Die Nachricht, dass Peter Hiemann verstorben ist, hat mich sehr getroffen. Peter Hiemann war einer meiner langjährigen Kollegen und Freunde. Zusammen mit Hans Diel, der im Oktober 2019 starb, bildeten wir ein Dreierblatt, das sich in den letzten 10-15 Jahren sehr intensiv austauschte und sehr ähnliche Interessen verfolgte.
DDR-Zeit
Hiemann wurde in Dresden geboren. Er mochte diese Stadt und Ihre Menschen sehr. Er zeigte gerne den Teil
der sächsischen Mentalität, die wir Deutsche schätzen. Er war stets pünktlich
und verlässlich, und mit Elan bei allem, was er anfing. Er verschonte seine
Mitmenschen von der oft bei Sachsen anzutreffenden Hochnäsigkeit und Penetranz.
Wie ein belastender Albtraum verfolgten ihn sein ganzes Leben lang die Erfahrungen, die er mit dem
Gesellschaftssystem der damaligen DDR machen musste. Ihm behagte weder die
politische Einseitigkeit, die von der Sozialistischen Einheitspartei (SED)
vorgegeben und durchgesetzt wurde, noch schätzte er die Vorgaben und
Beschränkungen, die ihm und allen DDR-Bürgern bezüglich ihrer wirtschaftlichen
und gesellschaftlichen Betätigung auferlegt wurden. Er zog – so wie viele
andere junge Menschen – die einzige sinnvolle Konsequenz und verließ die DDR –
sobald er konnte – fluchtartig in Richtung Westen. Kurz nach Beendigung seines
Mathematik-Studiums verließ er seine Heimat und suchte eine Anstellung in
München. Diese übte er nur kurze Zeit aus, bevor er sich im IBM Labor in Böblingen
bewarb.
IBM-Zeit
Ich muss einer der IBM-Kollegen gewesen sein, der ein Einstellungsgespräch mit Hiemann führte.
Jedenfalls bewog es Hiemann, am Wochenende vor seinem Arbeitsantritt meine
Familie und mich in unserer Privatwohnung zu besuchen. Wir wohnten in einem der
Nachbardörfer von Böblingen. Vielleich fand er meine Adresse im örtlichen
Telefonbuch. Er begründete den Besuch mit dem Wunsch, zu erfahren wie ich
lebte. Meine Frau und meine Kinder fanden den Besucher umgänglich und interessiert
und gaben zu allem, was er wissen wollte, ausführliche Auskunft. Von den
zahlreichen Neueinstellungen, die ich vornehmen durfte, ist mir kein anderer
Fall in Erinnerung, der den Dingen in solcher Weise auf den Grund ging.
Hiemann durchlief innerhalb von 2-3 Jahren eine Laufbahn als Software-Entwickler für die vom Labor Böblingen betreuten Systeme. Es handelte sich dabei um Rechnersysteme, die etwa die Größe eines Schreibtischs hatten, und meist bei kleinen und mittelgroßen Unternehmen im Einsatz waren. Neben der Entwicklertätigkeit war Hiemann auch an administrativen und Führungsaufgaben interessiert.
Nach mehreren Jahren in der Leitung des WTSC Böblingen wechselte Hiemann zu einem internationalen Prestige-Projekt. Das Projekt Amadeus hatte das Ziel, ein gemeinsames Flugreservierungssystem für alle europäischen Fluglinien wie Lufthansa, Air France und Iberia zu schaffen. Hiemann übernahm die Leitung des Projektbüros mit Sitz in Antibes, Frankreich. Das Projekt wurde ein Erfolg. Das vor 30 Jahren den Fluggesellschaften übergebene System ist heute noch im Einsatz.
Nach 30-jähriger IBM-Zugehörigkeit
trat Hiemann in den Ruhestand. Er hat seinen Lebensmittelpunkt und seine zweite
Frau an der französischen Riviera-Küste gefunden. Er lebte in Grasse, am Abhang der Seealpen.
Wie bei mehreren Kollegen so gelang es auch ihm, sich in einen geistigen Unruhezustand zu begeben. Er las sehr viel und verfolgte vielseitige Themen. Ich muss mir zugutehalten, dass ich Hiemanns Interesse für den deutschen Soziologen Niklas Luhmann (1927-1998) entfacht habe. In vielen seiner Blog-Beiträge machte er sich Luhmanns Gesellschaftsmodell zu eigen. Aber auch andere Soziologen und Philosophen fanden seine Beachtung, so Bruno Latour, Douglas Hofstadter und – vor allem – Konfuzius. Die Sprüche des Konfuzius aus der Zeit von 500 vor Chr. hatten es ihm besonders angetan.
Nichts bestimmte Hiemanns Sicht der Welt mehr als die neueren Erkenntnisse der Molelular-Biologie. Er war auf diesem Gebiet sehr belesen und war bemüht allen Ereignissen eine streng wissenschaftliche Erkärung zu geben. Manchmal hatte ich den Eindruck, dass er die Grenzen biologischen Denkens weit über das hinauszog, was dem Stand des Wissens entspricht.
