Dienstag, 25. Juni 2019

José Encarnação über Computergrafik morgen und sein weltweites fachliches Engagement

José Luis Moreira da Encarnação (*1941) ist seit 2009 emeritierter Professor für Informatik der Technischen Universität Darmstadt. Er ist der Nestor der deutschen Computergraphik und wurde in Portugal geboren. Seinen Werdegang hatte ich anlässlich eines früheren Interviews wiedergegeben. Encarnação ist heute als Technologie- und Innovations-Berater für Regierungen, multinationale Firmen, Forschungsinstitutionen und Stiftungen tätig. Er ist ebenso beteiligt an der Konzeption und der Entwicklung von Forschungsvorhaben und Innovationsstrategien zur sozio-ökonomischen Entwicklung von Schwellenländern. Er war weltweit an der Gründung von mehr als 15 Spin-offs des Darmstädter Instituts für Grafische Datenverarbeitung beteiligt. Unter seiner Leitung wurde das INI-GraphicsNet (International Network of Institutions …) als Netzwerk aufgebaut, das heute aus Technologie-Transfer betreibenden Institutionen in Deutschland, Panama, Portugal und Spanien besteht. Es firmiert jetzt unter dem Namen „GraphicsMedia.net GmbH“. Encarnação ist Mitglied der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech) und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW). Er ist gewähltes Mitglied der SIGGRAPH-Akademie der Association for Computing Machinery (ACM). Er trägt unter anderem das Große Bundesverdienstkreuz sowie die Konrad-Zuse-Medaille und die Fraunhofer-Medaille. Er ist fünffacher Ehrendoktor (TU Lissabon, Uni Rostock, Uni Minho/Portugal, Nanayang University Singapore, TU Berlin) und vierfacher Ehrenprofessor (Lissabon, Hangzhou/China, Campinas/ Brasilien, Maribor/Slovenien).


Bertal Dresen (BD): Wie ich von Ihnen erfahren habe, ist Ihr Ruhestand alles andere als beschaulich und auf Südhessen beschränkt. Für welche Ihrer vielen Tätigkeiten spendieren Sie heute die meiste Zeit und Energie? Wo glauben Sie, dass Sie am meisten bewirken können und warum?

José Encarnação (JE): Meine Haupttätigkeiten – als „Informatik-Rentner“ –  liegen zurzeit in der Beratung und Unterstützung bei der Konzeption, der Entwicklung und der Umsetzung von Forschungsvorhaben und Innovationsstrategien zur sozio-ökonomischen Entwicklung, hauptsächlich von Schwellenländern wie z.B. Brasilien und Süd-Afrika, aber auch für mein eigenes Geburtsland Portugal.

Innovation wird für die Zukunft immer stärker das Fundament und der Haupt-Treiber für die sozio-ökonomische Entwicklung und damit auch für den Wohlstand und für das friedliche soziale Miteinander in einem Land. Innovation setzt aber auch riesige Investitionen, gezielte Strategien und entsprechende Forschungs-Infrastrukturen voraus. Wie können dann - und bei solchen hohen Kosten - Schwellen-Länder (wie z.B. Brasilien und Südafrika) und kleine Länder in Europa (wie z. B. Portugal) gegen große, sehr potente Länder, in welcher Form auch immer, mithalten und im weltweiten, globalen Innovations-Wettbewerb partizipieren, um davon auch zu profitieren und dadurch ihre eigene Zukunft einschließlich eigenem Wohlstand ebenso zu sichern, wie die eigene gesellschaftliche und sozio-ökonomische Entwicklung positiv zu gestalten? Diese Fragen beschäftigen und treiben mich sehr. Ich würde sehr gern versuchen, einen Beitrag zu ihrer Beantwortung zu leisten. Dies ist meine Hauptmotivation für einige meiner aktuellen Beratertätigkeiten, die auf meine mehr als 40-jährige Erfahrung in führender, leitender Funktion und Verantwortung für Forschung und Innovation, u.a. in der Fraunhofer-Gesellschaft, basieren.

BD: Das Fachgebiet Computergrafik, auf das wir am Schluss noch eingehen, hat sich dynamisch weiterentwickelt. Ihre Ausstrahlungskraft scheint geografisch keine Grenzen zu kennen. Bei welchen Lokationen oder Institutionen haben Sie die stärkste Wirkung hinterlassen? Was verbindet z. B. Rhode Island mit Panama und Singapur? Wie weit ist die internationale Kooperation von den gerade aktiven Personen abhängig?

JE: Ich bin mit 18 Jahren, also direkt nach dem Abitur in Portugal, nach Deutschland gekommen und bin in diesem Land in jeder Hinsicht „groß und alt“ geworden. Ich habe hier studiert, promoviert und beruflich Karriere gemacht, … aber auch eine Familie gegründet (inzwischen drei Kinder und neun Enkel!); man kann schon sagen, dass ich vollständig und erfolgreich integriert bin und mich in Deutschland sehr wohl fühle. Ich bin Deutschland auch sehr dankbar für alles, was es mir angeboten und ermöglicht hat. ABER ich weiß auch aus eigener Erfahrung, dass Fleiß, Intelligenz, Kreativität und Innovationsfähigkeit keine Nationalitäten kennen und auch keinen Reisepass besitzen …

Von dieser Überzeugung getragen war ich immer in meinen Forschungs- und Innovations-Aktivitäten sehr international orientiert und global agierend. Ich wollte mit den weltweit besten Forschern  in den interessantesten Projekten zusammenarbeiten, zu dem gemeinsamen  Erfolg beitragen und mit den dabei erzielten Ergebnissen auch mein Institut in Darmstadt (das Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung − das IGD) vorantreiben, profilieren, finanziell sichern und zu einem weltweit führenden Institut auf unserem Fachgebiet machen. Ich glaube, dass mir das gelungen ist.

Ich wusste schon sehr früh und sehr wohl, dass es dabei weder möglich, noch sinnvoll, noch angebracht wäre zu versuchen, möglichst vieles nach Darmstadt zu holen oder zu versuchen in Darmstadt alles allein zu machen was an Forschung und Innovation in meinem Fachgebiet anstand und zur weiteren Entwicklung des Fachgebietes notwendig war. Ich war davon überzeugt, dass man stattdessen dafür ein internationales und globales Forschungs- und Innovations-Netzwerk für das eigene Fachgebiet aufbauen und pro-aktiv betreiben müsste. Alle, die Teil von bzw. als Partner in diesem Netzwerk werden sollten bzw. wollten, sollten zuerst lokal, d.h. in ihrem jeweiligen Land fachlich führend sein und sie sollten es auch als ihre primäre Aufgabe sehen – auch um die eigene Finanzierung über lokale Möglichkeiten und Programme zu sichern − die Themen, Probleme und Anwendungen, die lokal als wichtig und prioritär angesehen wurden, bestmöglich zu erforschen bzw. zu lösen.

Die dabei gewonnenen Erkenntnisse und erzielten Ergebnisse sollten dann, in einem zweiten Schritt, im Rahmen eines Technologie-Transfers innerhalb des Netzwerkes alle Mitglieder in einer abgestimmten und vertraglich geregelten Form zur Verfügung stehen und zu Gute kommen. Die Vision war es, einen eigenen Markt, so eine Art globale „Economy of Scale“ für die Forschung und Innovation im Gebiet der Graphischen Datenverarbeitung zu schaffen; davon sollte dann auch das Fraunhofer IGD profitieren und dabei eine führende und gestaltende Rolle übernehmen.

BD: Wie findet der Technologietransfer am effektivsten statt? Welche Bedeutung haben eigene Schüler, gemeinsame Projekte oder gegenseitige Besuche? Welche Erfahrungen genereller Art haben Sie gemacht?

JE:  Um den Technologietransfer nach und von Darmstadt aus effektiver zu machen und um für das eigene Institut, das Fraunhofer IGD, eine eigene, solide  „Economy of Scale„ für das eigene Fachgebiet zu schaffen, habe ich seinerzeit das INI-Graphics.net aufgebaut (INI = International Network of Institutions). Ich gründete weltweit und im Laufe der Zeit mit lokalen, prominenten Universitäten verschiedene Partnerschaften und z.T. auch neue  Einrichtungen für Research & Innovation (R&I) in Computer Graphics in USA, Panama, Korea, Singapur, Italien, Spanien und Portugal. Sie waren alle, jede für sich, unabhängige und selbstständige R&I-Einrichtungen in Computer Graphics, die ein sehr starkes, lokal geprägtes R&I auf dem Gebiet der Graphischen Datenverarbeitung betrieben haben, um dann, in einem zweiten Folgeschritt, mit den erzielten Ergebnisse und IPRs „über und in der Familie“, das INI-Graphics.net, international (global) zu agieren, zu vermarkten und zu vertreiben. Im Netzwerk wurde teilweise Forschungspersonal ausgetauscht und gemeinsame Projekte durchgeführt, um auch intern ein Know-How Transfer zu realisieren.

