterbildung, die Werbung für Informatik an Schulen, die Zusammenarbeit
mit Fakultätentag und Fachbereichstag, die Neustrukturierung unsere
Publikationsorgane, die Repräsentanz im Netz, die Mitarbeit an den IT Gipfeln der
Bundeskanzlerin, usw.. Hier lassen sich noch viele andere Themen anführen, die
alle wichtig sind und Aufmerksamkeit erfordern und es sei mir an dieser Stelle
die Frage erlaubt, ob die Erledigung all dieser Aufgaben für einen Präsidenten
im „Ehrenamt“ nicht zu viel ist. Der Vorstand der GI hat dies übrigens auch
erkannt und durch die Einstellung eines zweiten Geschäftsführers hoffentlich
schon für ein wenig Entlastung gesorgt.
BD: In einem Beitrag
in diesem Blog vor über einem Jahr verglich ich die Angebote der amerikanischen
Fachgesellschaft ACM an ihre Mitglieder mit denen der GI. Fünf Dienste fielen
mir auf, wo die GI wenig oder nichts zu bieten hatte: Digitale Versionen der
Mitgliederzeitschriften, Blogs zu allen Zeitschriften und Fachgruppenthemen, Wöchentliche
Mittelungsblätter und RSS Feeds, Personalisierte Literaturhinweise und
Tagungsankündigungen sowie Autoren-Foren mit Selbstdarstellungen. Ist mein Eindruck richtig, dass die GI sich
bewegt hat? Gibt es Dinge, die bei uns auf besondere Schwierigkeiten stoßen,
vielleicht sogar keinen Sinn machen?
SJ: Sie haben Recht, viele dieser Angebote gibt es
inzwischen und damit relativiert sich auch ihr Eindruck im Vergleich zu den
amerikanischen Gesellschaften. Trotzdem darf man bei einem solchen Vergleich
nicht übersehen, dass ACM und auch IEEE-CS als internationale Gesellschaften
wirken und selbst als "Publisher", also als Verlage auftreten,
während die „nationale“ GI mit den Verlagen in Deutschland bei ihren
Publikationen zusammenarbeitet und damit auf diesem Gebiet ein völlig anderes
Geschäftsmodell hat. Das kann sich alles sehr schnell ändern, wenn „Open
Access“ mehr Bedeutung gewinnt und, als kleiner Hinweis, ich bin sehr froh,
dass Dagstuhl, bei dem wir einer der Hauptgesellschafter
sind, in dieser Richtung aktiv geworden ist und eigene Publikationsorgane
aufbaut.
BD: Sie leiteten bis vor kurzem das Fraunhofer-Institut für
Rechnerstruktur und Softwaretechnik (FIRST) in Berlin. Gegründet von Wolfgang Giloi, ist es
eine der bekanntesten und angesehensten deutschen Forschungsstätten. Wo lagen
in Ihrer Zeit als Leiter seine Arbeitsschwerpunkte und was sind die
markantesten Ergebnisse?
SJ: Wir haben bei FIRST sehr systematisch drei
Themen verfolgt: die Softwaretechnik, die Rechen- und Visualisierungstechnik sowie
die Nutzung numerischer und statistischer Verfahren zur Simulation und
Datenanalyse. Diese Themen und vor allem ihr Zusammenwirken haben uns zu einem
der führenden Institute auf dem Gebiet der eingebetteten Systeme gemacht. Auch
hier nur ein paar Beispiele der letzten Jahre:
- die Erprobung moderner Rechnerarchitekturen und Fehlertoleranzmechanismen in der Satellitentechnik (u.a. BIRD, ein Feuermeldesatellit),
- die Entwicklung von Simulatoren zur minimal-invasiven Chirurgie,
- die Verfahren zu dynamischen Verkehrssimulationen oder
- die Nutzung unserer Constraint Solver zur Lösung von Optimierungs- und Planungsaufgaben (z.B. die Stundenplanung der Charité) oder auch das Scheduling von Tasks auf Mehrrechnersystemen, und
- wir waren wohl zumindest unter den ersten, wenn nicht gar die ersten, die ein funktionsfähiges Interface zwischen Gehirn und Computer realisiert haben.
