Kaum war mein Beitrag über Eric Kandel in diesem Blog erschienen, da brachte mir mein Freund Hans Diel das Buch ‚Einsicht ins Ich‘ von Hofstadter und Dennett von 1981 (engl. Titel: Mind’s I). Obwohl ich diese Art von Aufmerksamkeiten inzwischen gewohnt bin, freue ich mich jedes Mal aufs Neue. Meine Freunde wissen, ich habe Zeit, oder anders gesagt, ich verbringe einen großen Teil meiner Zeit mit dem Lesen von E-Mails und Blogs sowie (papiernen und elektronischen) Zeitungen, Zeitschriften und Büchern. Lesen ist oft – aber leider nicht immer – anregend. Sehr oft mache ich mir bereits während des Lesens in Stichworten Aufzeichnungen darüber, was mir das Buch sagt. Manchmal drängt sich dabei Einiges auf, was das Buch nicht sagt, oder was ich zu diesem Thema anders sagen würde. Hier ist wieder so ein Fall.
Ich habe besagtes Buch, das inzwischen 30 Jahre alt ist, mit einiger Mühe und nur streckenweisem Vergnügen gelesen. Die Mühe ergab sich aus einigen offensichtlichen Längen und den unterschiedlichen Erzählerstilen. Es handelt sich nämlich um eine Sammlung philosophischer und literarischer Texte, die alle einen gewissen Bezug zu der Frage haben, was Geist ist und wie er sich selbst sieht. Mehrere der Texte kannte ich, zumindest aus der Sekundärliteratur, so Turings Text von 1950, in dem er den nach ihm benannten Intelligenz-Test vorschlägt. Aber auch Dawkins egoistische Gene von 1978 und Searles Gedankenexperiment des chinesischen Zimmers von 1980 waren mir bereits bekannt. Echtes Vergnügen bereiteten dagegen die jeweils drei Texte von Stanislaw Lem und Raymund Smullyan, die man eher als Science Fiction ansehen kann (ihren Inhalt verrate ich absichtlich nicht). Auch Jorge Luis Borges wiederzutreffen, ist ein Genuss. Douglas Hofstadter und Daniel Dennett kommentieren jeden Text ausführlich und versuchen ihn einzuordnen in ihr angeblich moderneres Weltbild, das zwar nicht genau zu erkennen ist, das aber offensichtlich dem Materialismus und damit dem Monismus nahesteht.
Um die Fronten zu klären, hier kurz die Begriffsstruktur. In der dualistischen Auffassung, die auf Descartes zurückgeht, ist mit Geist eine nicht-materielle Substanz gemeint, die weder Masse und Energie, noch einen Ort hat. Seele ist ein Unterbegriff, so sind es Bewusstsein und Emotionen. Bei der monistischen Auffassung dagegen ist Geist – wenn das Wort überhaupt benutzt wird – ein Sammelbegriff für eine Klasse von Funktionen des Gehirns höherer Lebewesen, die Intelligenz und Bewusstsein verraten. In der strengsten, der physikalischen Auffassung des Monismus sind alle Zustände des Geistes nichts anderes als Zustände des Körpers.
Sicherlich ist es interessant zu vergleichen, wie weit sich unser Wissen innerhalb einer Generation weiterentwickelt hat. Beginnen wir mit dem Turing-Test. Es gibt zwar eine Stiftung, die jährlich einen Preis an dasjenige Programm vergibt, das der Erfüllung des Testes an Nächsten kommt. Man ist heute jedoch der Ansicht, dass durch den Turing-Test nur ein Teilaspekt der Intelligenz gemessen wird, und dass Formen der Intelligenz, die sich nicht in einem Dialog ausdrücken können, nicht berücksichtigt werden. Auch Dawkin gilt als widerlegt, wie es etwa Joachim Bauer in seinem Buch ‚Das kooperative Gen‘ getan hat.
