Nachdem Hans Diel und Peter Hiemann in ihrem Beitrag
versucht haben, auf wissenschaftliche Weise zu erklären, wie Intelligenz in die
Welt kam, will ich in diesem Essay illustrieren, wie ich mich bemüht habe, dem
irdischen Weg des Geistes nachzuspüren. Ich beschränke mich heute auf den
mathematischen Geist und auf Europa und den Nahen Osten. Die Intelligenz des
Menschen umfasst zweifellos mehr als nur seine logischen und mathematischen
Fähigkeiten. Auch gibt es Quellen (engl. hot spots) des Geistigen nicht nur in
einer geografischen Region.
Nicht in Arkadien, nicht am Nil und auch nicht am Indus, sondern
in Ionien wird die Heimat des reflektierenden Geistes, des ‚Homo reflectans‘,
vermutet. Zwischen Troja und Milet soll er zuerst aufgetaucht sein. Das Gebiet
liegt am Ostufer der Ägäis, in der heutigen Türkei. Das ist zumindest
die Theorie eines Julian
Jaynes (1920-1997). Das Bewusstsein des Menschen habe sich erst vor der Phase
der klassisch-griechischen Hochkultur entwickelt. Zeitlich gesehen war dies
zwischen dem Trojanischen Krieg und der Geburt des Homer, also zwischen 1300
und 700 v. Chr. Die Menschen vor dieser Zeit hätten kein Bewusstsein
gehabt, ebenso wenig wie Tiere und Kinder vor dem dritten Lebensjahr. Erklärt
wird es anatomisch durch die Entstehung einer Brücke zwischen der rechten
und linken Gehirnhälfte. Jaynes spricht daher von der bikameralen Psyche. Es
ist dies eine sehr ansprechende Theorie. Viele Anhänger hat sie noch nicht
gefunden, ganz zu schweigen von experimentellen Beweisen.
Da ich bei meinen Reisen durch die Welt gerne Orte von
besonderer geistesgeschichtlicher Bedeutung aufsuchte, habe ich eine ganze
Reihe von ihnen geschafft. Welche Gedanken mir an vier der besuchten Orte
kamen, will ich hier erläutern. Vorne weg stelle ich einen kurzen Auszug aus
dem jeweiligen Reisebericht [1].
Milet in der
Westtürkei
Im Frühjahr 2003 besuchten
meine Frau und ich den Ort, an dem sich einst die Stadt Milet befand. Er ist nicht
weit weg von der modernen Stadt Kuşadasi mit ihren Ferienwohnungen und
Segelyachten. In der Antike war Milet eine direkt am Meer gelegene Hafenstadt.
Die Umgebung ist heute durch die Ablagerungen des Flusses Mäader vollkommen
versandet. Bisher wurde lediglich ein kleiner Teil der Stadt, der so genannte
Löwenhafen, ausgegraben.
Löwenhafen von Milet
Milet gilt als die älteste
griechische Siedlung in Kleinasien. Sie wurde mehrmals zerstört, unter anderem
von den Hethitern. Nach der um 1200 v. Chr. erfolgten Neugründung entwickelte
sich Milet zu einer der erfolgreichsten Handelsstädte des ganzen
Mittelmeerraumes. Sie hatte 80 Kolonien, unter anderem in Ägypten und entlang
der gesamten Schwarzmeerküste. Der Berg, der heute vor dem Gelände der
ehemaligen Stadt Milet liegt, war früher eine Insel. Vor dieser Insel fand 494
v. Chr. eine Seeschlacht gegen die Perser statt, die die Griechen verloren.
Milet wurde danach persisch. Über dem Theater der Stadt befindet sich heute
eine byzantinisch-türkische Festung, die die Gegend gegen Seeräuber schützen
sollte. Nach dem ersten Weltkrieg wurden alle Griechen gezwungen, Kleinasien zu
verlassen, wo sie über 3000 Jahre gelebt hatten. Ihre Kulturgüter befinden sich
in Museen über die ganze Welt verteilt, sofern sie sich bewegen ließen.