Das INI-Graphics.net sollte also die Basis und der Träger sein für eine starke, internationale, global agierende „Economy of Scale“ in R&I für die Graphische Datenverarbeitung, mit einem gewissen Führungs- und Gestaltungsanspruch des Fraunhofer-Instituts IGD in Darmstadt.

Das war damals die Grundidee, die Vision, und sie war wohl nicht ganz falsch, denn sie hat bis zu meiner Pensionierung sehr gut geklappt und erfolgreich Früchte getragen. Sie lebt sogar noch heute weiter, wenn auch in der neuen Form einer „GraphicsMedia.net GmbH“ und mit geänderter Besetzung und Führung, nämlich mit Gruppen in China (Beijing), Deutschland (Berlin, Kaiserslautern , Spanien (San Sebastian), Panama und Portugal (Guimarães). Sicherlich muss man aus der Erfahrung in der Vergangenheit lernen und es gibt selbstverständlich noch viel Raum für Verbesserungen und Optimierungen, aber die  Idee eines lokalen, starken und fokussierten Agierens und Betreibens von R&I, mit einem dann folgenden, globalen Vertreiben und Vermarkten der gewonnenen Erkenntnisse und der in Projekten erzielten Ergebnisse über ein eigenes Netzwerk, „die Familie“, scheint als solche richtig und ein erfolgversprechendes Modell für die Zukunft dieser Art von R&I Aktivitäten  zu sein.

Aber das hat auch nur deswegen ganz gut geklappt, weil die „richtigen Champions“ für die lokale Führung der einzelnen Gruppen gewonnen werden konnten. An jedem Standort wurde die Führung immer nach demselben Muster aufgebaut, nämlich eine doppelte „Führungs-Spitze“ mit einer starken, lokalen Forscherpersönlichkeit und mit einer zweiten Forscherpersönlichkeit mit starker Bindung an Darmstadt (ein Schüler von mir, ein ehemaliger Doktorand oder Visiting Professor, o.ä.). Wo die doppelte Führungs-Spitze gut funktioniert hat, war die Gruppe im Netzwerk sehr aktiv und sehr erfolgreich, wenn nicht, dann hat das z.T. sogar zur Auflösung und Aufgabe der jeweiligen Gruppe geführt. Aber auch hier zeigte sich … „Menschen“ machen es!

BD: Im Falle Ihres Heimatlandes Portugal geht Ihr Engagement offensichtlich weit über das rein fachliche hinaus. Mir scheint, als ob die Idee des CoLABS darauf abzielt, eine Forschungsstruktur aufzubauen, die eine Brückenfunktion enthält zwischen Grundlagen und Anwendung. Gilt hier die Fraunhofer-Gesellschaft als Modell? Wie weit ließ sich dieses Konzept bisher realisieren?

JE: Ein CoLAB (für Co-operatives Laboratorium) ist eine selbständige und unabhängige, neugegründete Forschungseinrichtung, die für ein aktuelles, für Portugal und seine Wirtschaft sehr wichtiges und sehr relevantes Thema fortschrittliche Forschung und Innovation (R&I) neu betreibt. Die an diesem Thema interessierte Industrie (Hersteller, Anwender, Nutzer, Betreiber, Verbände, etc., etc., die konkret einen Bezug und eigene Interessen bei diesem Thema haben; muss nicht nur nationale Industrie sein) muss sich am Gründungskonsortium für das CoLAB verbindlich und finanziell (cash!) beteiligen. Die für das Thema relevanten und notwendigen Partner aus dem akademischen Bereich (Unis, Forschungseinrichtungen, etc.) sollen andererseits auch Mitglieder im Gründungskonsortium des CoLABS werden; die Industrie soll aber im „Drivers‘ Seat“ des CoLABS sitzen, d. h. das „Sagen“ haben, aber nicht über das CoLAB allein bestimmen können.

Ein CoLAB ist also eine Art gemeinnützige Einrichtung, die in Deutschland als eine Mischung aus einem FhG- und einem DFKI-Institut verstanden werden kann. Für die ersten fünf Jahre gibt es eine Grundfinanzierung vom Staat; das Gründungskonsortium muss diese aber „matchen“ (ca. 50/50). Ziel eines  CoLABs ist es auch eine bestimmte Anzahl von „neuen“, für das jeweilige Thema wichtigen wissenschaftlichen Jobs zu schaffen; die Höhe der Grundfinanzierung ist auch von dieser Zahl abhängig. Geplant ist es, dass nach fünf Jahren ein CoLAB in der Regel eine sichere, eigene Finanzierung hat.

Die Thema X soll bzw. die Themen XY sollen für das Land, für seine sozio-ökonomische Situation und für seine wirtschaftliche Zukunft sehr relevant sein. Zur Lösung der Probleme oder zur Realisierung der Anwendungen die das Thema selbst impliziert, werden neue Technologien, neue Systeme und neue Innovationen gebraucht werden, die dann Gegenstand vom R&I des CoLABS sind. Wenn die vom CoLAB in der Behandlung des Themas entwickelten und erfundenen Innovationen wirklich neu und sehr innovativ sind, ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis haben  und sich gut übertragen lassen, dann werden sie auch im globalen Innovationsmarkt ihren Platz und ihre Kunden finden; sie werden dann zu einem Geschäft für die bei ihrer Entwicklung im CoLAB beteiligte Industrie. Portugal wird dadurch und damit zu einem „Player“ im globalen Innovationsmarkt, mit allen Vorteilen, die das für seine Wirtschaft und sozio-ökonomische Entwicklung impliziert.

Wenn nicht, dann sind mindestens die Probleme gelöst oder die Anwendungen realisiert worden, die im Thema selbst impliziert waren. Man hat dann für Portugal zumindest das Thema fortschrittlich und innovativ erledigt und die dafür getätigten Ausgaben und Investitionen sind nicht „versenkt“ worden, d. h. sie sind nicht umsonst gewesen. Beispiele von solchen Themen sind u.v.a.: Digitalisierung der portugiesischen Produktions-Industrie; Digitalisierung der portugiesischen Weinindustrie; Integriertes und  intelligentes Brandmanagement und Feuerbekämpfung; R&I for the Atlantic; Green Ocean Technologies and Products; Sustainable CO2 Economy; Innovation in the Food Industry; Cyberphysical Systems and Cybersecurity; Smart Energy Services Innovation; Energy Storage; Future Built Environments; etc. etc.; etc..

Es wurde ein unabhängiges “International Panel for the Assessment and Evaluation of CoLAB Proposals” mit sieben Experten aus sechs Ländern vom portugiesischen Forschungsministerium (MCTES) ins Leben gerufen und von der portugiesischen Forschungsstiftung (FCT) gemanagt; ich bin der Chairman dieses Panels. Inzwischen sind in drei Evaluierungsrunden insgesamt 26 CoLABS genehmigt worden; wir reden immerhin - bei einer „Bootsstrapping“-Phase von fünf Jahren- über 5 x 26 = 130 Mio. EUR Base Funding in diesen 5 Jahren + 130 Mio. EUR der zugehörigen Industriekonsortien als Matching Fund, das bedeutet eine Gesamtfinanzierung dieser Initiative mit 260 Mio. EUR in 5 Jahren ... und das ist schon etwas! Da das vorgesehene und seitens des Staates vorhandene Finanzierungsgeld aber immer weniger wird und langsam ausgeht, werden wohl nicht mehr viele CoLABS noch dazu kommen.

Wenn 2/3 der CoLABS nach 5 Jahren immer noch überleben und sich stabil konsolidieren lassen, dann werden um die 20 CoLABS übrig bleiben und voll funktionsfähig sein. Diese werden die Innovationskraft von Portugal sehr wesentlich und sehr zielorientiert stärken, und das Land in der neuen digitalen und globalen Weltwirtschaft gut voranbringen und für Portugal einen Platz im globalen Innovationswettbewerb der Länder schaffen. Insofern könnte diese Konzeption und diese Strategie mit den CoLABS für Portugal zu einer Erfolgstory werden ... mal sehen! Die Zukunft wird es zeigen.

Das Begleiten, das Monitoring und die Kontrolle der 26 genehmigten CoLABS in der jetzt laufenden „Bootstrapping“- und Implementierungs-Phase wird z. Z. von der portugiesischen Innovationsagentur (ANI) wahrgenommen. Ob am Ende dieses Prozesses alle CoLABS gebündelt und zu einer eigenen Organisation werden (z.B. nach dem Muster der Fraunhofer-Gesellschaft in Deutschland oder der Catapult Labs in UK oder in einer anderen, für Portugal geeigneteren Form) ist noch nicht abschließend diskutiert und auch nicht politisch entschieden worden. Es könnte aber Sinn machen und die Position und Rolle der CoLABS im Land stärken und ihre Vertretung als Gruppe einfacher, stärker und effizienter machen. Das wird aber Gegenstand einer späteren Entscheidung in Portugal sein.

