Donnerstag, 3. Februar 2011

Wie kann man als Informatikerin oder Informatiker berühmt werden?

Da es Nobelpreise weder für Architekten noch für Ingenieure und Informatiker gibt, traut man sich kaum, diese Frage laut zu stellen. Da ich wiederholt über das Berufsbild von Informatikern nachgedacht und auch geschrieben habe, war ich froh, als ich Anfang letzten Jahres einen Weg fand, wie man doch darüber diskutieren kann.


Es ist die hier abgebildete Liste. Sie basiert auf einer im Internet noch laufenden Abstimmung der Universität Leeds in England, in der nach den berühmtesten Informatikern gefragt wird (engl.: most famous computer scientists). Hier ist der Stand im Januar 2011 wiedergegeben. Eine frühere Version dieser Tabelle, die etwa dem Stand im Januar 2010 entsprach, befindet sich als Tab. 7.1 in dem Buch ‚Schuld sind die Computer!‘ von Endres und Gunzenhäuser. Hier sind nur die 30 häufigsten Namen wiedergegeben, dort waren es die ersten 50. Das Gewicht gibt die prozentuale Häufigkeit der Nennung an. Wer an der Abstimmung teilnimmt, ist nicht genau bekannt. Es scheinen hauptsächlich Informatiker aus dem englischen Sprachraum zu sein. Wie ich von dem Betreiber (Roger Boyle) erfuhr, wurden bisher nur einige Hundert Stimmen abgegeben.

Über das Jahr 2010 hinweg blieb die Liste relativ stabil. Folgende Veränderungen konnte ich feststellen: Drei Praktiker Berners-Lee, Gates und Zuse sind nach oben gerückt, aber auch zwei Mathematiker Gödel und Tarjan. Nur zwei Namen sind neu unter den ersten 30, nämlich Kleene und Noyce. Ich ziehe daraus folgende Schlussfolgerungen:
  • Wir Informatiker wissen sehr wohl, wer unsere ’Helden‘ sind
  • Praktiker, die Produkte schaffen oder Unternehmen gründen, gehören dazu 
  • Theoretiker werden dann besonders geschätzt, wenn sie Lehrbuchwissen erzeugen
Die beiden letzten Punkte möchte ich vertiefen. Es lohnt sich nämlich darüber etwas nachzudenken.

Das Produkt, auf das wir Informatiker heute mit Recht besonders stolz sind, ist das World Wide Web (WWW), das mit dem Namen Tim Berners-Lee verbunden wird. Er selbst war ein typischer Quereinsteiger, nämlich Physiker. Dass die Pioniere des eigentlichen Internets (Kleinrock, Kahn, Cerf) nicht auftauchen, wundert mich. Vielleicht haben sich doch mehr Europäer als Amerikaner an der Abstimmung beteiligt.

Es war Bill Gates mit der Firma Microsoft, der als Erster verstand, dass Software ein riesiges Geschäft sein kann, unabhängig von der Hardware. Er setzte diese Idee konsequenter um als andere und wurde reich dabei. Den Gegenbeweis wollte Steve Jobs antreten, und es dauerte sehr lange, bis der Erfolg sich einstellte. Dieser kam in der Tat erst, als er das reine Computergeschäft verließ, und sich um Telefone und andere Konsumprodukte kümmerte. Eine Reihe sehr innovativer Produkte der Firma Apple gehen auf ihn zurück. Robert Noyce (1927-1990) gilt als der Erfinder der integrierten Schaltkreise und Gründer der Firma Intel. Dass Konrad Zuse (1910-1995) relativ gut abschneidet, freut uns Deutsche.

Dijkstra und Wirth haben beide durch praktische Arbeiten ihre Bekanntheit erreicht. Bei Edsger Dijkstra (1930-2002) war es die Entwicklung eines frühen Betriebssystems, bei Niklaus Wirth der Entwurf mehrerer Programmiersprachen (Euler, Algol-W, Pascal, Modula, Oberon), für die er immer selbst die ersten Übersetzer schrieb. Sie haben beide später andere richtungsweisende Beiträge geliefert. Dasselbe gilt für McCarthy, Backus und Brooks. Auf John McCarthy geht die Programmiersprache LISP zurück. John Backus (1924-2007) leitete das erste Fortran-Projekt der IBM, und Fred Brooks gehört zu den Vätern des IBM System/360 und leitete das OS/360-Projekt. Mit Kay, Engelbart und Sutherland verbindet man die Entwicklung der modernen grafischen Oberflächen bzw. der grafischen Programmierung. Zum ursprünglichen Unix-Team gehörten Doug McIlroy, Dennis Ritchie und Kenneth Thompson. Linus Torvalds schuf schließlich eine Version von Unix, die keine urheberrechtlichen Beschränkungen mehr enthält.