Theater von Milet
Milet kann
man als eine der Ursprungsstätten abendländischen Geisteslebens bezeichnen. Neben
Anaximander und Anaximenes gilt Thales
(um 624-546 v. Chr.) als der bekannteste Vertreter der vorsokratischen Philosophie. Er
war außerdem Mathematiker, Astronom und Ingenieur. Er wurde reich, da er gute
Weinernten vorhersagen konnte und sich entsprechend viele Fässer zulegte. Er
sagte eine Sonnenfinsternis voraus und erklärte einem Feldherrn, wie man mit
Soldaten am besten über den Fluss Mäander kommt. Seine geometrischen Kenntnisse
hatte er vermutlich bei Besuchen in Ägypten erworben. Ihn interessierten
insbesondere Längen- und Winkelmessungen. Der Satz des Thales (‚Der Winkel im Halbkreis ist ein rechter‘)
wird in seiner Bedeutung noch vom Strahlensatz übertroffen.
Mit ihm lassen sich unzählige Probleme in der Geometrie lösen.
In dem oben zitierten Beitrag nahm Hans Diel die Entdeckung
eines Gesetzes aus der Geometrie, den Satz des Pythagoras, als Beispiel für
eine genuin menschliche Leistung. Wahrlich ein nettes Kompliment für einen
ehemaligen Geometer wie mich! Historisch gesehen ist der Satz des Thales etwa 50
Jahre älter. Er hat mich als Schüler mindestens so sehr beeindruckt wie der
Satz des Pythagoras. Pythagoras
(570-510 v. Chr.) stammte von der Insel Samos und lebte hauptsächlich in
Kalabrien.
Nicht verhehlen möchte ich, dass Thales die Mathematiker und
Philosophen bereits früh in schiefes Licht brachte. Eine Magd, also eine junge
Dame aus dem Volk, hätte ihn ausgelacht, als er ̶ während er die Sterne beobachtete ̶
in einen Brunnen fiel. Thales hat keine
schriftlichen Aufzeichnungen hinterlassen. Darin war er nicht besser als sein
Landsmann Homer, der etwa 200 Jahre früher lebte. Homer stammte ebenfalls aus
Ionien. Smyrna, das heutige Izmir, ist eine der sechs Städte, die als mögliche
Geburtsstadt genannt werden. Homer war eine Art Wandersänger und
Märchenerzähler. Seine endlos langen Gesänge, die Illiad und die Odyssee,
wurden von Zuhörern oder Nachfahren aufgeschrieben.
Syrakus auf Sizilien
Während eines Urlaubs auf
Sizilien im Sommers 1996 machten wir einen Ausflug nach Syrakus (ital.
Siracusa). Im Jahre 734 v. Chr. von Siedlern aus Korinth gegründet, wurde sie
während der Punischen Kriege von Rom erobert. Später blühte die Stadt unter
byzantinischer Herrschaft, ehe sie im Jahre 450 n. Chr. von Vandalen zerstört
wurde.
Griechisches Theater
Eine der Hauptattraktionen
ist das griechische Theater aus dem Jahre 480 v. Chr. Es liegt an einem Hang
mit direktem Blick auf das Meer. Das Theaterstück „Die Perser“ von Sophokles
wurde hier uraufgeführt, wobei der Autor selbst mitspielte. Gleich daneben
befindet sich ein unterirdischer griechischer Steinbruch, in dem Gefangene
große Steinquader heraus brachen. Eine besonders auffallende Schlucht durch den
Felsen heißt „Ohr des Dionysos“. Der Name kommt daher, dass man von dort aus
Gefangene bei der Arbeit belauschen konnte. Aus der Römerzeit stammt ein
Amphitheater. Der Mittelpunkt der Stadt ist die
Halbinsel Ortyga. Das ist der
Ort, an dem die ersten griechischen Siedler ihre Hütten bauten. Die
heutige Kathedrale der Stadt war ehemals ein Tempel der Athene. Über 2500 Jahre
wurde laufend an dieser Kirche gebaut.