BD :  Der Weinbau am Douro oder der Algensalat von der Algarve mögen zwar für die Ernährung der Bevölkerung Europas große Perspektiven eröffnen, für uns Informatiker scheint die Digitalisierung der Themenbereich zu sein, wo unsere Kompetenz eine große Rolle spielt. Wie beurteilen Sie Portugals Bemühungen auf diesem Gebiet? Gibt es Dinge, die wir von Portugal lernen können?

JE :  Digitalisierung ist eine „Transformation“, also ein Prozess, der überall dort stattfindet, wo man Daten und Funktionen von „analog“ zu „digital“ transformiert. Das passiert z. Z. fast überall, bei praktisch allen heute bereits existierenden Technologien, Systemen, Anwendungen, Dienstleistungen, etc., etc. und dies in allen Gesellschafts- und Lebensbereichen: Diese „Transformation“ ermöglicht aber auch selbst neue Technologien, Systeme, Anwendungen, Dienstleistungen, etc., etc. an die man vorher nicht gedacht hatte oder die vorher nicht möglich waren.  „Digitalisierung“ ist dadurch auch ein „enabling“ Prozess. Die Gesellschaft wird damit in allen ihren Bereichen vollständig verändert. Es liegt jetzt an uns sie entsprechend zu gestalten.

Deswegen ist bei der Konzeption der CoLABS und bei der Evaluierung der Anträge, die dafür vorgelegt wurden, sehr viel Wert darauf gelegt worden, dass die neuesten IKT-Technologien und Informatik-Methoden bei der Erarbeitung der angestrebten und für die jeweiligen Ziele der CoLABS notwendigen Innovationen eingesetzt bzw. genutzt werden. Es wird dadurch erwartet, dass IKT und Informatik nicht nur als Werkzeuge, sondern auch zu „Enabler“ für die neuen Technologien, Systeme, Problemlösungen und Anwendungen zu dem jeweiligen, vom CoLAB bearbeiteten Thema werden. Damit wird „eine Digitalisierung“ dieses Themenbereiches realisiert und umgesetzt; durch die Menge der durch die 26 CoLABS insgesamt bearbeiteten Themen wird somit auch eine Digitalisierung „in der Breite“ erreicht. Ich glaube, dass das eine gute Strategie ist, um bei dem „Digitalisierungsprozess“ in einem Land wie Portugal gut und zügig in allen für das Land wichtigen Bereiche voranzukommen.

BD : Ihr eigentliches Fachgebiet, die moderne Computergraphik, ist heute geprägt von Visualisierung, Visual Computing, Digitale Medien, Virtual und Augmented Reality, Simulationen und Animationen, Games und vieles mehr. Mich würde daher zum Schluss interessieren, wie Sie die Zukunft Ihres Fachgebiet und zugehöriger Anwendungen in unserer, in Zukunft praktisch fast vollständig digitalen Gesellschaft sehen.

JE: Die heutige Generation der „unter 20 Jahre„ wächst und lebt in einer sich immer stärker digitalisierenden Gesellschaft, mit sozialen, digitalen Medien, mit Cybertechnologien (Virtual Realities – VR;  Augmented Realities – AR; Mixed Realities - MR), mit computer-generierten Simulationen und Animationen, mit Computer-Games, etc., etc.. Diese sind aber auch alles Techniken und Technologien der heutigen, modernen Computergraphik im weitesten Sinne.

Diese Generation von Menschen leben, handeln und akzeptieren ihre Art mit „digital media platforms“ wie YouTube, Facebook, Twitter, Google und Apple  zu leben. Sie bildet die wichtigste Kundenbasis von einigen der heute größten Firmen der Welt und sie haben auch keine Probleme in Akzeptanz und Benutzung der Cybertechnologien (VR, AR, MR), die sie von heutigen Simulations- und Animations-Anwendungen und auch von Computer-Games schon gut kennen und mit denen sie schon viele Erfahrungen gesammelt haben.

Diese Generation der „unter 20 Jahre“ wird aber auch der Kern der Menschen in unserer zukünftigen „Digitalen Gesellschaft“ sein und dort die Masse der arbeitenden Menschen bilden. Diese kommende Generation wird mit neuen Formen der Interaktion, der Sozialisation, der digitalen Dienstleistungen und der digitalen Anwendungen in unserer auf IKT-Technologien basierenden und von IKT-Technologien getriebenen „Digitale Gesellschaft“ leben, arbeiten und sozial agieren. Diese Generation ist daher vorbereitet und bereit, aber auch besser ausgebildet und besser „mentalisiert“ um sich auf solche Dienste und Anwendungen zu verlassen und sie zu nutzen. Sie fragen nicht „Warum?“ oder “Wieso?“, sondern eher „Für was?“ und „Wie?“; wir können sie die „Digital Natives“ nennen.

Gleichzeitig gibt es schon Firmen überall in der Welt, die an einer „Augmented Reality (AR) Revolution“ arbeiten, in dem sie AR Plattformen für das „Mergen“ von reellen und virtuellen Inhalten erfinden und entwickeln; diese digitale Inhalte (2D und 3D) werden kontext-abhängig miteinander verflochten und mit intelligenten Schnittstellen zur Nutzung durch die „Digital Natives“ zur Verfügung gestellt. Hierbei werden folgende Geräte und Methoden eine Verwendung finden: spezielle Brillen, Methoden von Computer Vision für Tracking, Lokalisierung und Rekonstruktion, aber auch Methoden des maschinellen Lernens und „deep neural networks“ für „natural language interfaces für diese „computer-generierte Realitäten“. Dadurch werden vielfältige Arten und Typen von neuen, intelligenten Schnittstellen, wie z.B. „digitale virtuelle Assistenten“ und „digitale Charaktere“ für die verschiedensten Zwecke und Anwendungen realisiert und zur Nutzung durch die „Digital Natives“ breit angeboten werden können.

Diese neue Formen von digitalen Diensten und digitalen Anwendungen werden eine optimale Überlagerung von realer Welt mit virtuellen Welten (Mixed Realities) darstellen; sie werden über „Cyberspace Umgebungen“ (Cyberspace Environments − CE) für die „Digital Natives“ entwickelt und angeboten werden. Es wird „CEs“ geben, speziell und optimiert für zu Hause, für den Arbeitsplatz, für die Schule, für das Krankenhaus, für Sport und Entertainment und für vieles mehr. Die „CEs“ werden miteinander verbunden, vernetzt und „interoperable“ sein; sie werden auf große Datenbanken zugreifen, Daten miteinander teilen und Mobilitätsmöglichkeiten ermöglichen. Das Ergebnis dieser „Innovationswelle“ werden neue Formen und Typen von Produkten und Systemen für neue Konzepte und Ziele für digitale, graphisch-interaktive und multimediale Dienstleistungen und Anwendungen in diesen „CEs“ für die „neue digitale Gesellschaft“ sein.

Dies wird neue Firmen, neue Märkte und neue Arbeitsplätze zur Folge haben, die sich in einer Art von „nach YouTube, Facebook, Twitter, Google und Apple - Ära“ fest etablieren werden. Es werden neue Märkte und neue Business Models entstehen. Wenn Europa dabei sein will und davon profitieren möchte, auch um ihre eigene sozio-ökonomische Entwicklung und ihren Wohlstand zu sichern, dann muss es sich an die Erforschung, Entwicklung und Realisierung solcher „CEs“, zugehörige Plattformen, Dienste und Anwendungen schnellstens heran machen. Andernfalls läuft Europa die große Gefahr die nächste „Digitale Revolution „( wieder?!) zu verpassen.

BD : Haben Sie vielen Dank, Herr Encarnao! Bei der Beantwortung meiner Fragen haben Sie uns Ihre Sichten und Erfahrungen zu Themen wie „Technologie Transfer“, „Rolle und Möglichkeiten der Schwellenländer im globalen Innovationswettbewerb“ und die „portugiesische CoLAB Initiative“ vermittelt und erläutert. Auch wagten Sie einen Blick in die Zukunft Ihres Fachgebiets, der Computergrafik.