In der Sekundärliteratur wird hin und wieder noch das Gedanken-Experiment des chinesischen Zimmers von John Searle zitiert. Searle beschreibt eine Person, die kein Chinesisch versteht, die man aber anhand immer detaillierter englischer Anweisungen nach und nach befähigt, auf Fragen, die in Chinesisch gestellt werden, auf Chinesisch zu antworten, und zwar schriftlich. Genau das täte ein Computer, der von einer Sprache in die andere übersetzt, meinte Searle. Anstatt Zetteln mit Gekraxel würde der Computer nur Zeichen manipulieren. Verstehen was er tut, kann er nicht. Das kann nur ein Mensch dank seiner ganz spezifischen Begabung, wenn er außerdem die gesamte Begriffswelt der Sprache kennt. Natürlich hat hier Searle Recht. Das heißt aber nicht, dass Computer nicht fließend von einer Sprache in eine andere übersetzen können, oder dass sie auch schwierige Fragen in einer Quizsendung beantworten, wie es das System Watson vor kurzem tat. Ob man das als Denken oder als Intelligenz bezeichnen darf, ist meines Erachtens eine ziemlich nebensächliche Frage.
Wogegen Searle eigentlich kämpfte, war im Grunde eine besondere Form des Dualismus, wie sie von der so genannten ‚starken KI‘ vertreten wurde. Zu dieser Denkschule (fast hätte ich Geistesrichtung gesagt) gehören Leute wie Kurzweil, McCarthy, Minsky und Schank, die meinen den Geist mit Software und den Körper mit Hardware gleichsetzen zu müssen. Beim Gehirn scheint der Begriff Hardware ihnen nicht ganz zu gefallen, deshalb reden sie manchmal auch von Feuchtware (Wetware). Die entscheidende Schlussfolgerung der KI-Leute lautet: Ist der Geist Software, müsse er auch auf anderer Hardware als dem menschlichen Gehirn existieren können, etwa auf dem Silizium von Computern. Hier hakte Searle mit Recht ein. Diese Vorstellung war in der Tat zu beschränkt. Man weiß inzwischen, dass unser Geist, genauer gesagt, unser Bewusstsein von unserer Körperlichkeit abhängt. Verweisen möchte ich hier auf den Februar-Eintrag über Thomas Metzinger in diesem Blog.
In der Diskussion mit Searle hat John McCarthy, der bekannteste Vertreter der ‚harten KI‘ nach Searles Meinung etwas dümmlich argumentiert. Ich glaube eher, dass McCarthy versucht hatte zu provozieren, als er sagte, dass nach seiner Meinung ein Thermostat über Überzeugungen und Intentionen, also Absichten, verfügt. Vielleicht wollte McCarthy nur sagen, dass viele technische Geräte über einen Plan verfügen, der ihnen genau sagt, wie sie sich in Zukunft verhalten werden. Man könnte das Wort Intention auch als eine andere mögliche Bezeichnung für das Wort Programm ansehen. Hätte er es so gesagt, hätten ihm die Philosophen kaum widersprochen.
Searle gibt in seinem Artikel freimütig zu, dass für ihn das Vorhandensein von Geist a priori gegeben ist, weil es sonst wohl keine Kognitionswissenschaften zu geben bräuchte. Geisteswissenschaftler geraten mit Ingenieuren und Naturwissenschaftlern immer wieder ins Gehege, wenn sie aus zufällig vorhandenen Begriffen einer Sprache (ob der deutschen, englischen oder chinesischen, sei dahingestellt) wissenschaftliche Erkenntnisse gewinnen wollen. Sprache ist nämlich – nicht nur nach meiner Auffassung - ein reines Hilfsmittel, um Begriffe, die wir für nötig oder sinnvoll halten, festzunageln, quasi mit einem gelben Post-it-Zettel zu versehen. Eine Seele existiert nicht deshalb, weil es dieses Wort gibt, das gleiche gilt für Engel, Ewigkeit, Geist, Gespenst, Götter, Himmel, Hölle, Nixe, Titanier, Werwolf, usw. Es gibt viele Wörter für Dinge, die es nicht gibt. Andererseits gibt es Unmengen von Tatsachen, für die wir (noch) keine Begriffe besitzen. Auch unterscheiden sich die Sprachen verschiedener Kulturen und Völker (oder Berufs- und Altersgruppen) in dieser Hinsicht.