Ehemaliger Steinbruch
Der bekannteste Sohn der Stadt Syrakus ist Archimedes (287-212 v. Chr.).
Er war Mathematiker, Physiker und Ingenieur. Seine Ausbildung erhielt er in
Alexandrien, wo er unter anderen mit Eratosthenes zusammenarbeitete. Er formulierte
die Hebelgesetze
und schuf dadurch die Grundlage für die spätere Entwicklung der Mechanik. Er
soll angeblich gesagt haben: ‚Gebt mir
einen Punkt [außerhalb der Erde], auf dem ich stehen kann, und ich werde die
Welt aus den Angeln heben‘. Archimedes soll das nach ihm benannte Auftriebsprinzip
durch Zufall beim Baden entdeckt haben, als aus dem randvollen Wasserbehälter
jene Wassermenge auslief, die er beim Hineinsteigen ins Bad mit seinem
Körpervolumen verdrängte. Mit dem Freudenschrei ‚Heureka!‘ (griech. für: Ich hab’s
gefunden!) soll er unbekleidet auf die Straße gerannt sein.
Archimedes wird nachgesagt, die Römer bei ihrer Belagerung von
Syrakus mit von ihm entwickelten Kriegsmaschinen aufgehalten zu haben. Dazu
gehörten Wurfmaschinen und Katapulte oder auch Seilwinden, mit denen er ein voll
beladenes Schiff, mit der gesamter Besatzung, durch Ziehen an einem einzigen
Seil bewegen konnte. Außerdem soll Archimedes die Schiffe der Römer über große
Entfernung in Brand gesteckt haben. Mit Hilfe von Spiegeln soll er das
Sonnenlicht auf die angreifenden Schiffe umgelenkt haben.
Selbst sein Tod ist sagenumwogen. Als nach der Eroberung von
Syrakus ein römischer Soldat ihn festnehmen wollte, soll er gerade dabei gewesen
sein, geometrische Figuren in den Sand zu zeichnen. Als Archimedes den Soldaten
mit den berühmten Worten: ‚Noli turbare circulos meos‘ (lat. für: Störe
meine Kreise nicht!) zu Recht wies, soll dieser Archimedes erschlagen
haben. Mich wundert’s nur, dass ein stolzer Grieche angesichts seines Todes
plötzlich Latein spricht. Vermutlich wurde auch diese Episode von den Siegern
in die Geschichtsbücher gebracht.
Wie Archimedes von einem Römer erschlagen wurde, so wurde
die griechische Kultur von den Römern teils vernichtet, teils absorbiert. Die
mathematischen und philosophischen Ideen gerieten größtenteils in Vergessenheit.
Erst die Kalifen in Bagdad interessierten sich ab dem 8. Jahrhundert wieder
dafür.
Chiwa in Usbekistan
Als wir im Sommer 1989 in
Usbekistan waren, besuchten wir auch Chiwa. Mein Wiener Kollege Heinz Zemanek hatte mich auf die Idee gebracht. Wir machten einen Tagesausflug von Taschkent aus dorthin per
Flugzeug. Chiwa ist eine Kleinstadt (30.000 Einwohner) am Unterlauf des Amu
Darja, unmittelbar an der Grenze zu Turkmenistan. Die Provinz heißt Chorestan
oder Chwarizm. Die Altstadt von Chiwa ist noch ringsherum von einer intakten
Mauer umgeben. Wir betraten die Stadt durch das Tor Ata Darwasa. Dieses Tor
liegt im Westen der Stadt, direkt neben der Festung Kunga Ark. In der Festung
gibt es einen Palast mit Empfangshalle, Harem und Moschee, sowie eine Münzerei.