Montag, 17. Juni 2019

Mietdeckel in Großstädten – nur ein Denkanstoß

Es ist offensichtlich ein weltweites Phänomen. Die Megastädte wachsen, das sie umgebende Land dünnt bevölkerungsmäßig aus. Früher hieß dies Landflucht. In Deutschland klagen Berlin, Hamburg, München, Frankfurt, Leipzig und Köln über einen starken Zustrom von Einwohnern und eine recht angespannte Wohnungssituation. Im Folgenden betrachte ich Berlin näher, obwohl in den andern genannten Städten gewisse Parallelen zu entdecken sind.

Berlin und die Berliner ließen die übrigen Deutschen manchmal staunen. Einst war Berlin Zufluchtsort für Kriegsdienstverweigerer, NATO-Kritiker und diverse linke Gruppen. Rudi Duschke ist uns allen in Erinnerung. Klaus Wowereits Slogan ‚Arm aber sexy‘ war kaum geeignet, das Mitgefühl der Berlin unterstützenden Bundesländer zu stärken. Jetzt, gut 50 Jahre nach Duschke, sind Berliner Politiker mal wieder dabei, meine Geduld zu strapazieren. Der linke Senat der Stadt trägt sich nämlich mit dem Gedanken, einen Mietenstopp einzuführen. Fünf Jahre lang sollen Mieten nicht erhöht werden dürfen. Manche sehen darin einen eklatanten Verstoß gegen unser Grundgesetz.

Abgesehen davon, dass die Eigentümer sich wehren und klagen werden, hoffe ich, dass der Markt seine Konsequenzen zieht. Ich wünsche mir, dass eine signifikante Zahl von Firmen, vor allem junger Firmen, aus Berlin wegzieht, so dass die Mitarbeiter der verbleibenden Firmen kein Problem mehr haben, Wohnungen zu finden. Leider ist in Berlin der Anteil der aus öffentlichen Mitteln geschaffenen Stellen unverhältnismäßig hoch. Hier wird es daher etwas länger dauern, bis sich eine Wirkung zeigt. Sie tritt erst ein, wenn die Verantwortlichen in den Geberländer wie Bayern, Baden-Württemberg und Hessen die Geduld verlieren und den Finanzausgleich der Länder kündigen. Ich rechne, dass dabei etwa ein Jahrzehnt vergeht.

Nachdem unter anderem aufgrund der 5G-Versteigerung der Bund reichlich Mittel besitzt, um in flächendeckende Netze zu investieren, wäre es an der Zeit die ländlichen Regionen etwas aufzuwerten. Junge Firmen sollten sich primär dort ansiedeln. Gäbe es Kapital, das frei investieren dürfte, würde es dahin fließen, wo junge Firmen entstehen. Der Bund könnte durch die Verlegung von Behörden den sich abzeichnenden Trend weiter unterstützen. Dass die Bundesländer da etwas tun werden, ist nicht zu erwarten. Einige von ihnen sind eh Stadtstaaten, andere neigen eher zu einer kurzsichtigen Kirchturmpolitik.

Bekanntlich ist Wohnraum in ländlichen Regionen kein Problem. Hier gibt es nicht nur viele leerstehende Wohnungen, sondern auch nicht ausgelastete soziale Einrichtungen wie Kliniken und Arztpraxen. Auch Schulen und Polizeistationen sind noch nicht überfordert. Warum denkt die Politik vorwiegend an Großstädte, wobei doch die mittleren Städte den Charakter unseres Landes prägen? Warum berichten Medien lieber über Probleme als über Lösungen?

Klaus Küspert aus St. Leon-Rot schrieb:

Viele junge Leute möchten halt bekanntlich gerne im Großstädtischen leben - deshalb ja auch der Zuzug Richtung Berlin, München, Leipzig,…Das gilt für ausländische Fachkräfte etwa aus Asien sogar noch stärker.

SAP z. B. tut sich mit seinem Standort Walldorf schon seit langem deshalb etwas schwer. Oder Zeiss mit Oberkochen. „Metropolregion Rhein-Neckar“ sagt eben dem Inder oder Chinesen auch nur beschränkt etwas  „Greater Frankfurt“ scheint gelegentlich zu helfen, ein bisschen zumindest. SAP hat mit Gründung des Innovation Centers in Potsdam und dergleichen reagiert. Telekom Labs in Berlin. IBM Watson in München usw.  Schambachs jüngste Firma (seit 2015), NewStore, hat ihre Entwicklertruppe auch hauptsächlich in Berlin - sogar in Sichtweite zum Reichstag.

Kann man gut oder schlecht finden. Ich sehe durchaus den Reiz des ländlichen Raums. Unsere erwachsenen Kinder sehen es teils anders. Vielleicht verschiebt sich diesbezüglich auch wieder etwas mit anwachsendem Lebensalter.

Bertal Dresen ergänzte:

Ich kann mir nicht vorstellen, dass es eine gute Strategie ist, krampfhaft neuen Wohnraum zu beschaffen durch das Aufstocken von Garagen und Einkaufszentren oder das Schließen von Baulücken. Für diejenigen Jugendlichen, die sich von Party-Meilen angezogen fühlen, könnten Lösungen basierend auf dem Prinzip von Airbnb ausreichen. Ähnlich der Mode, so können sich die Vorlieben der jungen Leute innerhalb weniger Jahre ändern. Vielleich erhält dann ein anderes Lebensgefühl denn Vorrang, etwa die Nähe zur Natur oder die Selbstversorgung mit Lebensmitteln.

Ich sehe auch nicht ein, warum der Berliner Senat Mieten einfrieren oder Sozialwohnungen bauen muss für ausländische Ingenieure, Künstler und Programmierer, egal ob sie aus der EU, dem früheren Ostblock, dem britischen Commonwealth oder China kommen. Oder denkt er primär an deren Hauspersonal und ihre Dienstleister? Die kurz bevorstehende massenhafte Zurverfügungstellung von E-Tretrollern bietet außerdem eine Alternative zum ÖPNV, sofern es darum geht, Entfernungen zwischen Wohnort und Arbeitsstelle zu überwinden.

Übrigens geht es hier nicht nur um den Reiz des ländlichen Raumes, sondern um Milliarden Euro, die falsch oder sinnvoll von öffentlichen Stellen investiert werden.

Lother Monshausen aus Bitburg schrieb:

Auch für Eigenheimbesitzer wie mich hält der Staat die gierigen Finger drauf. Bedenken Sie mal die immensen Kosten beim Brandschutz bei Neubauten! Man faselt immer von Mietern, aber nie über die Vorgaben, die ein Investor heute leisten muss. Es wird auch in Zukunft keine billigen Sozialwohnungen geben, weil staatliche Förderer in den Bundesländern das Sagen haben. Auch den Solidaritätsbeitrag wird man nie mehr los. Eine Klimasteuer wird bei einer Bundesregierung mit der "Grünen Partei" sicherlich kommen.

Fazit: Das Limit für staatliche Steuerabgaben bleibt! Nur haben diese einen anderen Namen. Das ist die Meinung von sehr vielen "normalen Bürgern", die das mittlerweile auch begriffen haben. Andere politische Parteien profitieren natürlich davon.

Peter Hiemann aus Grasse schrieb:   

Das Problem unbezahlbaren Wohnraums existiert gleichermaßen in Stuttgart, München und anderen Städten. Die Antwort auf die Frage "Warum berichten Medien lieber über Probleme als über Lösungen?" lautet: Es ist Aufgabe seriöser (!) Journalisten, über Pläne und Aktionen von Vertretern der Politik und Wirtschaft aufzuklären und zu berichten. 
 
Die politischen Entscheidungsträger haben den vorhersehbaren Engpass an bezahlbarem Wohnraum schlicht ignoriert bzw. nicht ernst genommen.Die Bewohner betroffener Städte finden die Kritik an politischen Entscheidungsträgern mehr als berechtigt. 

Jetzt ist das Kind in den Brunnen gefallen. Jetzt ist guter Rat sehr teuer. Im Raum steht nun die Frage: Welche Möglichkeiten haben die Bürgermeister betroffener Städte, das Kind zu retten? 


Bertal Dresen ergänzte:

Man darf doch fragen, welches Problem es ist, das man lösen muss. Sie sagen, es sei das beschränkte Angebot an bezahlbarem Wohnraum. Ich wende dagegen ein, es könnte auch der modehafte Dünkel sein, dass das Wohl der Menschheit in Megacities zu suchen ist.

Die Erwartungen, die Sie an Kommunalpolitiker stellen, sind übermenschlich. Sollten in fünf Jahren nur noch vor Ort gewachsenes Obst Absatz finden, müssten Wowereits Nachfolger und Kollegen heute Obstbäume pflanzen. Das überfordert sogar jede Form der Planwirtschaft.


