Zu den verstorbenen Universitätsprofessoren, die ich als Pioniere unseres Fachs ansehe, gehören Giloi, Händler, Samelson, Steinbuch und Walther. Im Folgenden greife ich Wolfgang Händler heraus, weil ich zu ihm persönlichen Kontakt hatte. Gerne erinnere ich mich an ihn, auch seiner Persönlichkeit wegen.
Ich beginne deshalb auch mit einer von ihm erzählten Geschichte, die ich so phantastisch fand, dass ich sie fast nicht glaubte. Im zweiten Weltkrieg war Händler Funker auf einem U-Boot. Oft musste die Mannschaft tagelang in engsten Verhältnissen unter Wasser ausharren, um nicht von feindlichen Flugzeugen oder Schiffen entdeckt zu werden. Als sie eines Tages an der Südküste Grönlands ein deutsches Kriegsschiff kreuzten, tauchten sie auf. Um die nur oberhalb des Wassers operierenden Kameraden zu beeindrucken, hing über die ganze Länge des auftauchenden U-Boots eine Wäscheleine voller Hemden und Hosen. Den verdutzten Kameraden auf dem Zerstörer wurde daraufhin per Flaggensignal mitgeteilt, dass man Wäsche, nachdem sie (beim Tauchen) gewaschen wurde, ja an der frischen Luft trocknen lassen müsste. Aus dieser Zeit bestand ein Kontakt zu Hermann Holzapfel, einem Mitglied der Geschäftsführung der IBM Deutschland. Es ist durchaus möglich, dass er sein Kapitän war.
Wolfgang Händler 1976
(mit Genehmigung des Bildarchivs des Mathematischen Forschungsinstituts Oberwolfach)
Ich lernte Händler in der Zeit zwischen 1972 und 1977 kennen als Mitglied im Sachverständigenkreis des Überregionalen Forschungsprogramms Informatik (ÜRF) der Bundesregierung. Der Kontakt setzte sich fort über eine Reihe von Fachtagungen, die er organisierte, und durch die IBM-Symposien, an denen er regelmäßig teilnahm. Es war an seinem Institut in Erlangen, wo ich Anfang der 1970er Jahre den ersten Auftritt von Edsger Dijkstra in Deutschland erlebte – wer Dijkstra kannte, weiß was ich meine. Händler war lange Zeit Sprecher des GI Fachausschuss 8 (FA8). Der FA8 hatte die Bezeichnung ‚Methoden der Informatik für spezielle Anwendungen‘. Sein Ziel war es herauszuarbeiten, welche Gemeinsamkeiten in den bisherigen Anwendungen stecken und welche neuen Anwendungen durch die Informatik erschlossen werden können. Herr Händler widmete sich dieser sehr schwierigen Aufgabe mit Geduld und Phantasie.
Händler war fast immer zu freundlichen Gesprächen aufgelegt und steckte mit seiner guten Laune seine Umgebung an. Gern erinnere ich mich auch an den Besuch der Erlanger Bergkerwa im Anschluss an eine Fachveranstaltung. Die Bergkerwa wird – für die Leser, die sich in Mittelfranken nicht auskennen – mit dem Münchner Oktoberfest verglichen ("Kleiner, aber schöner!"). Dieses sommerliche Fest findet direkt über den Bergkellern statt, in denen Brauereien ihr Bier kühl halten.
Sein wissenschaftliches Arbeitsgebiet waren Parallele Systeme, speziell die Datenparallelität. Er engagierte sich besonders für Feldrechner (engl. array computer). Mit Projekten wie Biene, DIRMU und EGPA wurde er in ganz Deutschland bekannt, und darüber hinaus. Von über 100 Veröffentlichungen liste ich unten drei der letzten aus der Datenbank DBLP der Universität Trier [1..3]. Sein breites wissenschaftliches Interesse drückt sich in einem Institutsbericht [4] vom Mai 1973 aus, den ich dieser Tage wieder in die Hände bekam. Händler berichtet darin über einen siebenmonatigen Aufenthalt an der University of California in Berkeley. Er bereiste von Oktober 1972 bis Mai 1973 Herstellerlabors und Forschungseinrichtungen im ganzen Land, um sich bezüglich drei Themen auf den neuesten Forschungsstand zu bringen: Automatisierte Kartographie, unkonventionelle Rechnersysteme und Rechner-Verbundnetze. Sehr ausführlich beschreibt er darin das ARPANET, das zu diesem Zeitpunkt etwa 40 Knoten besaß.
Schon 1956 beschäftigte sich Händler beim Nordwestdeutschen Rundfunk mit der Verbesserung von Fernsehbildern mithilfe von Computern. In einer frühen Industriephase war er bei der Firma Telefunken tätig und wirkte am Entwurf des TR4-Rechners mit. Er promovierte 1958 in Darmstadt bei Alwin Walther. Nach Zwischenstationen in Saarbrücken und Hannover gründete er im Jahre 1966 in Erlangen das Institut für Mathematische Maschinen und Datenverarbeitung (IMMD), einen Vorläufer des späteren Department Informatik. Händler hat etwa ein Dutzend wissenschaftliche Schüler. Persönliche Kontakte habe ich zu Arndt Bode, Peter Paul Spies und Roland Vollmar. Weitere Hinweise auf Person und Lebenswerk von Händler findet man in dem von Arndt Bode und Roland Vollmar verfassten Nachruf im Informatik-Spektrum 21,2 (1998).
Zusätzliche Quellen:
- Early Approaches to Parallel Processing: Increasing Performance and Dependability. PaCT 1995: 477-495
- Multiprocessor arrays: Topology, efficiency and fault-tolerance. Parcella 1988: 15-32
- Multi-Prozessoren: Effizienz und Fehlertoleranz. ARCS 1986: 7-29
- Bericht über einen USA-Aufenthalt 1972/1973 – Aktuelles auf dem Gebiet der Informatik. Arbeitsberichte IMMD 8,4 (1973)
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