Im Innenhof wurden die vom Chan gefällten Todesurteile vollstreckt. Gegenüber
von der Festung liegt die Medrese Amin Chan mit dem berühmten unvollendeten
Minarett (Kalta Minar).
Minarett Kalta Minar
Wir gingen an vielen anderen
Medresen und Mausoleen vorbei. An einem Brunnen schöpfen Frauen Wasser. Der
Brunnen sei für Frauen, die viele Kinder haben wollen. An der großen
Karawanserei (Alla Kuli Chan) trafen sich einst die Händler, die mit ihren
Kamelen ankamen. Die Medrese Kutlug ist die neueste und wurde erst Anfang des
19. Jahrhunderts gebaut. Im Palast Tasch Hauli (steinernes Haus) gibt es einen
Harem und einen Gerichtstrakt. Die Palast-Moschee (Dschuma) ist eine 50 x 50 m
große Halle mit hölzernen Säulen. Einige davon sind über 1000 Jahre alt. Es
soll dies das einzige Gebäude der Stadt sein, das Chingis Chan nicht zerstörte.
Er hätte es als Pferdestall benutzt. Chiwa hatte den Ruf, dass Sklaven hier
besonders grausam behandelt wurden. Waren sie aufsässig, wurden sie mit den
Ohren an die Stadttore genagelt. Die Sklaverei soll in Chiwa erst im Jahre 1920
abgeschafft worden sein, und zwar bei der Übernahme der Stadt durch die
Kommunisten.
Denkmal für Al Chwarizmi
Als wir nach der
Stadtbesichtigung für zwei Stunden uns selbst überlassen wurden, fragte ich
nach dem berühmtesten Sohn der Stadt. Der Name Al Chwarizmi war jedoch
niemandem geläufig. Durch reinen Zufall fanden wir jedoch sein Standbild
außerhalb des Tores, durch das wir die Stadt betreten hatten. Das Denkmal war
von russischen Mathematikern errichtet worden und trug die Aufschrift „Abu Abdullah Mahamed ibn Musa“ in
arabischer und russischer Schrift. Das war nämlich sein richtiger Name.
Chiwa, russisch Xiva, gehörte einst zum persischen Kulturkreis. In der Wissenschaft und Literatur ist der persische
Universalgelehrte Al
Chwarizmi (780-850 n. Chr.) nur unter dem Namen seiner Heimatprovinz
bekannt. Er war am Hofe des Kalifen Al Mamoun in Bagdad tätig. Nach der Eroberung
Persiens durch die
Ummayaden-Dynastie war Bagdad zur kulturellen Hauptstadt der Welt geworden. In
einem Haus der Weisheit wurden systematisch griechische und indische
(Sanskrit) Texte ins Arabische übersetzt.
Al Chwarizmi gilt als einer der bedeutendsten Mathematiker,
da er sich nicht nur mit Zahlentheorie, sondern auch mit Algebra als
elementarer Untersuchungsform beschäftigte. In seinem Buch ‚Über das Rechnen
mit indischen Ziffern‘ (arab. ‚Al-Kitab al-Dscham‘) stellte Al Chwarizmi
die Arbeit mit Dezimalzahlen vor und führte die Ziffer Null aus dem indischen
in das arabische Zahlensystem und damit in alle modernen Zahlensysteme ein. Von
Al Chwarizmis Namen leitet sich der Begriff Algorithmus
ab, von seinem Buch leitet sich das Wort Algebra
ab.
Bagdad schuf sich eine Außenstelle in Andalusien. Wie wir
gleich sehen werden, kamen Al Chwarizmis Werke (und auch andere) auf diesem Weg
nach Westeuropa. In dem Vierteljahrhundert nach unserem Besuch haben sich Chiwa
und Usbekistan vermutlich stärker in Richtung einer religiös geprägten,
archaischen Gesellschaft hin bewegt, als zu der freien, der Wissenschaft
gegenüber aufgeschlossenen Gesellschaft, wie sie zurzeit Al Chwarizmis bestand.
