Donnerstag, 26. Juli 2012

Anzio und Monte Cassino, Tragödien im Frühjahr 1944

Gestern war ein sehr schöner Sommertag, aber leider zu heiß, um ihn auf dem Balkon zu verbringen. Ich schaute mir deshalb auf meinem Tablet bei arte die sechste Folge einer 14-teiligen Serie über den Zweiten Weltkrieg an. Diese Folge erinnerte an zwei Schlachten des Frühjahrs 1944, die von Anzio und Monte Cassino. Für mich hat das Wort Schlachten immer eine doppelte Bedeutung. Es ist da, wo Heldensagen entstehen, und da, wo Haustiere und Vieh ihr Leben lassen. Aus der Distanz von nahezu 70 Jahren muss ich sagen,  ̶  auf die Gefahr hin, als Pazifist beschimpft zu werden  ̶  es war an beiden Stellen ein grausames Abschlachten, ein Verheizen von Menschenleben.

Mit beiden Schlachtorten hatte ich mich zum ersten Mal beschäftigt, ehe meine Frau und ich im September 2002 eine Reise durch die Provinz Latium machten. Ich zitiere wieder aus meinen Reiseberichten [1]. Wir waren in Rom gelandet, hatten einen Leihwagen übernommen…

… und fuhren in Richtung Ostia los. Wir wunderten uns, dass hier kaum noch Leute am Strand waren, und fuhren gleich weiter bis Anzio. Erst bei der Vorbereitung der Reise war ich darauf gestoßen, dass dieser Ort eine große historische Bedeutung erlangt hat, und zwar während des zweiten Weltkriegs.


Hafen von Anzio

Seit der Landung der alliierten Truppen in Salerno im September 1943 verfolgte Churchill die Idee, eine zweite Front in Italien zu eröffnen. Am 22. Januar 1944 gingen deshalb amerikanische und englische Streitkräfte bei Anzio und Nettuno hinter den deutschen Linien an Land. Den deutschen Verteidigern gelang es jedoch den Brückenkopf abzuriegeln. Der Kampf dauerte vier Monate und endete mit dem Rückzug der Alliierten am 23. Mai 1944. Churchill geriet wegen dieses Unternehmens in scharfe Kritik. Einer der beteiligten Offiziere (General Lucas) meinte: ‚Das Ganze riecht stark nach Gallipoli‘. Bereits 1914 hatte Churchill dieselbe Idee propagiert, und zwar diesmal am Bosporus eine zweite Front zu eröffnen, und erlitt fürchterlichen Schiffbruch.


Rathaus von Anzio

Anzio war aus alliierter Sicht ein einziges Desaster gewesen. Es gab über 10.000 Tote und etwa 30.000 Verwundete. Fast die gleiche Anzahl von Soldaten hatte psychische Verletzungen erlitten. Die deutschen Verluste waren relativ gering. Den amerikanischen Kommandierenden wird der Vorwurf gemacht, zu vorsichtig gewesen zu sein. Wären sie gleich nach der Landung weiter vorgestoßen, statt sich einzubuddeln, wären sie vermutlich auf wenig deutschen Widerstand gestoßen. So jedoch gaben sie der deutschen Verteidigung Gelegenheit, sich zu reorganisieren.

Churchill lag im Januar 1944 im Krankenhaus in Marrakesch. Auf dem Weg zurück von der Konferenz von Teheran hatte er sich eine Lungenentzündung zugezogen. In seinen Memoiren schreibt er später. ‚Anzio war mein schlimmster Augenblick des Krieges‘.

Meine Frau und ich fuhren damals an der Küste entlang nach Süden und besuchten Terracina und Gaeta. Den südlichsten Punkt dieser Reise erreichten wir in der Stadt Cassino.

Berühmter als die Stadt Cassino ist Berg Monte Cassino, der 520 Meter über der Stadt aufragt. Dieser ist Teil eines nördlich der Stadt endenden Ausläufers der Abruzzen. Hier gründete Benedikt von Nursia im Jahre 529 an der Stelle einer früheren römischen Befestigungsanlage das erste Kloster des nach ihm benannten Ordens. Die Gebeine des Gründers liegen in der Krypta des Klosters begraben. Das Kloster wurde zuerst von den Langobarden (577) und später von den Sarazenen (883) zerstört, aber jedes Mal wieder aufgebaut.


