Samstag, 12. März 2011

Patentaktivitäten in der Software-Industrie

Vor etwa zehn Jahren gab es in Europa eine leidenschaftliche Diskussion darüber, ob man software-bezogene Erfindungen Patentschutz gewähren dürfte. Sowohl die EU-Kommission wie das Europäische Parlament wurden – vor allem von den Patent­gegnern − mächtig unter Druck gesetzt. Die Gesellschaft für Informatik (GI) sah sich veranlasst, im Jahre 2005 mittels eines Positionspapiers in die Diskussion einzugreifen. Darin kam man zu der eigentlich naheliegenden Erkenntnis, dass alle Leute, die wirtschaftlich denken und selbst erfinderisch tätig sind, für Patente sind. Alle andern Leute sind dagegen, sei es aus ideologischen oder eigennützigen Gründen.

Ich habe damals schon bezweifelt, dass sich die Software-Industrie von dieser Diskussion einschüchtern ließ. Um festzustellen, ob und wie weit dies doch der Fall sei, habe ich in diesen Tagen die Datenbanken sowohl des Europäischen Patentamtes (EPA) wie die des Deutschen Patent- und Markenamtes (DPMA) abgefragt. Hier das Ergebnis in tabellarischer Form:



Patentanmeldungen 2010 von Software-Unternehmen

Gezählt wurden die Anmeldungen, die im Jahre 2010 von dem jeweiligen Patentamt veröffentlicht wurden. Die Veröffentlichung erfolgt spätestens 18 Monate nach der Anmeldung. Es fällt auf, dass von der IT-Branche nur noch ein ganz geringer Anteil  beim DPMA angemeldet wird. Das Gros ist beim Europäischen Patentamt registriert. Schließen kann man daraus, dass der Schutz gegen Konkurrenz aus Deutschland an Bedeutung verloren hat. Im Automobilmarkt ist die Situation (noch) anders. So beantragte die Firma Robert Bosch im Jahre 2010 über 10.000 Patente beim DPMA für den Schutz in Deutschland, im Vergleich zu etwa 8.000 beim EPA. Unter den Anmeldungen der Automobilbranche sind natürlich in zunehmendem Maße auch software-bezogene Erfindungen. An den rund 60.000 Anmeldungen pro Jahr beim DPMA sind übrigens die deutschen Hochschulen mit weniger als 600 (~1%) beteiligt. Das umfasst alle technischen Disziplinen, einschließlich der Informatik.

Wie die Tabelle zeigt, ist die Anzahl der Patentanmeldungen aus der Software-Branche in den letzten zehn Jahren deutlich gestiegen. Damals lagen die entspre­chenden Zahlen um einen Faktor 2-3 niedriger. Ich habe hier nur die Daten von relativ etablierten Unternehmen der Branche betrachtet. Wie weit Neugründungen oder Kleinfirmen (KMUs) ihre Erfindungen schützen lassen, ist nicht so leicht festzustellen. Schätzungen besagen, dass vielleicht 20% aller Anmeldungen von ihnen stammen, obwohl sie mehr 90% der Unternehmen unserer Branche darstellen. Offensichtlich besteht bei diesem Firmentyp in der Software-Industrie ein wesentlich geringeres Interesse an der Patentierung als etwa in der Medizintechnik oder in der Molekularbiologie. Zu diesem Ergebnis kommt eine in den USA durchgeführte Umfrage, über die die Patentjuristin Pamela Samuelson im November-Heft 2010 der Communications der ACM berichtete. Dieselbe Umfrage besagte auch, dass bei Kleinfirmen die Kosten für die Durchsetzung von Patentrechten noch stärker abschrecken als die Kosten der Patentierung.

Wie bei andern Veröffentlichungsformen so sind auch bei Patenten die Zahlen nicht alles. Sie sind lediglich ein wichtiger Indikator. Entscheidend ist die Qualität einer Erfindung. Oft führt nur eines von 100 Patenten zu einer Innovation, also zu einer Wirkung im Markt. Da man aber nicht im Voraus genau weiß, welche Erfindung diesen Test besteht, ist man lieber auf der sicheren Seite, und meldet eher eine Erfindung zu viel an als eine zu wenig. Einer allgemeinen Faustregel zufolge wird etwa ein Drittel bis die Hälfte der angemeldeten Patente auch erteilt. Aber schon die Anmeldungen sind für jeden Forscher und Entwickler wichtig. Nur für eine angemeldete Erfindung (oder eine anderweitige Veröffentlichung) kann ein Prioritätsanspruch erhoben werden. Für die wirtschaftliche Nutzung wird erst das erteilte Patent geschützt, und zwar nur so lange wie der Antragsteller das auch will und dafür jährliche Gebühren bezahlt. So verzichtete Jeff Bezos irgendwann auf den Schutz seines so umstrittenen Ein-Klick-Verfahrens und zog den Patentantrag zurück.

