Manfred Broy ist seit 1989 Informatik-Professor an der TU München. Davor war er an der Universität Passau tätig. Sein Fachgebiet ist Software und Systems Engineering. Broy ist Träger der Konrad-Zuse-Medaille und Fellow der Gesellschaft für Informatik (GI). Er war Leibnizpreisträger der DFG und ist Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher „Leopoldina“ sowie der Europäischen Akademie der Wissenschaft. Er hatte in München Mathematik und Informatik studiert und bei F.L. Bauer promoviert.
Bertal Dresen (BD): Das Februar-Heft des Informatik-Spektrums war dem Thema Informatik in der Automobilindustrie gewidmet. Sie und Ihre Mitautoren beschrieben darin die Anforderungen und Anwendungen im ganzen Lebenszyklus eines Fahrzeugs, von der Planung über den Entwurf, die Fertigung, den Vertrieb bis zur Wartung. Wie ich weiß, haben Sie sich schon länger mit den Problemen software-basierter Funktionen im Auto beschäftigt. Was hat sich hier Ihrer Meinung nach, was Aufgaben und Funktionalität der Software im Auto betrifft, in den letzten 10-15 Jahren verändert?
Manfred Broy (MB): Die Funktionalität wird immer umfassender – übergreifender. Waren zu Beginn, und der liegt über 40 Jahre zurück, nur einzelne isolierte Funktionen durch Software realisiert, so sind heute Tausende von software-basierten Funktionen in modernen Fahrzeugen vorzufinden – mit oft starken, wechselseitigen Abhängigkeiten. Das erfordert ein ganzheitliches Vorgehen. Themen der Architektur und der systematischen Erfassung der Anforderungen gewinnen entscheidende Bedeutung.
BD: Inwieweit ist die Sorge (noch) berechtigt, dass an Software meist erst im Nachherein gedacht wird, wenn die Hardware-Struktur des Autos (Busse, Steuereinheiten) bereits festliegt? Oder anders herum gefragt, ist Software nicht meist eine Zugabe, die dazu dient die normalerweise in Hardware vorgesehenen Funktionen des Autos zu verbessern? Gibt es Gegenbeispiele?
MB: Das ändert sich stark – bisher war es wohl mehr so, wie Sie es beschreiben. Aber durch die schiere Größe und die Verschiebung der Kosten in Richtung Software ändert sich das langsam. Langfristig können nur Software-Produktlinien helfen, Komplexität, Kosten und Qualität in den Griff zu bekommen.
BD: Wie stark ist in der Automobilindustrie der Gedanke verbreitet, dass jemand die Software als eigenständiges Produkt nur einmal entwickelt, um sie dann in mehreren Fahrzeugtypen (auch verschiedener Hersteller) zu verwenden? Wenn schon nicht für Steuerung- und Assistenzfunktionen, so müsste sich dies doch für das Infotainment geradezu aufdrängen. Oder ist die Idee eines eigenen Software-Markts zu verwegen?
MB: Die Umsetzung der Idee findet sich bereits, stärker bei Zulieferern als bei Herstellern. Ein Beispiel sind Motormanagementsysteme. Bei den Herstellern gibt es solche Ideen bisher stärker für die Plattformen, wie AutoSAR. Aber die Konzepte brauchen ihre Zeit. Es würde mich nicht wundern, wenn eine konsequentere Umsetzung der Idee von neuen systemorientierten Firmen kommt. Eine Vorstellung wäre quasi ein „SAP-System“ für die Software im Fahrzeug.
BD: Inwieweit ist es entscheidend, dass die großen Hersteller relativ wenig Funktionen eines Autos selbst entwickeln und meist nur Aggregate und Teilsysteme integrieren, die sie von Zuliefern beziehen? Oder anders ausgedrückt, behindert die Struktur der Industrie, dass es zu optimaleren Lösungen kommt? Oder wird sich das Ökosystem der Branche gfs. ändern?
MB: Hier ist der Wandel bereits eingetreten, ohne dass sich alle Beteiligten dessen schon voll bewusst sind. Die Automobilentwicklung ist vom Baukastensystem, bei dem Teile zusammengefügt wurden, in die Phase des Systems Engineerings eingetreten. Nicht Bauteile werden mehr zusammengebaut, sondern Teilsysteme werden integriert. Besonders drastisch zeigt sich das in den heute viel zu hohen Aufwänden für Tests in der Integration und endlose Fehlerkorrekturen. Unsere Untersuchungen zeigen, dass entschlossenes Verlagern von Aufwänden in die Anforderungs- und Architekturfestlegung enorme Kostenersparnisse versprechen.
BD: Ist die Ausbildung, die Informatiker normalerweise erhalten, überhaupt dafür geeignet, im Automobilbau signifikante Beiträge zu leisten? Oder stehen sie auf verlorenem Posten gegenüber Maschinenbauern und Elektroingenieuren, die ja ohnehin für die Software verantwortlich sind, mit denen Sensoren und Aktuatoren gesteuert werden?
MB: Hier liegt ein gravierendes Problem. Die sehr schnell stärker werdende Bedeutung der Software erfordert Veränderungen in der Organisation und in den Prozessen bei Herstellern und Zulieferern, die von Fachleuten geplant und umgesetzt werden müssen. Analysen zeigen gravierende Defizite in den Kompetenzen. Für Informatiker ist die Automobilindustrie aber nur attraktiv, wenn sie dort nicht nur ihr Wissen und Können ungebremst entfalten, sondern sich auch weiter entwickeln können. Das ist noch nicht hinreichend der Fall, auch wenn in Einzelfällen Informatiker bereits in höchste Verantwortung gekommen sind.
BD: Über das rasche Zustandekommen dieses Interview habe ich mich sehr gefreut, umso mehr als die Antworten nicht in der normalen Arbeitsumgebung entstanden sind, sondern während eines Seetags auf einer Kreuzfahrt zwischen Fidschi und Hawaii. Herrn Broy und Gattin wünsche ich weiterhin erholsame Tage auf See.
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