Immer wieder hat die Naturwissenschaft vorhandene Begriffe genommen und sie mit neuem Inhalt versehen, so Kraft, Masse, Beschleunigung, Wahrscheinlichkeit und Zufall. Sicherlich wird es Leute wie Searle stören, dass ein Thermostat über Spannung verfügt, oder ein Stein Widerstand besitzt (und nicht nur leistet). Naturwissenschaftler und Ingenieure unterscheiden sich bekanntlich dadurch, dass Naturwissenschaftler die Natur verstehen wollen, Ingenieure nutzen ihre Phänomene, auch ohne sie zu verstehen, wie z.B. die Elektrizität. Da mir für diese beiden Wissenschaften kein gemeinsamer Begriff einfällt, benutze ich im Folgenden die Umschreibung ‚die beiden Herausforderer‘. Sie sind erst seit 300 Jahren mit im Wettkampf der Ideen vertreten, den die Geisteswissenschaftler vor 3000 Jahren begonnen haben.
Die beiden Herausforderer arbeiten solange unter der Annahme, dass die Welt rein mechanistisch zu erklären ist, solange diese Annahme trägt – aber keine Sekunde länger. Diese Annahmen darf man auch als Hypothesen oder Modelle bezeichnen. So war es mit dem Weltbild des Ptolomäus oder der Physik von Newton und Einstein. Reichten diese Modelle nicht mehr aus, erfand man entweder Epizyklen (im Falle der Planetenbahnen) oder legte ein anderes Modell zugrunde, etwa das der Quantenphysik (in der Kopenhagener Interpretation). Dass die Dinge in diesem Sinne weiter getrieben werden, damit ist fest zu rechnen. Es wird dabei einerseits an der Verfeinerung von bestehenden Modellen gearbeitet werden, andererseits wird es Paradigmenwechsel im Sinne von Thomas Kuhn geben. Leute, die behaupten, dass das naturwissenschaftliche Weltbild bereits alles erklärt, überschätzen sich und ihren Wissensstand ganz erheblich. Welcher Naturwissenschaftler kann schon sagen, was vor dem Urknall war, warum es den Kosmos und das Leben gibt, warum die Naturkonstanten bestimmte Werte haben, usw.
Wie schwierig es damals Hofstadter und Dennett selbst hatten, um vom damaligen Wissenstand aus zu extrapolieren, zeigt der Text am Ende des Buches. Auf fast 30 Seiten wird eine imaginäre Unterhaltung mit Einsteins Gehirn beschrieben. Da Einstein bekanntlich sein Gehirn der wissenschaftlichen Forschung zur Verfügung gestellt hat, wird hier angenommen, dass ein Neurowissenschaftler jedes einzelne Neuron in dem in einer Nährflüssigkeit aufbewahrten Gehirn vermessen hätte und seine elektrischen und chemischen Eigenschaften in einem Buch dokumentiert hätte. Es hätte den Umfang von Milliarden von Seiten. Außerdem gäbe es Umwandlungstabellen, mit deren Hilfe man den Inhalt der Neuronen erschließen könnte. Dass der Inhalt nur ein Schnappschuss von Einsteins Todestag ist, wo er evtl. über Gehbeschwerden klagte, wird noch angedeutet, der Rest bleibt im Dunkeln. Natürlich hat sich an den Größenordnungen nichts geändert, nur würde heute kein Wissenschaftler auf die Idee kommen, den Inhalt eines einzelnen Chromosoms, von denen es pro Körperzelle 24 gibt, auf Papier auszudrucken. Wenn ich mich recht erinnere, hätte dies bereits 500.000 Seiten Papier benötigt. Die Idee, sich mit einem großen Datenspeicher zu unterhalten, ist heute jedoch kein Stoff für Science-Fiction-Romane mehr.
Der philosophische Streit über das Leib-Seele-Problem (richtiger als das Körper-Geist-Problem bezeichnet) neigt sich immer stärker in die Richtung des Monismus. Zu stark sind die Indizien, die sich nicht anders erklären lassen, etwa die Wirkung von Alkohol, Drogen oder Psycho- und Neuropharmaka. Noch wissen wir aber sehr wenig darüber, wie sich geistige Zustände tatsächlich manifestieren. Das hängt meines Erachtens damit zusammen, dass wir viel zu wenig darüber wissen, welche Rolle Information im Gehirn spielt, wie sie mit Bedeutung versehen, strukturiert und wiedergefunden wird. Vermutlich werde ich auf dieses Thema irgendwann zurückkommen.