Christoph Meinel ist Informatik-Professor an der Universität Potsdam und leitet das Hasso-Plattner-Institut (HPI) für Softwaresystemtechnik. Er ist Autor von 10 Fachbüchern und 350 Fachpublikationen in den Bereichen Internet-Technologie, effiziente Algorithmen und Datenstrukturen und Komplexitätstheorie, sowie im Bereich Innovationsforschung. Er war Informatik-Professor an der Uni Trier und Leiter des dortigen Instituts für Telematik. Meinel hat an der Humboldt-Universität zu Berlin in Mathematik promoviert.
Bertal Dresen (BD): Sie sind Vorsitzender des IPv6-Rates in Deutschland und leiten außerdem eine Arbeitsgruppe zum Thema IPv6 im Rahmen des IT-Gipfels. Warum ist es so schwierig die Umstellung von IPv4 auf IPv6 zu bewerkstelligen? Das technische Problem scheint doch längst gelöst zu sein. Bis wann, glauben Sie, ist die Umstellung erfolgt?
Christoph Meinel (CM): In den vergangenen Jahrzehnten ist man bei der Vergabe von IPv4-Adressen ziemlich großzügig umgegangen. Erst in den letzten Jahren stieg das Bewusstsein, dass es wegen des begrenzten Vorrats bald keine IPv4-Adressen mehr gibt und dass es damit kein weiteres Wachstum im alten Internet geben kann. Wir im IPv6-Rat informieren Öffentlichkeit, Wirtschaft und Politik darüber und versuchen auch die Nachfrage nach dem neuen Protokoll zu stärken. Wenn der Vorrat an IPv4-Adressen voraussichtlich spätestens Ende 2011 aufgebraucht ist, werden Unternehmen die Nachfrage sicherlich in Gang bringen, denn sonst würden sie durch ihre Unfähigkeit, in IPv6 kommunizieren zu können, Geschäftspartner verlieren oder nicht mehr weiter wachsen. Es werden künftig immer mehr Service-Provider IPv6 anbieten und sich vor allem auch auf den Parallelbetrieb beider Protokolle einstellen. In einer Übergangsphase, die schätzungsweise 10 bis 20 Jahre dauern wird, können dank entsprechender Geräte bzw. Techniken beide Protokolle verarbeitet werden und dieselben Netzwerkverbindungen nutzen.
BD: Die Erweiterung des Adressierungsbereichs ist doch nur eines der Probleme, die das Internet zu lösen hat, seit es sich von einem Hochschulnetz zum Medium der allgemeinen wirtschaftlichen und privaten Kommunikation weiterentwickelte. Nicht nur unvorsichtige Nutzer werden bestohlen, alle werden mit Spam überschüttet und Kriminelle missbrauchen oder blockieren das Netz, so wie es ihnen gefällt. Sind wir Informatiker da hilflos, oder tut jemand etwas? Wenn ja, wann wird das der Nutzer spüren?
CM: IPv6 löst sicher nicht alle Probleme des Internets, ist aber zum Beispiel sicherer als IPv4, da es von Anfang an geeignete Sicherheitskonzepte, etwa das Protokoll IPSec, integriert. Wir Informatiker sind vor allem dazu aufgerufen, das Bewusstsein für Sicherheit bei den Internetnutzern zu erhöhen. Am HPI haben wir dazu diverse Ansätze entwickelt. Mit dem IT-Security-Lab etwa bieten wir Studenten und Interessierten die Möglichkeit, in einer abgekoppelten Umgebung Tools zu testen, mit denen Sicherheits-Systeme angegriffen werden.
BD: Manche Kollegen in Amerika glauben, dass es nicht reicht, hier und da Verbesserungen am Internet vorzunehmen. Sie plädieren für einen Neuentwurf von Grund auf (engl. Clean Slate). Halten Sie das für berechtigt oder meinen Sie, dass graduelle Verbesserungen ausreichen? Wenn ja, warum?
CM: Ein kompletter Neuentwurf hat natürlich den Vorteil, dass aktuelle Beschränkungen aufgrund bestehender Standards und Paradigmen, wie z.B. das Client-Server Paradigma oder die doppelte Nutzung der IP-Adresse sowohl als Identifikator als auch als Lokator umgangen werden können. Andererseits besteht gegenüber einer vollkommen neuen Netzarchitektur ein entsprechender Vorbehalt seitens der Benutzer, die sich auf eine heute etablierte Infrastruktur verlassen und nicht leicht von einem kompletten Neuanfang überzeugt werden können. Dies zeigt sich ja bereits an den Schwierigkeiten, trotz offenbarer Adressenknappheit das neue Internetprotokoll IPv6 auf breiter Basis einzusetzen, obwohl es den gängigen Architekturprinzipien des bestehenden TCP/IP-Referenzmodells folgt und lediglich eine evolutionäre Weiterentwicklung darstellt. Auch sind die meisten Vorschläge für ein Neudesign heute technisch noch nicht ausgereift genug, um tatsächlich eine gangbare Alternative darzustellen.
