Nachdem gestern die Wähler in meinem Bundesland Baden-Württemberg eine historische Wende für unser Ländle herbeigeführt haben, möchte ich dazu ein paar Worte sagen. Ich tue dies vor allem im Hinblick auf meine Leserinnen und Leser außerhalb des Landes.
Was geschah, ist in erster Linie ein Ausdruck demokratischer Gesinnung. Nach Karl Popper ist Demokratie nämlich primär die Möglichkeit, die Regierung gewaltfrei abzuwählen. Demoskopen hatten vor der Wahl die Wechselstimmung als den dominierenden Trend erkannt. Baden-Württemberg war neben Bayern das einzige Bundesland, das seit seiner Gründung vor 56 Jahren von derselben Partei regiert wurde. Die beiden letzten Ministerpräsidenten lassen sich leider nicht als besondere politische Talente beschreiben. Günter Oettinger tappte von einem Fettnäpfchen in das andere (Filbinger-Rede, Kauf von Kunstwerken, die bereits dem Lande gehörten, usw.), bis dass die Kanzlerin ihn nach Brüssel weglobte.
Sein Nachfolger Stefan Mappus gebärdete sich als Rambo, der seine Politik mit Polizeigewalt durchzusetzen versuchte. Spätere Beteuerungen, von den Plänen der Polizei für den Einsatz von Wasserwerfern am 30. September im Stuttgarter Schlossgarten nichts gewusst zu haben, wurden ihm nicht geglaubt. In dem Schlachtruf ‚Mappus muss weg!‘ waren sich die grünen Fundis am Bahnhof mit den Bewohnern der Halbhöhenlagen einig. Kaum hatte er mit Heiner Geißlers Hilfe die Stimmung im Lande etwas beruhigt, legte er mit einer Nacht-und-Nebel-Aktion nach. Er erwarb den von Franzosen gehaltenen Aktienbesitz an der Energieversorgung Baden-Württembergs (EnBW) zurück, ohne seinen eigenen Finanzminister oder den Landtag zu informieren. Dass die Laufzeitverlängerung der dem EnBW-Konzern gehörenden AKWs Teil einer Strategie war, pfiffen die Spatzen von den Dächern. Aber auch der Koalitionspartner FDP verfügt zurzeit über keine politischen Zugpferde, weder im Land noch im Bund. Schließlich riss der Tsunami in Japan beiden Parteien emotional den Teppich unter den Füßen weg. Die Wahl wurde zwar nicht in Japan entschieden, wurde aber von den dortigen Ereignissen stark beeinflusst.
Da die Landtagswahl von vielen Kommentatoren zur Schicksalswahl hochgejubelt worden war, schlug sich dies in einer relativ hohen Wahlbeteiligung nieder: 65,7% gegenüber 53,4% vor fünf Jahren. Die offizielle Ergebnisliste ist für die im Landtag vertretenen Parteien in folgender Tabelle zusammengefasst. Dabei stehen hinter den Prozentanteilen der Stimmen die Zahl der Parlamentssitze (in Klammern).
Wahlergebnisse Baden-Württemberg, Große Parteien
Insgesamt verfügt Rot-Grün über 71 Sitze gegenüber 67 für Schwarz-Gelb. Der Landtag umfasst 70 Direktmandate, von denen die CDU 60, also 85%, gewann. Hätten wir ein Mehrheitswahlrecht wie in Großbritannien oder im ehemaligen deutschen Kaiserreich, wäre das die Sitzverteilung. Neben einem Wahlkreis in Mannheim, der traditionell der SPD gehört, gewannen die Grünen zum ersten Mal neun Wahlkreise direkt. Diese liegen alle in Universitätsstädten: drei in Stuttgart, zwei in Freiburg, sowie je einer in Heidelberg, Konstanz, Mannheim und Tübingen. In Tübingen gab es bereits bei früheren Wahlen Wahlbezirke, in denen die Grünen über 70% der Stimmen erhielten.
Auch die kleinen Parteien, die in Fernsehsendungen meist nur als Summe erwähnt werden, verdienen einen detaillierten Blick. In der zweiten Tabelle sind die fünf der 15 kleinen Parteien erwähnt, die eine größere Stimmenzahl erhielten. Die Linke hat zwar Stimmen dazu gewonnen, ihr Stimmenanteil sank jedoch, da die Wahlbeteiligung höher war. Bei den Rechtsextremen glichen Verluste (REP) und Gewinne (NPD) sich aus. Eine ökologische Partei links von den Grünen (ÖDP) verdoppelte sich, allerdings auf niedrigem Niveau. Besonders bemerkenswert ist das Abschneiden der Piraten. Sie erhielten in einem Land mit 12% der Wahlberechtigten des Bundes genau 12% der Stimmen wie bei der Bundestagswahl im Jahre 2009. Das deutet auf eine Stabilisierung und Verfestigung der Bewegung hin. Bekanntlich sind die Piraten diejenige Partei, von der sich besonders viele Informatiker angesprochen fühlen, da sie sich für die Abschaffung des Urheberrechts stark macht.
Wahlergebnisse Baden-Württemberg, Kleine Parteien
Bezüglich dessen, was sich in der Landespolitik nach der Wahl ändern wird, bin ich relativ gelassen. Sowohl Winfried Kretschmann, der Chef der Grünen und vermutliche zukünftige Ministerpräsident wie sein Kollege Nils Schmid von der SPD sind keine Revolutionäre. Sie sind in erster Linie gute Schwaben, was heißt, dass sie den Laden zusammenhalten werden. Von den Grünen ist eine Energiepolitik zu erwarten, die nicht am Atomausstieg rütteln wird. Bezüglich des Projekts Stuttgart 21 stehen die Grünen den Gegnern sehr nahe. Die SPD ist offiziell für das Projekt, will aber noch eine Volksabstimmung durchführen. Ob beide die Schulpolitik schnell in Richtung Gesamtschule umkrempeln und die Studiengebühren abschaffen werden, bleibt abzuwarten. Auch ihnen klingt der Wahlslogan der schwarz-gelben Vorgänger-Regierung in den Ohren: Baden-Württemberg hat nicht nur die niedrigste Arbeitslosigkeit in ganz Deutschland, sondern auch die meisten Erfinder und die meisten Elite-Universitäten. Sie müssen jetzt beweisen, dass dies auch so bleiben kann ohne eine konservative Regierung im Dauerabonnement.
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