Die Maschine von Charles Babbage (1791–1871) war ein früher historischer Versuch, der heute noch die Besucher eines Londoner Museums beeindruckt. Bei Grace Hopper (1906-1992), der Entwicklerin eines Übersetzers für eine frühe kommerzielle Sprache (Flow-Matic), aus der die Sprache COBOL hervorging, und Lady Lovelace  (1815-1852), der Programmiererin, die mit Babbage zusammenarbeitete, wird ihr Ruhm vermutlich dadurch gesteigert, dass sie sich in ihrer Umgebung als Frauen durchsetzen mussten.

Als Schöpfer von Lehrbuchwissen fallen vor allem Turing, von Neumann, Knuth, Hoare und Codd ins Auge. Dass Alan Turing (1912–1954) und John von Neumann  (1903-1957) so eindeutig an der Spitze liegen, kann daran liegen, dass sie Namensgeber wurden, einerseits für Turing-Maschinen und Turing-Test, andererseits für die Von-Neumann-Architektur. Bei Turing spielt es vielleicht auch eine Rolle, dass der angesehenste Preis der Informatik nach ihm benannt ist, der A. M. Turing Award der ACM. Etwa die Hälfte der hier genannten Kollegen erhielt diesen Preis. Ted Codds (1923-2003) bahnbrechende Ideen wurden von Praktikern umgesetzt und erschlossen den riesigen neuen Markt der relationalen Datenbanksysteme. Neben McCarthy steht hier Marvin Minsky für das Gebiet Künstliche Intelligenz. Als Mathematiker, deren Arbeit Auswirkungen auf die Informatik hatten, würde ich Boole, Church, Cook, Gödel, Kleene und Tarjan ansehen.

In dem Maße wie die Zahl der Quereinsteiger zurückgeht zugunsten von Leuten, die in Informatik ausgebildet wurden, umso bedeutender wird informatik-bezogenes Lehrbuchwissen, wenn wir nach Leitbildern suchen. Auch spielt die zeitliche Distanz eine Rolle. So sind es vor allem die verstorbenen Kollegen (hier mit ihren Lebensdaten gekennzeichnet), deren Lebensleistung sich am klarsten beurteilen lässt. 

Zehn von den 30 oben gelisteten Koryphäen waren oder sind Europäer. Man kann sich fragen: Ist damit der europäische Beitrag angemessen berücksichtigt? Wenn nicht, woran liegt das? Darüber könnte man diskutieren, aber auch darüber, was Sie generell von meiner Interpretation der oben gezeigten Daten halten.  Schließlich kann man fragen, ob und wie man die im Titel enhaltene Frage überhaupt angehen soll.

2 Kommentare:

  1. Hallo, interessante Darstellung, aber ich denke man muß sehen, daß Computer Science eine amerikanische, vielleicht angel-sächsische, aber nicht unbedingt eine festlands-europäische Domäne ist, auch wenn es gute und berühmte Informatiker aus FL-Europa gegeben hat und gibt. Über die Gründe sollten wir mal nachdenken. Aber schau'n wir mal auf unsere beiden deutschen Informatiker-Heroen, Heinz Nixdorf und Konrad Zuse und wie wir sie im Gedächtnis behalten haben. Um Konrad Zuse allgemein bekannt zu machen mußte erst mal das Jahr der Informatik ausgerufen werden, vorher war er eher als Kuriosum oder Absolventen der TUB bekannt. Noch schlimmer ist es Heinz Nixdorf ergangen, ihm hat auch das Jahr der Informatik nicht geholfen. Beiden ist gemein, daß sie Computer im wesenlichen als Hardware verstanden haben, Zuse hat die damals verfügbare Relais- und Röhrentechnik verwendet und Nixdorf hat einen neuen Ferritkernspeicher auf TTL-Basis gebastelt. Sie waren also beide Praktiker, nicht Wissenschaftler wie Turing, Dijkstra, Knuth, etc. also eher vergleichbar mit Bill Gates. Da aber in unseren Landen die Ökonomie traditionell weniger gilt, bzw. gegolten hat, als die Wissenschaft, sind die beiden Pioniere eben nicht in den Pantheon der deutschen Geistesgrößen aufgenommen worden. Zuse ist immerhin im Museum angekommen, Heinz Nixdorf noch nicht.

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  2. Haben Sie vielen Dank für Ihren Kommentar. Sie sind der erste, der es wagte.

    Ich will nicht immer zu allen Kommentaren meinen Senf dazu geben. Im Falle von Heinz Nixdorf will ich jedoch darauf verweisen, dass es ganz so schlecht wie Sie befürchten, doch nicht um ihn steht. An ihn erinnert ein ganzes Museum, allerdings in einer Provinzstadt, das HNF in Paderborn (http://www.hnf.de).

    Auch die Amerikaner kennen ihn. Das beweist, dass er in der IT Honor Roll der IT History Society (http://www.ithistory.org/) vorkommt, die ihrerseits auf mehrere ausführliche Würdigungen verweist, so auch auf die bei Wikipedia

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