BD: Die Politik befasst sich hin und wieder auch mit dem Internet. Mal ist es die Kinderpornographie, mal die Netzneutralität die oben auf der Agenda stehen. Können wir Informatiker der Politik irgendwie helfen?
CM: Wir Wissenschaftler am HPI stehen der Politik auf Wunsch beratend zur Seite. Im von uns initiierten IPv6-Rat werden zum Beispiel Fragen zu Netzneutralität diskutiert. Wir sind außerdem Bündnispartner und wissenschaftliche Berater der Initiative White IT, deren Mitglieder sich gegen Kinderpornografie im Internet verbündet haben. Auch unsere Studenten beteiligen sich an der gesellschaftlichen Diskussion. Für eine Online-Diskussions-Plattform, den IT-Gipfelblog, befragen sie Entscheider aus Politik und Wirtschaft zu brisanten Themen. Über 600 registrierte Autoren und mehr als 1.100 eingestellte Text- und Kommentarbeiträge zeigen das Interesse der Öffentlichkeit am Dialog der Themen. Der Blog war von uns eingerichtet worden, nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel 2006 den ersten nationalen IT-Gipfel am Hasso-Plattner-Institut veranstaltet hatte. [Einen ausführlichen Bericht über die bisherigen Erfahrungen gab es im Februar-Heft des Informatik-Spektrum]
BD: Das Hasso-Plattner-Institut erhebt den Anspruch, Informatikerinnen und Informatiker so auszubilden, dass sie sehr schnell kompetente Beiträge zu den Problemen der Praxis leisten. Ist diese Zielsetzung realistisch und gibt es bereits Erfolge?
CM: Wir sind nach 11 Jahren Lehrbetrieb stolz auf 541 Bachelor-, 233 Master-Absolventen sowie 34 Promotionen und eine Habilitation. Gerade bauen wir ein Alumni-Netzwerk auf, um zu verfolgen, wohin sich unsere Absolventen entwickelt haben. Viele unserer Studenten werden schon vor Ende ihres Studiums von IT-Unternehmen kontaktiert und nach ihrem Abschluss direkt angestellt. Einige entscheiden sich aber auch für eine Unternehmensgründung. Aufgrund der praxisnahen und ingenieurwissenschaftlich orientierten Uni-Ausbildung, die wir am Hasso-Plattner-Institut vermitteln, haben unsere Absolventen durchweg sehr gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt.
BD: Vielen Dank für das Interview, auch dafür, dass Sie in diesem Blog den Anfang machten.
Christoph Meinel (CM): In den vergangenen Jahrzehnten ist man bei der Vergabe von IPv4-Adressen ziemlich großzügig umgegangen. Erst in den letzten Jahren stieg das Bewusstsein, dass es wegen des begrenzten Vorrats bald keine IPv4-Adressen mehr gibt und dass es damit kein weiteres Wachstum im alten Internet geben kann. Wir im IPv6-Rat informieren Öffentlichkeit, Wirtschaft und Politik darüber und versuchen auch die Nachfrage nach dem neuen Protokoll zu stärken. Wenn der Vorrat an IPv4-Adressen voraussichtlich spätestens Ende 2011 aufgebraucht ist, werden Unternehmen die Nachfrage sicherlich in Gang bringen, denn sonst würden sie durch ihre Unfähigkeit, in IPv6 kommunizieren zu können, Geschäftspartner verlieren oder nicht mehr weiter wachsen. Es werden künftig immer mehr Service-Provider IPv6 anbieten und sich vor allem auch auf den Parallelbetrieb beider Protokolle einstellen. In einer Übergangsphase, die schätzungsweise 10 bis 20 Jahre dauern wird, können dank entsprechender Geräte bzw. Techniken beide Protokolle verarbeitet werden und dieselben Netzwerkverbindungen nutzen.
BD: Die Erweiterung des Adressierungsbereichs ist doch nur eines der Probleme, die das Internet zu lösen hat, seit es sich von einem Hochschulnetz zum Medium der allgemeinen wirtschaftlichen und privaten Kommunikation weiterentwickelte. Nicht nur unvorsichtige Nutzer werden bestohlen, alle werden mit Spam überschüttet und Kriminelle missbrauchen oder blockieren das Netz, so wie es ihnen gefällt. Sind wir Informatiker da hilflos, oder tut jemand etwas? Wenn ja, wann wird das der Nutzer spüren?
