Sonntag, 16. August 2020

Dringender Aufruf die Welt neu zu sehen

Maja Göpel (*1976) ist eine deutsche Politökonomin, die sich selbst als Transformationsforscherin und als Nachhaltigkeitswissenschaftlerin bezeichnet. Ihr Buch Unsere Welt neu denken (2020, 208 Seiten) schaffte es kurz nach Erscheinen auf die Bestsellerliste des SPIEGEL. Göpel ist im Hauptberuf Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU). Zudem ist sie Hochschullehrerin, zuletzt im Rahmen einer Honorarprofessur an der Leuphana Universität Lüneburg. Sie schloss sich der von Greta Thunberg inspirierten Aktivisten-Gruppe Scientists for Future an.

Noch ein Buch mit ökosozialem Anliegen

Wie bei vielen Büchern, besonders denen die von jungen Menschen auf den Markt gebracht wurden, steht das Thema Klimawandel im Mittelpunkt der Diskussion. Gemeint ist damit die Erderwärmung oder das Schmelzen der Gletscher. Göpel sieht das Thema etwas breiter. Für sie sind auch Demokratie und Wohlstand betroffen. Ehe man sich des Klimawandels und der andern globalen Umweltschäden bewusst wurde, glaubte man, dass die Natur, ihre Ressourcen und die Widerstandsfähigkeit des Planeten unbegrenzt seien. Es war eine Illusion zu glauben, dass alles weiter wachsen kann, und dass es die Hauptaufgabe des Menschen sei, sich die Erde untertan zu machen.

Von der leeren zur vollen Erde

Das Farbfoto der aufgehenden Erde, das uns die Astronauten Frank Borman, William Anders und James Lovell im Dezember 1968 von Apollo 8 aus sandten, vermittelte zum ersten Mal ein anschauliches Bild, wie klein und empfindlich der Himmelskörper ist, auf dem die Menschheit lebt. Damals waren es 3,6 Mrd. Menschen. Ende 2019 lebten 7,7 Mrd. Menschen auf der Erde, also mehr als doppelt so viele. Der Planet hat noch (fast) exakt dieselbe Größe. Eine Ausweichmöglichkeit auf einen zweiten Himmelskörper ist nicht in Sicht. Was auch immer unsere Technik leisten mag, um das Ernährungsproblem in den Griff zu bekommen, ich bin sicher, dass dies auf Dauer nicht ausreichen wird.

Soll die Wirtschaft so weiter wachsen wie bisher, wird ein immer höher werdender Preis dafür zu zahlen sein, sei es in Form von Landverbrauch und Umweltverschmutzung. Aus der einst leeren Erde, auf der Sippen und Völker herumwandern, aber auf Distanz von einander bleiben konnten, ist eine volle Erde geworden, und sie füllt sich weiter. Viele spüren, dass unsere Welt an einem Kipp-Punkt steht. Es kann so nicht weitergehen.

Einerseits geht es uns so gut wie nie, andererseits zeigen sich Verwerfungen, Zerstörung und Krise, wohin wir sehen. Ob Umwelt oder Gesellschaft – scheinbar gleichzeitig sind unsere Systeme unter Stress geraten. Wir ahnen: So wie es ist, wird und kann es nicht bleiben. Wie finden wir zu einer Lebensweise, die das Wohlergehen des Planeten mit dem der Menschheit versöhnt?

Aktuelle Diskussionen

Diskussionen darüber, was zu tun ist, gibt es viele. Die Lösungen, die vorgeschlagen werden, sind meistens Extreme. Es wird eine Wahl suggeriert. Entweder Wohlstand oder Klimaschutz; entweder Kapitalismus oder Ökodiktatur; entweder Freiheit oder Verbote. Das führt dazu, dass einige Leute in Angst versetzt werden, dass es ihnen ans Eingemachte geht. Sie versperren sich und lassen die Diskussionen auflaufen. Es werden zu wenige Vorschläge gemacht, die einen Kompromiss darstellen. Man sollte fragen, was es ist, worum sich die Leute sorgen, was für sie essentiell ist.

Wir müssen uns fragen, wie wir den Kuchen anders backen und verteilen. Unser Wohlstand darf nicht die Ursache für die Armut anderer Menschen sein, unsere Freiheit nicht der Grund dafür, dass andere ihre Heimat verlassen müssen.

Suche nach dem Mittelweg

Es sei durchaus möglich soziale Belange und Umweltfragen miteinander zu verbinden. Wer weiß schon, wo der Weg liegt zwischen Verbotsregime und Schuldfragen auf der einen und Wachstumswahn und Technikversprechen auf der anderen Seite?

Das Soziale und das Ökologische miteinander zu versöhnen würde uns nicht nur beim Klima helfen. Es ist die Grundlage dafür, dass die Menschheit überhaupt weiter in Frieden auf dem Planeten leben kann. Die künstliche Trennung − hier der Mensch, da die Umwelt − lieferte in der Vergangenheit die Begründung dafür, warum die natürlichen Ressourcen so rücksichtslos ausgeplündert werden durften, als könne der Mensch ohne Umwelt existieren. Heute beeinflusst die Menschheit die natürlichen Entwicklungsprozesse der gesamten Erde. Daraus entsteht eine neue Verantwortung. Wir brauchen ein neues Weltbild, aber auch ein neues Selbstbild, um dieser Verantwortung gerecht zu werden.

Was ist zu tun?

Es sollte angestrebt werden, dass der teils unsinnige Verbrauch von  Ressourcen verringert wird. Wozu braucht man z. B. einen zwei Tonnen schweren Tesla, außer um damit Autorennen zu fahren? Viele Dinge lassen sich nachhaltig gestalten, ohne dass sie teurer werden oder Funktionalität einbüßen. Die fast maßlos betriebene Externalisierung von Kosten sollte unterbunden werden.  Das Roden des Regenwalds, um billig Bio-Sprit für Europa zu  gewinnen, sollte verhindert werden.

Einordnung und Bewertung

Das Buch fällt dadurch auf, dass es eine klare Vorgabe definiert bezüglich dessen, was erreicht werden soll. Es hält sich jedoch weitgehend zurück, was konkrete Vorschläge für den Weg dorthin betrifft. Der Grund hierfür ist mir nicht ersichtlich. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass Fallstudien typischerweise firmen- oder branchenspezifisch ausfallen und dass diese Daten in lokalen Seminaren Verwendung finden. Oder ist dieser Blick auf die Problematik noch zu ungewohnt?

Ein anderer Gutachter bedauerte, dass in diesem Buch Karl Marx leider nicht vorkommt. 

Ich habe mich darüber eher gefreut. 

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