Hartmut Wedekind aus Darmstadt schrieb:

Die Nazis nannten das 1936 Preisstoppverordnung. Das ist ein bekannter Akt. Das Messgerät, das mir einen Zustand darstellen soll, schlägt man kaputt. Mich regt das schon gar nicht mehr auf. Ein Preisstopp beruhigt die Gemüter, und das ist der Hauptsinn. Wenn der Stopp sich perpetuiert, hat das bekanntlich schlimme Folgen, in diesem Fall auf die Bausubstanz. Die wird dann wie in der ehemaligen DDR. Die Baufälligkeit dominiert dann. Die Klagen höre ich heute schon.

Bertal Dresen ergänzte:

Zur DDR-Tradition bekennt sich auch der fast 30-jährige Berliner Student und JUSO-Vorsitzende Kevin Kühnert. Ein Beitrag dieses Blogs vor einem Monat und die Titelgeschichte des SPIEGELs 24/2019 waren ihm gewidmet. Er fordert unter anderem die Verstaatlichung der Wohnwirtschaft.

Lothar Monshausen aus Bitburg schrieb: 

Die Bundesregierung hat heute (17.6.) Einiges beschlossen wegen der (teilweisen) Abschaffung des Solidaritätsbeitrags. Ob man das ernst nehmen kann? Bei der Grundsteuer wurde auch nur etwas Schwammiges auf die Bundeländer übertragen. Aus längjähriger Erfahrung, weiß auch jeder in abgelegenen Orten wie in der  Eifel, dass die Aussagen nur heiße Luft sind. 

Warum ziehen die händeringend nach Wohnungen suchenden nicht in abgelegene Dörfer, da gibt es leerstehende Häuser satt. Jeder will ja am besten im München, Hamburg oder Frankfurt wohnen, dafür hat man doch studiert, oder? Heute ist das Mobilfunknetz dort [d.h. in der Eifel] fast kaum vorhanden (habe ich selbst oft erlebt), aber man muss die gleichen Tarife zahlen bei der Telekom oder sonstigen. Hauptsache in Berlin geht es dem Flughafen gut...

Peter Hiemann aus Grasse schrieb:

Wir unterscheiden uns in der Sichtweise auf ein existierendes Problem: Ich sehe mich als Beobachter einer Kontroverse und versuche zu verstehen, wie es zu dieser Situation gekommen ist. Sie sehen sich vermutlich als Verteidiger privater Vermieter und Immobilieninvestoren und vermuten, dass 'linksorientierte'  Regierungsvertreter die Gesetze des freien Marktes nicht kapieren bzw. einfach nicht akzeptieren wollen.

Ich füge dem drei Bemerkungen hinzu:
(1) Ich nehme an, dass Städte über moderne Computersysteme verfügen, die Experten  bei der Stadtplanung benutzen.  Moderne Planungen haben nichts mit der Planwirtschaft der ehemaligen DDR zu tun.
(2) Marko Rosteck, Sprecher der Deutsche Wohnen SE, hat erklärt: „ In den vergangenen Jahren haben immer wieder Vertreter der Kritischen Aktionäre ihr Rederecht genutzt  und  ihre Anliegen platziert.“ (Christian Russau, Vorstand des Dachverbands Kritische Aktionäre: „Wir fragen nach, legen den Finger in die Wunden. Denn Wachstum und Rendite beißen sich zu oft mit Umweltschutz, Frieden und Menschenrechten.“)
(3) Als Warren Buffett von Journalisten über seine Rolle in der heutigen Gesellchaft befragt wurde, antwortete er unmissverständlich: „Es herrscht Klassenkrieg, richtig, aber es ist meine Klasse, die Klasse der Reichen, die Krieg führt, und wir gewinnen". „Meine Freunde und ich sind lange genug von einem milliardärfreundlichen Kongress verhätschelt worden. Es ist Zeit, dass unsere Regierung Ernst damit macht, allen gemeinsame Opfer abzuverlangen" .

Ich schlage vor, es bei der Feststellung unterschiedlicher Sichtweisen zu belassen. Unsere Sichtweisen spielen für kommende Entscheidungen sowieso keine Rolle.


Bertal Dresen ergänzte:

Die Erfahrungen, die meine Frau und ich als private Vermieter machten, waren sehr durchwachsen. Sie waren jedoch nicht so schlecht, dass wir dieses Geschäftsmodell total in Frage stellen würden.

Nochmals Bertal Dresen:
Wer die Mieten in den Metropolen künstlich niedrig hält, verschärft den Konflikt zwischen Stadt und Land. Es wäre ein Drama, sollte diese Art von Wirtschaftspolitik Schule machen. So sieht es Der SPIEGEL in seiner Online-Ausgabe. Also noch jemand, der die Politik des Berliner Senats für krottenschlecht findet.



Freitag, 14. Juni 2019

Auf den Spuren des Geistes (Essay von Peter Hiemann)

Peter Hiemanns Essays beruhen sehr oft auf einem Weltbild, das von der Biologie bestimmt ist. Umso überraschender ist es, dass er jetzt fast 40 Seiten lang sich bemüht, dem Phänomen Geist auf die Spur zu kommen. Da Hiemann in der DDR aufwuchs, nähert er sich diesem Thema äußerst vorsichtig und nur dank eines gerütteten Maßes an Altersweisheit.

Wir können nicht erwarten, dass er den Geist als stabile, identifizierbare Struktur sieht, dennoch gibt er ihm einen Platz in einem Interagierenden Körper-Geist-System. Der Geist – wie ihn Hiemann versteht – ist auch nicht abstrakt, sondern er ist ‚verwurzelt‘ in den chemischen und physikalischen Prozessen des Gehirns. Er ist eine Fähigkeit des Menschen und bildet die Grundlage unserer Denk- und Verhaltensweisen. Er wirkt wie ein Cocktail, sowohl beim Kleinkind wie beim Erwachsenen. Es überraschte mich etwas,  dass Hiemann meint, dass Computeranwendungen, die man als Künstliche Intelligenz (KI) bezeichnet, einen besonderen Einfluss auf den menschlichen Geist haben. Da lässt er hoffentlich noch mit sich diskutieren.

Als ich nach einem ersten Draufblicken auf den Text bemerkte, dass es mein Eindruck sei, dass einige Aussagen bereits in früheren Essays enthalten seien, entgegnete er:

Ich bin mir voll bewusst, dass ich in meiner Studie Informationen verwende, die in anderem Zusammenhang aus einer anderen Perspektive bereits eine Rolle gespielt haben. Frühere Aussagen über Trump, Putin und Xi betrafen deren Verhältnis zu demokratischen Prinzipien. In meiner Studie kam es mir darauf an, deren Methoden und Rollen im internationalen Kampf um globale Dominanz zu betonen. Auch die Informationen im Kapitel über Wurzeln des menschlichen Geistes habe ich bereits früher verwendet. Ich hielt es für angebracht, sie in der Studie wiederzuverwenden, weil sie im Rahmen des Kapitels über menschliche und artifizielle Intelligenz eine Rolle spielen. Insbesondere wollte ich den Unterschied zwischen menschlicher und artifizieller Intelligenz klarstellen. Auch aus der  Perspektive, dass mit Hilfe von AI-Methoden Prozesse im menschlichen Gehirn werden können, habe ich ein paar wesentliche Einblicke in neuronale Netzwerke wiederholt.

Klicken Sie hier, um zu dem Essay zu gelangen.

Dienstag, 11. Juni 2019

KI zwischen Utopie und Distopie

Kaum ein anderes Thema beschäftigt die fachliche wie die öffentliche Diskussion in diesen Tagen in vergleichbarem Umfang wie die Künstliche Intelligenz (Abk. KI, engl. artificial intelligence, Abk. AI). Nur das verwandte Thema Digitalisierung erreicht eine ähnliche Aufmerksamkeit. Beide Themen hatten ihren Ursprung im Fachlichen, haben diesen Bereich jedoch seit einigen Jahrenzehnten verlassen. Der Anlass für diesen Beitrag ist das Buch Künstliche Intelligenz (2018, 272 S.) der freien Wissenschaftsjournalistin und promovierten Philosophin Manuela Lenzen (Das Geburtsjahr der Autorin konnte ich nicht finden, dafür aber verrät sie uns, dass sie mit ihrer Familie und ‚ein paar Hühnern, Schafen, Kaninchen, Katzen, Goldfischen und was Kinder sonst noch so haben möchten‘ in einem alten Zieglerhaus im Lipperland lebt).

Wie in Deutschland üblich befasst sich das Buch gut zur Hälfte mit den Problemen, die uns die KI schon heute bereitet, aber vor allem in Zukunft bereiten kann. Das ist die Distopie. Nur ganz am Schluss gesteht die Autorin, dass KI eigentlich Stoff für eine Utopie sei. Als Techniker erlaube ich es mir, die Reihenfolge zu vertauschen.