CM: IPv6 löst sicher nicht alle Probleme des Internets, ist aber zum Beispiel sicherer als IPv4, da es von Anfang an geeignete Sicherheitskonzepte, etwa das Protokoll IPSec, integriert. Wir Informatiker sind vor allem dazu aufgerufen, das Bewusstsein für Sicherheit bei den Internetnutzern zu erhöhen. Am HPI haben wir dazu diverse Ansätze entwickelt. Mit dem IT-Security-Lab etwa bieten wir Studenten und Interessierten die Möglichkeit, in einer abgekoppelten Umgebung Tools zu testen, mit denen Sicherheits-Systeme angegriffen werden.
BD: Manche Kollegen in Amerika glauben, dass es nicht reicht, hier und da Verbesserungen am Internet vorzunehmen. Sie plädieren für einen Neuentwurf von Grund auf (engl. Clean Slate). Halten Sie das für berechtigt oder meinen Sie, dass graduelle Verbesserungen ausreichen? Wenn ja, warum?
CM: Ein kompletter Neuentwurf hat natürlich den Vorteil, dass aktuelle Beschränkungen aufgrund bestehender Standards und Paradigmen, wie z.B. das Client-Server Paradigma oder die doppelte Nutzung der IP-Adresse sowohl als Identifikator als auch als Lokator umgangen werden können. Andererseits besteht gegenüber einer vollkommen neuen Netzarchitektur ein entsprechender Vorbehalt seitens der Benutzer, die sich auf eine heute etablierte Infrastruktur verlassen und nicht leicht von einem kompletten Neuanfang überzeugt werden können. Dies zeigt sich ja bereits an den Schwierigkeiten, trotz offenbarer Adressenknappheit das neue Internetprotokoll IPv6 auf breiter Basis einzusetzen, obwohl es den gängigen Architekturprinzipien des bestehenden TCP/IP-Referenzmodells folgt und lediglich eine evolutionäre Weiterentwicklung darstellt. Auch sind die meisten Vorschläge für ein Neudesign heute technisch noch nicht ausgereift genug, um tatsächlich eine gangbare Alternative darzustellen.
BD: Die Politik befasst sich hin und wieder auch mit dem Internet. Mal ist es die Kinderpornographie, mal die Netzneutralität die oben auf der Agenda stehen. Können wir Informatiker der Politik irgendwie helfen?
CM: Wir Wissenschaftler am HPI stehen der Politik auf Wunsch beratend zur Seite. Im von uns initiierten IPv6-Rat werden zum Beispiel Fragen zu Netzneutralität diskutiert. Wir sind außerdem Bündnispartner und wissenschaftliche Berater der Initiative White IT, deren Mitglieder sich gegen Kinderpornografie im Internet verbündet haben. Auch unsere Studenten beteiligen sich an der gesellschaftlichen Diskussion. Für eine Online-Diskussions-Plattform, den IT-Gipfelblog, befragen sie Entscheider aus Politik und Wirtschaft zu brisanten Themen. Über 600 registrierte Autoren und mehr als 1.100 eingestellte Text- und Kommentarbeiträge zeigen das Interesse der Öffentlichkeit am Dialog der Themen. Der Blog war von uns eingerichtet worden, nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel 2006 den ersten nationalen IT-Gipfel am Hasso-Plattner-Institut veranstaltet hatte. [Einen ausführlichen Bericht über die bisherigen Erfahrungen gab es im Februar-Heft des Informatik-Spektrum]
BD: Das Hasso-Plattner-Institut erhebt den Anspruch, Informatikerinnen und Informatiker so auszubilden, dass sie sehr schnell kompetente Beiträge zu den Problemen der Praxis leisten. Ist diese Zielsetzung realistisch und gibt es bereits Erfolge?
CM: Wir sind nach 11 Jahren Lehrbetrieb stolz auf 541 Bachelor-, 233 Master-Absolventen sowie 34 Promotionen und eine Habilitation. Gerade bauen wir ein Alumni-Netzwerk auf, um zu verfolgen, wohin sich unsere Absolventen entwickelt haben. Viele unserer Studenten werden schon vor Ende ihres Studiums von IT-Unternehmen kontaktiert und nach ihrem Abschluss direkt angestellt. Einige entscheiden sich aber auch für eine Unternehmensgründung. Aufgrund der praxisnahen und ingenieurwissenschaftlich orientierten Uni-Ausbildung, die wir am Hasso-Plattner-Institut vermitteln, haben unsere Absolventen durchweg sehr gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt.
BD: Vielen Dank für das Interview, auch dafür, dass Sie in diesem Blog den Anfang machten.
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