Interessensgebiete
Hiemanns Blog-Beiträge der letzten 2 Jahre
Abschied
Gesundheit und Hinscheiden
Hiemanns letzte Jahrzehnte wurden durch ein Krebsleiden überschattet, das ihn am Sprechen
hinderte. Bei meinem letzten Besuch in Grasse vor 10 Jahren bediente er
sich einer Sprechhilfe. Man verspürte die Mühe, die dies bereitete. Umso
erstaunlicher ist es, mit welcher Ausführlichkeit und Schnelligkeit er
schriftliche Texte verfasste. Hiemann verstarb am letzten Sonntag, den 16.8.,
bei sich zuhause, in Anwesenheit mehrerer Familienangehöriger. Ihnen gilt mein aufrichtiges Beileid und Mitgefühl.
Gerhard Schimpf aus Pforzheim schrieb: Dieser Tod geht mir sehr nahe und seine tief gehenden Beiträge werden uns fehlen.
AntwortenLöschenKlaus Küspert aus Sankt Leon-Rot schrieb: Sehr interessanter Lebensbericht, danke. Von dem Genannten hatte ich nur mit Amadeus mal persönlich Berührung, aber dann schon zu dessen Betriebszeiten. Etwa 1998 besuchten wir mit 20+ JenaerStudenten auf Exkursion das START-Amadeus-RZ in Erding bei München. War eine internationale Arbeitsumgebung und alles thematisch sehr beeindruckend für die Studis und für den Prof auch.
AntwortenLöschenGeneviève Hiemann aus Grasse schrieb: Ich möchte mich, auch im Namen von Peters Familie bedanken für den detaillierten Nachruf den Sie verfasst haben und der uns sehr berührt hat. Der fast tägliche Kontakt zu Ihnen hat sehr viel dazu beigetragen, dass er trotz seines Handikaps einen erfrischend neuen Lebenssinn gefunden hatte. Es hat ihm Kraft gegeben weiter zu kämpfen, er hatte wieder das Gefühl, dass er immer noch geschätzt und gebraucht wird. Sie waren für ihn ein enorm wichtiger Ansprechpartner und Freund. Dafür nochmals tausend Dank.
AntwortenLöschenHelmut Lamparter aus Weil im Schönbuch schrieb: Die Nachricht von Peter Hiemanns Tod hat mich sehr nachdenklich gestimmt. Ich hatte während der Zeit im IBM-Labor nur gelegentlich Kontakt mit ihm und hatte den Eindruck, dass er sich ganz auf seine Arbeit in der Firma konzentriert und sonst keine anderen Interessen hat. Aber jetzt lerne ich aus Ihrem Nachruf, dass er ganz ungewöhnlich vielseitig und aktiv war. Und es tut mir weh, dass ich nun keine Chance mehr habe, mit ihm über seine Überlegungen zu Politik und Biologie zu reden. Ich kann zwar in seinen Beiträgen ein wenig blättern, aber ohne Nachhilfe werde ich damit nicht sehr weit kommen. Meine Liste von nicht mehr erfüllbaren Wünschen wird immer länger und ich muss halt damit leben. Viele herzliche Grüße, bleiben Sie gesund und auch weiterhin so aktiv.
AntwortenLöschenWalter Hehl aus Thalwil (Schweiz) schrieb: Danke für die Nachricht, dazu auch die beiläufige Todesnachricht von Hans Diel. Sehr schade - Wir stehen halt an der Abrisskante! Im letzten Beitrag von Peter Hiemann fand ich ein aufregendes Schrödinger-Zitat:
AntwortenLöschenDer Physiker Erwin Schrödinger (1887-1961) beeindruckte die Öffentlichkeit, indem er auf einen grundlegenden Unterschied zwischen physikalisch und biologisch orientierten Strukturen hinwies: "Wir Physiker und Chemiker haben uns bisher nicht mit Unterschieden zwischen stofflichen und lebenden Strukturen befasst. Lebenswichtige Teile eines Organismus sind völlig verschieden von der Struktur jedes Stückes Materie. Die wesentliche Eigenschaft des Lebens besteht darin, Ordnung von Generation zu Generation weiterzugeben. Da die materielle Verkörperung dieser Ordnung offenbar Platz in einer einzelnen Zelle findet, muss sie in Gestalt eines 'Codes' gespeichert sein".
Er hat wohl nur an die Vererbung gedacht, sonst entspricht es der Aussage meines Buchs "Wechselwirkung" - es gibt Welt 1, Physik, mit toter Information ("Entropie"), und die Welt 2, Information als Prozessanweisung ("Alles ist Software"), die gespeichert wird und sich weiterentwickelt. Ich habe es nur allgemeiner gefasst und Computerausdrücke verwendet. Das Buch hat sich übrigens 13 000 Mal verkauft. Das nächste Buch ist über Zufall.
Peter Hiemann was my boss when I was assigned to IBM WTSC Boeblingen in late '70s, early '80's. He was inspirational and a great friend. My wife and I often socialized with him and his lovely wife Ingrid. My youngest child is named Ingrid partly in honor of her. I wish I hadn't lost contact. We were so close. We both loved tennis but he was a far superior player. Great memories. Thank you for this blog and information and photos. RIP Peter. garry.willinge@gmail.com
AntwortenLöschen