Notwendige Utopien

Eine Utopie ist eine Welt, in der wir leben möchten. Techniker brauchen sie, ja alle Menschen brauchen sie. Wir möchten einen Verkehr, der sicher, pünktlich und individualisierbar ist. Wir möchten keine ungesunden und anstrengenden Arbeiten machen. Wir möchten eine Güterproduktion ohne lange Transportwege, wo Losgröße 1 möglich ist. Wir möchten eine Nahrungsmittelversorgung, die ohne Schäden für die Umwelt erfolgt und uns wohlbekommt. Wir möchten, dass alle Gifte und Abfälle, die der Umwelt überlassen werden, erkannt und beseitigt werden. Wir möchten, dass individuelle Erkrankungen früh erkannt und gezielt behandelt werden. Wir möchten kluge, energiesparende Häuser, Wohnungen und Betriebstätten, eine kluge und freundliche Stadt- und Staatsverwaltung. Wir möchten alle unsere Lernprozesse und die Entwicklung unserer Persönlichkeit individuell gestalten. Wir möchten auf öffentliche Datenbestände zugreifen können mit Suchmaschinen, die nicht betrügen. Wenn KI dies alles ermöglicht, dann - so die Autorin - bitte mit Prüfsiegel, das erklärt, was als zuverläßlich gilt.

Aufgebauschte Distopien

Ein selbstfahrendes Auto hat in Kalifornien einen Menschen getötet. Daran denkt jeder. Nicht jedoch denkt man an die zehn Menschen, die täglich auf deutschen Straßen sterben. Roboter seien schuld, wenn Automobilfabriken Arbeiter entlassen. Zur gleichen Zeit jammern fast alle Unternehmer über den Mangel an Fachkräften und die nicht besetzbaren Lehrstellen. Das Unkrautmittel Glyphosat verursacht angeblich Krebs. Früh erkannte Erbkrankheiten erhöhen die Zahl der Abtreibungen. Penible Wohnungs- und Betriebsüberwachung öffnet das Scheunentor für jede Form der politischen und gesellschaftlichen Überwachung. Individuelle Lehr- und Lernmethoden konterkarieren das Gleichheitsideal. Je mehr Daten über Menschen vorliegen, umso leichter sind diese zu manipulieren. Was China seinen Bürgern antut, dazu waren Nazis und DDR-Kommunisten zum Glück noch nicht in der Lage.

Schreckensbilder zu malen hat fast immer den Zweck, eine potentielle Gefahr zu verdeutlichen. Nur indem man auf sie aufmerksam macht, lässt sich eine Entwicklung abwenden, die unerwünscht ist. Das Abwägen von Vorteilen gegenüber Nachteilen ist Teil der normalen Tätigkeit eines Ingenieurs. Nichts ist unabänderlich, sagte Angela Merkel neulich zu den Absolventen von Harvard.

Ursprungsmythos eines Fachgebiets

So wie das Fachgebiet Software Engineering 1968 in Garmisch, so entsprang die KI  aus einem Treffen von Akademikern und Praktikern 1956 in Dartsmouth, MA. Zwei der Teilnehmer dieses Treffens sind den Lesern dieses Blogs bekannt. Es sind dies John McCarthy (1927-2011) und Nat Rochester (1919-2001). Um diese Zeit versuchte man sich bereits an der Programmierung von Spielen wie Dame (Arthur Samuel, Poughkeepsie, NY) und GO (Horst Remus, Böblingen). Andere Autoren befassten sich mit dem automatischen Erstellen mathematischer Beweise. Die Ergebnisse haben noch nicht sehr beeindruckt.

Einen Achtungserfolg erzielten Projekte, die sich als Expertensysteme ausgaben (Mycin, Dendral). Sie codierten das Spezialwissen eines Haut- oder Nervenarztes, um anderen Ärzten oder Laien die Möglichkeit zu verschaffen, sinnvolle Diagnosen zu machen. Meine Mitarbeiter wandten dieses Verfahren an, um Problemsituationen bei Betriebssystemen durch Nicht-Experten bearbeiten zu können. Die Erfolge waren sehr abhängig von der Art der Wissensquelle und der Stabilität des zu analysierenden Systems. Der Ansatz war leider nicht skalierbar, so dass das Interesse schnell verflog.

Da die Kunde von Misserfolgen sich schnell verbreitete, ließ bei den Sponsoren der akademischen Forschung das Interesse nach, weitere Mittel für die KI zu bewilligen. Es folgte, was weltweit als KI-Winter bezeichnet wurde. Die einzige Ausnahme war Deutschland, wo die Bundesregierung die Forschungsförderung in KI kontinuierlich aufstockte. Mit dem DFKI, das ich im September 2013 in diesem Blog vorstellte, entstand eine imposante Großforschungseinrichtung. Seit 2018 ist die Firma Google als Geschäftspartner und Investor am DFKI beteiligt.

Steter Fortschritt und Massenerfolg

Neue Fachgebiete entstehen meist durch Abspaltung aus einem älteren Fachgebiet, so wie die Physik einst aus der Philosophie und die Technik aus der Physik entand. Ursprünglich zur KI gehörten die Muster- und Spracherkennung mit dem maschinellen Übersetzen sowie die Robotik. Heute betreuen eigene Lehrstühle diese Gebiete. Der technische Fortschritt auf diesen Gebieten war enorm. Er erfolgte ziemlich kontinuierlich.

Anders war es mit dem Thema maschinelles Lernen (engl. machine learning, Abk. ML). Hier war der Fortschritt über lange Zeit sehr gering und sporadisch. Das änderte sich in den letzten Jahren, einerseits durch schwellenhaftes Anwachsen der Rechnerleistung und der digital und online verfügbaren Datenmengen, andererseits durch neue Methoden. Hier ist es vor allem das so genannte Tiefe Lernen (engl. deep learning), das der KI zu einem neuen Frühling verhalf. Geoffrey Hinton und seine zwei Kollegen, denen wir dieses Verfahren zu verdanken haben, wurden durch den diesjährigen Turing-Preis der ACM geehrt.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass bei KI heute fast nur noch an ML gedacht wird. Wenn heute davon die Rede ist, dass wieder sehr viel in KI investiert wird, werden fast immer die fünf bis sechs Marktführer der IT-Branche (Apple, Amazon, Google, Facebook. Microsoft und IBM gefolgt von Alibaba, Baidu und Tencent) genannt. Akademische Projekte haben kaum noch Relevanz. Wer weiß was ML ist, der könne sich eines Stellenangebots von Google sicher sein – so heißt es.

Anthromorphismus und Konkurrenz zum Menschen

Wie erwartet, fühlt sich die Philosophin Lenzen sehr angesprochen von allen Versuchen, Vergleiche zum Menschen auszudrücken und zu bewerten. Das beginnt mit der Verwendung von Anthromorphismen. Überall liest man, dass Computer sehen, hören, sprechen, planen, denken, lernen, analysieren und handeln. Anstatt KI wäre ‚anthropomorphes Computing‘ für sie ein besser passender Begriff. Auch zwingt die KI uns dazu, die Begriffe Intelligenz, Autonomie, Kreativität, Gefühle und Bewusstsein besser zu verstehen.

Wir wissen, dass Computer heute bereits viele Dinge besser können als der Mensch, genauer gesagt, als einzelne Menschen. Es kann sehr sinnvoll sein, derartige Spezialfähigkeiten weiter zu steigern. Schlecht schneiden Computer immer da ab, wo verschiedene Fähigkeiten zusammenspielen oder wo allgemeines Weltwissen gefragt ist. Das Cyc-System, an dem Douglas Lenat (*1950) seit über 30 Jahren arbeitet, hat inzwischen 500.000 Begriffe, 17.000 Beziehungen und 7 Millionen Sätze. Es hatte bisher weniger Erfolg als das System Watson, das sein Wissen aus nicht-formatierten Daten gewinnt. Es muss von Fachgebiet zu Fachgebiet neutrainiert werden, was nicht immer überzeugend war. Das System Watson macht ausführlichen Gebrauch von einem Hypothesen-Generator, der anschließend bewertet und eliminiert.

Auch wurden die Fortschritte in der Sprachverarbeitung nicht durch bessere linguistische Methoden und Analysen erzielt, sondern durch die massenhafte Verwendung von Musterübersetzungen aus dem europäischen und kanadischen Parlament. Bezeichnend ist das Zitat von Fred Jelinek, dem Leiter eines Projekts bei IBM: ‚Jedes Mal wenn ich einen Linguisten feuere, verbessert sich die Sprachübersetzung‘.