Außer bei Apple und IBM kann man davon ausgehen, dass es sich bei den Anmeldungen der oben genannten Unternehmen in den meisten Fällen um echte software-bezogene Erfindungen handelt. Ich gebe stichwortartig einige Kostproben anhand der im Jahre 2010 beim DPMA angemeldeten Erfindungen. Vielleicht sollte man sich einige von ihnen näher ansehen, ehe man alle als Trivialpatente abtut. Anderer Leute Erfindungen anzuschauen kann nicht schaden. Ich schätze, dass vorher allerdings einige Kollegen über ihren eigenen Schatten springen müssen.

Apple: Wahrnehmungsbasierter Ansatz zur Metamorphose von flächigen Bildgestalten; Vorrichtung zur Benutzung von drehenden Benutzereingaben; Verfahren zur Verschleierung von Computerbefehlsketten; Verfahren und Vorrichtung zum Wecken eines schlafenden Systems.

Google: Wiedergabe und Annotation von Panoramabildern; Ranking von Objekten sozialer Netzwerke; Ortsbasierte Antworten auf Telefonanfragen; Metrikumsetzung für Online-Werbung.

Microsoft: 3D-Kamera und Verfahren zu ihrem Gating; Zeitgesteuerte Zugangskontrolle zu einer Unterhaltungskonsole; Zentralisiertes Verfahren und System zur Klärung von Sprachbefehlen; Wiedergabe dreidimensionaler Objekte auf einem Servercomputer.

SAP: Wartung ohne Stillstandzeit unter Verwendung eines Spiegelansatzes; Verwendung von Attributvererbung zur Identifizierung von Suchpfaden; Verhaltensbasierte Anpassung von Computersystemen; Verfahren und Vorrichtung zur parallelen und verteilten Kompilation.

Schon seit Jahren frage ich mich, wieso sich die deutschen Hochschulen eigentlich einreden können, unsern Nachwuchs zu wettbewerbsfähigen Forschern oder Entwicklern auszubilden, wenn sie das Geschehen im Erfindermarkt fast völlig ignorieren. Von japanischen Ingenieurschulen wurde vor Jahren berichtet, dass sie ihren Studenten als Studienarbeit gerne eine Patentschrift gaben, und sie baten, eine weiterführende oder ähnliche Erfindung zu beschreiben. Bekanntlich waren japanische Unternehmen lange Zeit sehr darauf erpicht, eine vorhandene ausländische Erfindung durch umgebende Patentanmeldungen einzugrenzen, um sich so einen eigenen Handlungsspielraum zu verschaffen. Später hatten sie es nicht mehr nötig. Sie hatten genug eigenständige Erfindungen. Die Erklärung, die sich auch heute noch für die Situation in Deutschland anbietet, lautet: Die Hochschulinformatik steht bei uns weniger in einer Ingenieur- als in einer Mathematiktradition. Mitunter verhält sie sich fast wie eine Geisteswissenschaft.

In einem Beitrag zum Thema Software-Patente im Informatik-Spektrum im Jahre 2001 hieß es: „“Erfinden lernen“ könnte durchaus ein weiteres Ausbildungsziel für die Studierenden sein. Es steht der Wissenschaftlichkeit eines jeden Faches gut an, wenn sie das Suchen nach neuen Ideen stark in den Vordergrund rückt.“ Und des Weiteren „Beim Stellenwert von Patenten spielt auch die Frage hinein, ob sich Informatik eher als Naturwissenschaft oder als Ingenieurwissenschaft sieht. Will sie sich als Ingenieurwissenschaft profilieren, kann sie nicht vorwiegend Entdeckungen anstreben wie Astronomie, Mathematik oder Physik. Erfindungen von Informatikern jedoch alle als trivial anzusehen, dagegen sollten wir uns energisch wehren. Soviel Selbstbewusstsein dürfen wir ruhig zeigen.“

1 Kommentar:

  1. Am 15.1.2013 schrieb Udo Hertz aus Böblingen:

    Patente stehen für uns in der IBM nach wie vor "hoch im Kurs"; als Böblinger Software-Kollegen tragen wir mit unseren Erfindungen kräftig dazu bei.

    NB. Neuere Zahlen von IBM gibt es unter http://t.co/xpCdhDzj

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