Vergessen sollte man in einer solchen Aufzählung auch nicht die
Ausgründungen, die mit dem bei FIRST erworbenen Wissen und der dort entwickelten
Technologien erfolgreich am Markt agieren.
BD: Auf ein Forschungsgebiet Ihres
Instituts wurde ich vor Jahren aufmerksam. Es handelt sich um die direkte
Steuerung von Computern mittels Hirnströmen, auch Brain-Computer-Interface
(BCI) genannt. In einer
Veröffentlichung der TU Berlin
steuert eine Versuchsperson das als Flipper bekannte Geschicklichkeitsspiel nur
mit ihren Gedanken. Welche Ergebnisse erwarten Sie mittel- und langfristig aus
diesem Projekt? Werden daraus nur neue Hilfen für Kranke und Invalide
entstehen, oder können auch gesunde Menschen evtl. davon profitieren, z.B. Designer,
Monteure, Autofahrer?
SJ: Wie gesagt, ich glaube wir waren die ersten, die
eine solche Schnittstelle entwickelt haben und in vielen Experimenten gezeigt
haben, dass es wirklich funktioniert. Der wissenschaftliche Hintergrund dieser
phantastischen Schnittstelle liegt in der Weiterentwicklung von Verfahren zur
statistischen Datenanalyse, beispielsweise den Support Vektor Maschinen, die Vapnik bei den Bell Labs erstmals vorstellte und die dann bei FIRST
weiterentwickelt (Smola, Schölkopf) und eingesetzt
wurden. Wir haben damals mit der Steuerung von Cursor-Bewegungen durch die
Interpretation von EEG Signalen begonnen, dann u.a. auch eine Sprachsteuerung für
Sprachbehinderte entwickelt und heute spielen die Wissenschaftler um Klaus-Robert Müller an der TU Berlin
sogar Schach damit.
Für mich ist diese Entwicklung vor allem deshalb faszinierend, weil es gelingt, mehr über die Arbeitsweise unseres Gehirns zu erfahren - eines der noch ziemlich weißen Flecken in unseren Forschungsagenden. Der Einsatz für die Unterstützung behinderter Menschen ist ein zusätzlicher Ansporn, in diese Technologie weiter zu investieren! Ich denke aber auch, dass wir eine noch stark verbesserte Sensorik brauchen, um den nächsten Quantensprung in dieser Forschungsrichtung zu bewältigen.
BD: Die TU Berlin hat eine Kooperation mit dem European Center for Information and
Communication Technologies (EICT). Das
ist ein Zusammenschluss von fünf Partnern: Deutsche Telekom, Siemens, Daimler, Fraunhofer-Gesellschaft
und TU Berlin. Worin liegt das Besondere dieser Kooperation? Bei welchen
Projekten erwarten Sie Ergebnisse, die eine Relevanz für den Markt haben?
SJ: Die EICT GmbH hat sich als eine der ersten gut
funktionierenden PPPs (Public Private Partnerships) gegründet und viele
gemeinsame Projekte mit den Partnern aus Wissenschaft und Industrie initiiert. Wichtigstes Projekt der EICT GmbH aus meiner
Sicht war die Beantragung des deutschen Knotens des neu gegründeten EIT
(European Institute of Technology). Nach dem erfolgreichen Abschneiden dieses
Antrags haben die an dem Projekt beteiligten Gesellschafter mit einigen neuen wissenschaftlichen
und industriellen Partnern eine neue Gesellschaft gegründet (die ICTLabs GmbH), die jetzt die Aktivitäten des deutschen
Knotens in den Bereichen Innovation, Forschung und Lehre koordiniert. Ich
erwarte Resultate für die Praxis vor allem aus der Zusammenarbeit der Partner
aus Wissenschaft und Wirtschaft.