Lernen heißt Hypothesen bilden und mit der Realität vergleichen

Dass wir überhaupt lernen können, verdanken wir der Tatsache, dass die Welt nicht chaotisch ist. Wir müssen nicht wissen, wie und warum etwas funktioniert, um es beherrschen zu lernen. Moderne maschinelle Lernverfahren benötigen sehr viele Daten, weil dies die künstlichen neuronale Netzte (Abk. KNN) erfordern. Dass Spielprogramme sich verbessern, indem sie gegen sich selbst spielen, klingt geradezu nach ‚Science Fiction‘. Ein Roboter ist umso flexibler, je differenzierter sein Weltbild ist. Mehrere Roboter können in dasselbe KNN hinein lernen.

Die Frage, die John Searle (*1932) einst stellte, ist auch bei Googles Alexa weiterhin offen, Es ist zu bestreiten, dass Computer je Texte so ‚verstehen', wie wir Menschen sie verstehen. Manuela Lenzen hält dieses Frage für zweitrangig.

Auch Big Data hat Grenzen

Die KI hat das Potential, auch der Wissenschaft zu mehr Durchblick zu verhelfen. Sie kann dabei helfen, große Datenmengen zu sichten und Hypothesen aufzustellen. Das klingt ganz gut. Es ist nämlich meist kein Problem Korrelationen in den Daten zu finden. Korrelationen dürfen aber nicht als Kausalitäten missverstanden werden, wie das Beispiel Störche und Kleinkinder erklärt.

Je mehr in der Medizin die Patientendaten anonymisiert werden, desto weniger wertvoll seien sie. Dennoch versucht in Deutschland die medizinische Informatik verstärkt Patientendaten zu sammeln, die sie bis 2022 verfügbar machen will. Es ist vorstellbar, dass demnächst eine von Computern erstellte Diagnose genauer ist als die eines Arztes. Damit ist dieser Beruf in keinster Weise gefährdet.

Prognosen zum Arbeitsmarkt und zur Evolution

Manuela Lenzen hält die Idee, dass wegen KI die Arbeit ausgeht, für absurd. Dass es jedoch zu Veränderungen kommt, ist unvermeidlich. Es werden weniger niedrig qualifizierte, aber viele hoch qualifizierte Arbeitskräfte benötigt. Ein bedingungsloses Grundeinkommen (Abk. BGE) löse das falsche Problem, da der normale Mensch arbeiten will.

‚Kommt mal wieder auf den Teppich!‘ So ruft Manuela Lenzen ihren Lesern zu. Computer hätten keine Machtinstinkte. Sie sperren uns Menschen nicht in den Kaninchenstall. Unsere Wirtschaft wächst, da überall investiert wird, im Moment mit KI als starker Grund.

Dass Computer, wenn sie sich einmal selbst trainieren, mehr und schneller lernen als wir Menschen, mag Ängste erwecken. Da die Evolution durch das Zusammenwirken von Geschöpfen erfolgte, die Erworbenes vererben konnten, warum sollten wir nicht eines Tages in der Lage sein, unsere Computer zu beerben? Es gäbe dann eine Art gemeinsame Evolution. Mit Hilfe intelligenter Maschinen müssen wir uns und diese Maschinen immer wieder korrigieren und verbessern. Gut wäre es, wenn dies dezentral erfolgen würde.

Montag, 3. Juni 2019

Dieter Rombach über die digitale Ertüchtigung der westpfälzer Wirtschaft und Wissenschaft

Dieter Rombach (*1953) ist seit 2018 Senior Forschungsprofessor im Fachbereich Informatik der TU Kaiserslautern. Davor war er von1992 bis 2018 Professor für Software Engineering im Fachbereich Informatik der TU Kaiserslautern. Im Jahre 1996 gründete er das Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering (IESE) in Kaiserslautern und war bis Ende 2015 dessen geschäftsführender Institutsleiter. Von 2015 bis 2018 war er Institutsleiter Business Development des Fraunhofer IESE, seit 2018 Executive Berater des IESE. Seit 2015 amtiert er ehrenamtlich als Vorstandsvorsitzender der Science & Innovation Alliance Kaiserslautern (SIAK) und seit 2018 als Chief Digital Officer (CDO) der Stadt Kaiserslautern. Rombachs Forschungsschwerpunkte lagen im Bereich ingenieursmäßigen Methoden zur Entwicklung von Software mit vorhersagbarer Qualität, quantitativen Methoden zum Messen und Bewerten von Softwareprodukten und -prozessen zum Zwecke des Projektmanagements und der Qualitätssicherung; ferner Sprachen, Methoden und Werkzeugen zur Erstellung und zum Management von Entwicklungsprozessen auf der Basis expliziter Softwareprozessmodelle; sowie empirischen Methoden und deren Anwendung zur Bestimmung der Effekte von Methoden der Softwareentwicklung. Im Jahr 2009 ehrte die finnische Universität Oulu ihn für sein Lebenswerk als Softwareingenieur mit der Ehrendoktorwürde. Im gleichen Jahr wurde er mit dem Verdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Rombach ist Fellow der ACM (seit 2010) und der IEEE Computer Society (seit 2003). Rombach ist Autor von mehr als 200 wissenschaftlichen Veröffentlichungen.



Bertal Dresen (BD): Das IESE lernte ich in seiner Gründungs- und Aufbauphase kennen. Seine damalige Forschungsrichtung wurde sehr stark von Vic Basili und seinen Kollegen beeinflusst, die an der University of Maryland die empirischen Methoden des Software Engineering populär machten. Das IESE ist heute eine Forschungseinrichtung mit etwa 250 Mitarbeitern. Die Themenspanne reicht von Automobil- und Transportsystemen über Automatisierung und Anlagenbau, Energiemanagement, Informationssysteme und Gesundheitswesen bis hin zu Softwaresystemen für den öffentlichen Sektor. Folgende Schlagworte stehen auf der Homepage: Smart Rural Areas, Smart Ecosystems, Industrie 4.0, Big Data, Cloud Computing und Business Goes Mobile. Können Sie mir erklären, was diese phänomenale Entwicklung und Ausweitung bewirkte. Was ist der gemeinsame rote Faden, der alle diese Aktivitäten verbindet, wenn wir einmal davon ausgehen, dass heute fast auf allen Gebieten der Technik Software-Strukturen und Software-Qualität eine gewisse Rolle spielt?

Dieter Rombach (DR): Das Erfolgsrezept des Fraunhofer IESE war es, von Anfang an auf skalierbare und Fakten-basierte Software-Entwicklungsmethoden zu setzen. Alle unsere Methoden sind sowohl für kleinere als auch grössere Softwaresysteme robust einsetzbar und darüber hinaus haben wir (über experimentelle Ansätze) Fakten zur Effektivität und Effizienz unserer Methoden in unterschiedlichen Kontexten verfügbar. Damit haben wir den ingenieurmässigen Anspruch umgesetzt, nämlich „Prozess-Produkt-Einflüsse“ quantifizieren zu können. Dies reduziert das Einführungsrisiko neuer Methoden in das industrielle Umfeld signifikant. Durch die wachsende Bedeutung der Digitalen Transformation wurden unsere Angebote in allen Sektoren der Wirtschaft und Gesellschaft benötigt, und die Ausweitung auf System Engineering durch meinen Nachfolger Peter Liggesmeyer hat ein Übriges bewirkt. Heute ist das Fraunhofer IESE bundesweit führend bei der Entwicklung von Middleware-Plattformen für Industrie 4.0 (siehe BaSYS4.0) und kognitive Landwirtschaft (COGNAC).

BD: Was sehen Sie als die herausragenden Ergebnisse Ihrer Tätigkeit am IESE an? Welches dieser Ergebnisse hat Sie am meisten überrascht? Wo ist der Nutzen besonders klar erkennbar?

DR: Herausragendes Ergebnis ist sicherlich die Tatsache, dass ein solches auf Wirtschaftskooperationen angewiesenes Fraunhofer-Institut in einer kleinen Großstadt wie Kaiserslautern aufblühen kann und nachhaltig  die Entwicklung ganzer Wirtschaftssektoren positiv beeinflussen kann. Ein weiteres herausragendes Ergebnis ist sicherlich der maßgebliche Beitrag zur Wirtschaftskonversion in Kaiserslautern. In den letzten 15 Jahren sind laut Wirtschaftsförderung der Stadt ca. 10.000 neue Arbeitsplätze entstanden und große Firmen wie John Deere haben Kaiserslautern (und insbesondere die Kooperationsmöglichkeiten mit dem Fraunhofer IESE) zum Anlass genommen hier Ihre Forschungs-und Entwicklung für Europa zu konzentrieren. Darüber hinaus hat das IESE inzwischen einen ausgezeichneten Ruf als Innovationsbeschleuniger bei vielen Firmen in Deutschland – aber auch weltweit. Wissenschaftler aus vielen Ländern tragen zum bunten Bild der Kulturen im IESE bei.