Monte Cassino vom Tal aus

Neben der frühmittelalterlichen Mönchtumsgeschichte verbinden wir heute eher ein anderes, sehr dramatisches Ereignis aus dem Zweiten Weltkrieg mit diesem Berg. Ende 1943 kam der alliierte Vormarsch in Italien an der von der deutschen Wehrmacht quer durch das Land gezogenen Verteidigungslinie (Gustav-Linie) zum Stehen. Im Westen ging es besonders darum, den Vorstoß der Alliierten durch das Liri-Tal nach Rom zu verhindern. Mit Rücksicht auf die historische Bedeutung des Kulturdenkmals hatte der deutsche Oberbefehlshaber in Italien, General Kesselring, die Miteinbeziehung des Klosters in die Verteidigungsstellungen zunächst verboten.


Blick auf Stadt Cassino

Am 17. Januar 1944 begann der erste der drei erfolglosen alliierten Frontalangriffe auf die deutschen Stellungen um die Stadt Cassino und den Berggipfel. Die verbissenen Grabenkämpfe kosteten Verteidiger wie Angreifer unzählige Opfer. Zum Auftakt der zweiten Angriffswelle verlangte ihr Kommandeur (der neuseeländische General Freyberg) daher die massive Bombardierung der Verteidigungsstellungen und des Klosters, hinter dessen Mauern er eine deutsche Funk- und Aufklärungsstation vermutete. Durch den Angriff amerikanischen Bomber am 15. Februar 1944 wurde das Kloster schwer beschädigt. Bei diesem Angriff kamen 250 Menschen ums Leben, zum großen Teil Flüchtlinge, die Schutz im Kloster gesucht hatten.


Hinterlassenes Kriegsgerät im Stadtgebiet

Erst nach der Bombardierung bezogen deutsche Fallschirmjäger die Ruinen des Klosters in ihre Verteidigungsstellungen mit ein, die auch in den nächsten Monaten für die Angreifer uneinnehmbar blieben. Erst angesichts der prekären militärischen Situation in Italien gab General Kesselring am 17. Mai den Rückzugsbefehl. Dies ermöglichte exilpolnischen Verbänden einen Tag später die Einnahme des Klosters. Die viermonatige Schlacht um Monte Cassino kostete rund 20.000 deutschen und 12.000 alliierten Soldaten das Leben. Im Waffenmuseum des Klosters fiel mir auf, dass die Polen den Tag des Sieges um zwei Monate (auf den 18. März) vorverlegt hatten. In der Stadt Cassino stehen an einer zentralen Kreuzung sowohl ein deutscher Panzer wie eine Panzerabwehrkanone. Auf dem deutschen Soldatenfriedhof in Caira (5 km von Cassino entfernt) liegen genau 20.059 Gefallene.


Deutscher Soldaten-Friedhof von Caira

Im Archäologischen Museum von Cassino gibt es Spuren sowohl der Volsker wie der Römer. Das Amphitheater hat eine über zwei Meter lange Außenmauer. So wie die Alliierten Ende Mai 1944 bewegten wir uns anschließend zügig durch das Liri-Tal in Richtung Rom. In dem Ort Aquino, dem Geburtsort des Scholastikers Thomas, versuchten wir gar nicht erst zu halten.


Polnischer Kriegerfriedhof am Monte Cassino

Am Monte Cassino traf es neben Franzosen und Polen hauptsächlich Australier und Neuseeländer. Das Kloster wurde vollständig wieder aufgebaut und wird als Weltkulturerbe von Pilgern und Touristen besucht. Im Frühjahr 1944 war Monte Cassino ein Eckpfeiler der Verteidigungslinie, die zwischen Adria und Tyrrhenischem Meer den Vormarsch der Alliierten aufhalten sollte. Nachdem dieses Hindernis gefallen war, gab es ein Wettrennen der Alliierten auf Rom. Rom fiel kampflos am 4. Juni 1944.

Die beiden Gemetzel fanden nur Wochen vor der Invasion in der Normandie (6. Juni) und dem Attentat auf Hitler (20. Juli) statt. Im Hinblick auf diese Ereignisse war der deutsche Widerstand in Italien erst recht sinnlos. Die elfmonatige Agonie des Nazi-Regimes hatte Ian Kershaw kürzlich noch einmal wissenschaflich analysiert.

In dem gezeigten Film werden persönliche Schicksale eingebunden. Im Falle der Schlacht von Anzio ist es das Schicksal eines italienisch-stämmigen Soldaten aus Connecticut. Er hatte gehofft, an seinem 21. Geburtstag in Rom einzuziehen. Leider wurde er eines von etwa 900 Todesopfern, die sein Regiment bei Anzio erlitt. Ich finde es sehr gut, auch diesen Aspekt des Krieges zu zeigen. Es gibt keine Kriege ohne persönliches Leid. Das sehen wir gerade in Syrien, und sahen es vorher in Afghanistan und im Irak.

1.      Reiseberichte enthalten auf der CD Gunst und Kunst des Reisens aus dem Jahre 2009. Die CD ist auf der Homepage ihres Autors im Abschnitt Media beschrieben

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