Toledo in Kastilien
Nach vielen Spanienbesuchen
kamen wir im Sommer 2004 endlich nach Toledo. Wie mit keiner anderen Stadt, so verbinden
sich mit Toledo 2000 Jahre spanische Geschichte. Nach den Römern kamen die
Westgoten. Diese wurden 711 von Arabern besiegt. Nach der Reconquista wurde
Toledo kastilisch und war die Hauptstadt Spaniens, bis Philipp II nach Madrid
umzog. Die Stadt liegt auf einer Schleife des Flusses Tajo. Gotische Bauwerke
gibt es keine mehr. Dafür gibt es ein Museum für gotische Kunst in einer von
Arabern gebauten Moschee. An der Kathedrale der Stadt bauten einst französische,
holländische und deutsche Bauleute. In der Sakristei hängen Bilder von El
Greco, Tizian und anderen. In einem Nebenraum der Iglesia S. Tomé befindet sich
das berühmteste Bild El Grecos. Es ist das Begräbnis des Conde de Orgaz mit den
ausdrucksvollen Gesichtern seiner Zeitgenossen. In der ehemaligen Kirche S.
Marcos ist heute das Stadtmuseum.
Ansicht von Toledo
Sehr ins Auge fallen die
Spuren der jüdischen Bevölkerung der Stadt. In ihrem Viertel liegt nicht nur
die zur Marienkirche (Santa Maria la Blanca) umgebaute frühere Synagoge,
sondern auch das Haus El Grecos, des berühmten Griechen. In der Synagoge el Transito
ist ein Museum der sephardischen Juden. Es zeigt die jüdische Geschichte in
Spanien zwischen der Römerzeit und der Vertreibung im Jahre 1492. Im Alcazar
regierten einst die spanischen Könige. Im Kloster Santa Cruz gibt es außer
mehreren El Grecos auch eine Ausstellung von Kacheln (Azuelas).
Santa Maria
la Blanca (ehemalige Synagoge)
Die spanische Stadt Toledo ist der Ort, wo die
Kulturstränge des Morgen- und des Abendlands sich vereinigten. Hier trafen
Araber, Griechen, Juden, Römer und Germanen (vertreten durch die Westgoten)
aufeinander. Toledo war die Hauptstadt des Westgotenreiches von der
Völkerwanderung bis zum Jahr 712. Seine Blütezeit erlebte Toledo während des Kalifats von Córdoba und als Hauptstadt einer Taifa , d.h. eines Diadochenreiches, nämlich des
Berberstammes der Dhun-Nuniden. Gleich zu Beginn der Reconquista wurde Toledo im Jahre 1085 durch Alfons
VI. von Kastilien erobert. Von da ab ging es mit Toledo ̶ überspitzt gesagt ̶ bergab, fast tausend
Jahre lang!!
In Toledo wurden einst die Arbeiten der Griechen und Araber aus
dem Arabischen ins Lateinische übersetzt und kamen so zu den Gelehrten des
Abendlands. Das begann im 9. Jahrhundert, setzte sich aber nach dem Abzug der
Araber fort. Al Chwarizmis Bücher
wurden im 12. Jahrhundert unter anderem von dem Engländer Robert von Chester und
dem Italiener Gerard von
Cremona übersetzt. Sie
fanden sie in den von den Arabern hinterlassenen Bibliotheken Toledos. Einer
der ebenfalls das Interesse der Europäer auf die Leistungen der Araber lenkte,
war Gerbert d‘Aurillac, dem schon ein Blog-Eintrag gewidmet war.