BD: In dem Interview im Jahre 2011 meinten Sie, dass noch sehr viel zu tun sei, bis empirische Modelle im Software Engineering (SE) sich durchsetzen. Täuscht mich mein Eindruck, dass das Interesse an SE als Wissenschaft und praktische Methodik auf dem Rückzug ist? Nehmen nicht wissenschaftlich weniger rigorose Ansätze die Aufmerksamkeit in Anspruch, nicht zuletzt die Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI)? Was glauben Sie, was als Aufgabe für die SE-Forschung übrig bleibt?

DR: Empirisches Software Engineering existiert auch im Fraunhofer IESE nicht mehr als Forschungsgebiet. Statt dessen hat es sich als Querschnittsaufgabe in allen Abteilungen festgesetzt. Die grundlegende Forschung im empirischen Software Engineering wird seither im Universitätsumfeld durchgeführt und fokussiert im Kontext Big Data auf die Analyse heterogener Datensätze sowie deren Visualisierung. Allerdings ist es inzwischen breiter akzeptiert, dass – unabhängig welche Methoden und Technologien bei der Entwicklung eingesetzt werden – Kenntnis über deren Effekte Voraussetzung für ziel-orientiertes Management ist.

BD: In der einleitenden Beschreibung Ihrer Tätigkeit wird die Science & Innovation Alliance Kaiserslautern (SIAK) erwähnt. Sie versteht sich als ein Netzwerk für digitale Transformation, Zukunftsinnovationen und interdisziplinäre Spitzenforschung. Ihre Mitglieder sind Hochschulen und Forschungsinstitute sowie Wirtschaftsunternehmen – insbesondere aus dem Mittelstand. Ihr Ziel ist es, Kaiserslautern und die Westpfalz zu einen national und international herausragenden Standort zu machen. Welche konkreten Maßnahmen haben Sie ergriffen, um ihr Ziel zu erreichen? Wo sind erste Ergebnisse zu erkennen?

DR: Der Wissenschaftsstandort Kaiserslautern hat alle wesentlichen Kompetenzen zur Beschleunigung der Digitalen Transformation in hoher Qualität vertreten: (a) Ingenieurswissenschaften (z.B.: TU und IVW), Informationstechnik/Software (z.B.: Fraunhofer IESE und ITWM, Max-Planck-Institut für Software), Big Data und KI (z.B.: DFKI). Es gibt in Deutschland wenige Standorte mit einem solchen breiten Angebot – es gibt keinen Standort, der Max-Planck und Fraunhofer zu diesen Themen hat. Ziel der SIAK ist es, diese Kompetenzen weiter zu vernetzen und damit noch attraktiver für die Wirtschaft zu werden. Erste Erfolge sind die Ansiedlung der Europäischen Forschungszentrums von John Deere (ETIC) zu Fragen der Autonomie und daten-basierter Dienstleistungen, die deutsche Führerschaft bei der Entwicklung von industrie-weiten Plattformen für Industrie 4.0 (BaSYS4.0) und kognitiver Landwirtschaft (Cognac), aber auch die Erfolge und Führerschaft der „Herzlich Digitalen“ Stadt Kaiserslautern, deren erster CDO ich ehrenamtlich bin.

BD: Im oben erwähnten Interview sprachen Sie viel von einem saarländisch-pfälzisch-hessisch-badischen Forschungsverbund. Ist diese geografische Orientierung inzwischen überholt? Dank Ihrer fachlichen Verbindung zur University of Maryland schienen Sie thematische Gemeinsamkeiten stets hoch einzuschätzen.

DR: Ich bin überzeugt, dass nur interdisziplinäre und über Standorte vernetzte Zusammenarbeit den heutigen disruptiven Herausforderungen im Kontext der Digitalen Transformation gerecht werden kann. Dazu gehören Standort-Netzwerke wie die SIAK, regionale nationale Netzwerke wie der in Ihrer Frage angesprochen Softwarecluster zwischen dem Saarland, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Hessen, aber auch internationale thematische Netzwerke mit den USA (z.B.: Maryland) und anderen Ländern in Europa und darüber hinaus. Gerade die internationalen Netzwerke sind durch die Kombination kulturell unterschiedlicher methodischer Herangehensweisen besonders fruchtbar.

BD: Noch keinen Niederschlag auf Ihrer Homepage hat das von Ihnen kürzlich angetretene Amt des Chief Digital Officers (CDO) der Stadt Kaiserslautern gefunden. Wie Ihr Oberbürgermeister der Presse sagte, erwartet er, dass Sie den Slogan „herzlich digital“ verwenden. Sie sollen die ‚Digitalisierung nicht um ihrer selbst willen betreiben, sondern an der Lebenswirklichkeit der Menschen ausrichten. Alle Projekte sollen einen nachgewiesenen Nutzen für die Bevölkerung erbringen‘. Abgesehen davon, dass Sie jetzt einen Arbeitsplatz im Rathaus haben, wie glauben Sie, wie Sie der Stadt helfen zu können, die sicherlich sehr hohen Erwartungen der Bürger zu erfüllen? Sind Ihre Ansprechpartner primär die Bürger, also die Privatleute der Stadt oder auch Behörden und Unternehmen?

DR: Meine Aufgabe als CDO ist es aufgrund meiner Erfahrungen in der Informatik aber auch meinen Erfahrungen bei der Umsetzung die Roadmap so zu gestalten, dass wir zum einen die technischen Möglichkeiten nutzen, aber dies zum Nutzen der Bevölkerung gestalten. „Herzlich digital“ bedeutet, dass jedes unserer Digitalisierungsprojekte einen messbaren Nutzen (hier ist also wieder Empirie notwendig!) für die Bevölkerung hat, dass mit persönlichen Daten verantwortlich umgegangen wird, dass die Finanzierung nachhaltig möglich ist, und dass in allen Bereichen eine Balance zwischen analogen und digitalen Alternativen erhalten bleibt. Mit diesem Ansatz haben wir eine enorme Akzeptanz und Unterstützung bei der Bürgern, Firmen und Behörden erzielt. Regelmässig tausche ich mich mit Bürgern über einen breit aufgestellten Beirat aus und berichte Ergebnisse an den Stadtrat.

BD: Bei dieser Geschichte fällt mir das Sprichwort ein: ‚Nach dem Rathaus ist man schlauer‘. Sind es im Grunde nichts mehr als gute Worte und Ratschläge, die Sie Ihren Besuchern geben können? Wo glauben Sie, dass Sie etwas bewirken können? Wird die Stadt Kaiserslautern demnächst nicht mehr wieder zu erkennen sein?

DR: Schlaue Sprüche würden eher das Gegenteil bewirken. Wir nehmen die Bürger aktiv mit, indem wir in Arbeitsgruppen gemeinsam neue Digitalisierungsangebote identifizieren. Heute bereits ist Kaiserslautern Vorreiter in Rheinland-Pfalz (offiziell so durch die Landesregierung bezeichnet), einige unserer digitalen Verwaltungsangebote haben bundesweit in Wettbewerben erste Preise erhalten, und auch bundesweit werden wir anerkannt. Wir arbeiten daran, dass schrittweise die Stadt in allen Bereichen digitalisiert wird.

BD: Laut unserem Kollegen Manfred Broy ist die Digitalisierung eine Art von Revolution, die kaum Vergleichbares in der Vergangenheit hatte. Sie sei die ‚größte technologische Veränderung in Wirtschaft, Gesellschaft, aber auch Politik in der letzten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts und der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts‘. Sehen Sie dies auch so? Werden Aktionen, wie die der Stadt Kaiserslautern, diesem Ereignis gerecht?

DR: Dieser Einschätzung des Kollegen Broy kann ich nur ohne Vorbehalt zustimmen. Der revolutionäre Charakter kommt zum einen durch die ungeheuere Geschwindigkeit der technischen Revolutionen, zum anderen durch die Auswirkungen auf alle Bereich von Wirtschaft und Gesellschaft zustande. Dies stellt natürlich auch für uns in Kaiserslautern eine große Herausforderung dar. Wir glauben allerdings, dass die nutzen-orientierte Vorgehensweise (Herzlich Digital), die Nutzung der breiten technisch wissenschaftlichen Ressourcen vor Ort (SIAK), aber auch unsere sozial-wissenschaftliche Begleitforschung zur Mitnahme breiter Kreise der Bevölkerung (Projekt „Dialog Zivilgesellschaft“) diesen Herausforderungen gerecht werden.

BD: Lieber Herr Rombach, haben Sie vielen Dank, dass Sie mir und meinen Lesern diesen Einblick gewähren in die Vielzahl der Tätigkeitten, mit denen Sie sich in Ihrer Stadt und in Ihrem Bundesland engagieren. Mögen diese Aktivitäten Ihnen Freude und Zufriedenheit bereiten!