BD: Auf dem IT-Gipfel 2011 in München wurden die ersten
Studierenden der Initiative Software
Campus im Beisein von Bundeskanzlerin Angela Merkel offiziell begrüßt. Die
organisatorische Umsetzung des Software Campus hat die oben erwähnte Firma EICT
übernommen. Es soll vor allem um die Vermittlung von Management-Kompetenz durch
die Industrie gehen. Wieweit ist die Industrie an der Ausbildung beteiligt? Woher
kommen die Studenten? Welche Vorkenntnisse haben Sie? Welche Ergebnisse gibt es
bis jetzt?
SJ: Die organisatorische Umsetzung dieses vom BMBF geförderten Projekts
liegt inzwischen auch bei der ICTLabs GmbH. Deren industrielle Gesellschafter haben
sich im Software Campus vor allem bei
der Vermittlung dieser von Ihnen genannten Management-Kompetenz engagiert. Zielgruppe
dieses Projekts sind exzellente Master-Studierende und Doktorand/innen der
beteiligten wissenschaftlichen Einrichtungen und Universitäten, die ihre
wissenschaftlichen Projekte in Zusammenarbeit mit den industriellen Partnern
zum Erfolg bringen wollen und gleichzeitig zusätzliche Managementkompetenz
erwerben wollen. Das Programm läuft noch nicht einmal ein Jahr und als Erfolg
kann man bisher wohl vor allem die hohe Antragszahl und die sehr gute
Qualifikation der Bewerber und Bewerberinnen vermelden.
BD: Sie geben gerade zwei von drei Ämtern ab. Ich glaube nicht,
dass Sie sich zur Ruhe setzen werden. Welche Themen werden Sie in Zukunft vorwiegend
beschäftigen?
SJ: Mein Amt als Präsident der GI habe ich bereits Ende letzten Jahres
abgegeben. Seit dem 1. Oktober 2012 bin ich auch nicht mehr als Institutsleiter
der Fraunhofer Gesellschaft tätig, und werde mich wieder voll meinem Hauptamt
als Hochschullehrer widmen. Lehre hat mir schon immer viel Spaß gemacht, und,
ich habe mir sagen lassen "es hält jung!" Besonders interessiert bin
ich neuerdings aber an neuen und innovativen Technologien zur Unterstützung von
Lehre. Ich sage bewusst nicht „eLearning“, weil darunter häufig doch nur die
Wiederholung von Powerpoint-Präsentationen im Netz verstanden wurde. Ich
glaube, dass wir bei einer systematischen Nutzung der sogenannten "Neuen
Medien" uns auch mit einer innovativen Didaktik auseinander setzen müssen
und damit zu völlig neuen Lehr- und Lernformen kommen werden. Hier sollte
Europa und insbesondere Deutschland ganz vorn stehen! Nicht umsonst haben wir
ja in der Vergangenheit mit unseren Bildungssystemen geglänzt und sollten uns auch
beim Einsatz neuer Lehr- und Lernformen diese Tradition bewahren. Von der
Bildung und Ausbildung unserer jungen Menschen hängt ja wohl auch unbestritten
die Leistungsfähigkeit unserer Gesellschaft, die Wettbewerbsfähigkeit unserer
Industrie und damit auch unser Wohlstand ab.
Tätig sein werde ich weiterhin beim ERC, einer Initiative der EU,
mit der exzellente Wissenschaftler durch
ein finanziell sehr gut ausgestattetes Stipendienprogramm gefördert werden und,
meinen Doktoranden kann ich jetzt auch mehr Zeit spendieren. Alles Weitere wird
sich zeigen.
BD: Vielen Dank für das sehr ausführliche und informative Interview.
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