Denken wir heute an Araber, so denken wir fast nur noch an
die Islamisten. Diese verbrennen Bücher und zerstören Kunstwerke, nicht nur im
Mittelalter, sondern auch im 21. Jahrhundert. Wie ich erst vor kurzem erfuhr,
kamen nach dem Fall von Cordoba und Sevilla im Jahre 1492 eine Menge Bücher aus
Spanien nach Timbuktu im
heutigen Mali. Das war vor 600 Jahren, 400 Jahre nach dem Verlust von Toledo.
Der von Salman Rushdie
verewigte letzte Emir von Granada wird auch im Grab seine Seufzer nicht
unterdrücken können, wenn er erfährt, dass diese Bücher und ihre Bibliotheken jetzt
Gefahr laufen von Al-Qaida-Anhängern zerstört zu werden. Womit wir im Sommer
2012 angekommen wären.
Zusätzliche Referenz:
1. Reiseberichte
enthalten auf der CD Gunst und Kunst des
Reisens aus dem Jahre 2009. Die CD ist auf der Homepage ihres Autors im Abschnitt Media beschrieben
Am 21.7.2012 schrieb Peter Hiemann aus Grasse:
AntwortenLöschen... habe Ihren Bericht „Von Milet nach Toledo“ mit Vergnügen gelesen.
Sie können sich aber vermutlich vorstellen, dass ich bei Julian Jaynes Theorie, wie Bewusstsein
in unsere Welt gekommen ist, gestutzt habe. Ich habe nicht vor, mich mit dessen Theorie näher zu beschäftigen. Aber folgender Text gab mir zu denken:
„Die Menschen vor dieser Zeit („also zwischen 1300 und 700 v. Chr.“) hätten kein Bewusstsein
gehabt, ebenso wenig wie Tiere und Kinder vor dem dritten Lebensjahr. Erklärt wird es anatomisch durch die Entstehung einer Brücke zwischen der rechten und linken Gehirnhälfte.“
Falls Jaynes mit „Brücke“ das Corpus Callosum des Gehirns (Gehirnbalken) gemeint hat,
ist seine Aussage nicht aufrecht zu erhalten. Diese Brücke existiert auch bei Katzen.
Im Wikipedia-Artikel zum Corpus Callosum steht u.a.
Löschen„Andererseits ist diese so genannte Split-Brain-Operation oder Callosotomie mit schweren Kognitionsstörungen verbunden, so dass sie heutzutage kaum noch durchgeführt wird. Außerdem tritt wegen der Durchtrennung des Balkens das danach benannte Split-Brain-Syndrom auf.“
Kann es nicht auch sein, dass das ‚Kabel‘ schon früh vorhanden war, aber erst vor rund 3000 Jahren vom Menschen zur Signalübertragung und anschließenden Interpretation benutzt wurde?
Nachtrag vom 22.7.2012:
AntwortenLöschenIch hatte einen historischen Bericht leicht verfälscht und tat damit den griechischen Frauen des Altertums möglicherweise Unrecht.
Die Frau, die Thales auslachte, wird als 'thrakische Magd' bezeichent. Sie war also eine frühe Gastarbeiterin, die aus Mazedonien, also vom Balkan kommend, in einer ionischen Stadt beschäfigt war. Vielleicht klingt hier mit an, dass man in Mazedonien, woher später der große Alexander kam, in Bezug auf Allgemeinbildung damals noch etwas rückständig war.
Heute, am 26.7.2012 schrieb ich zu einer Sendung bei Arte (http://videos.arte.tv/de/videos/eine_frage_der_gene-6819794.html),
AntwortenLöschenauf die Peter Hiemann mich hingewiesen hatte:
Die Bemerkung, dass alle Homos und nicht nur der Sapiens ein Bewusstsein hätten, wirft nur die Frage auf, was man unter Bewusstsein versteht. Bei Jaynes ist es das, was Menschen vor etwa 3000 Jahren nicht hatten. Die haben weder lange Balladen mündlich überliefert (wie Homers Zeitgenossen), noch hatten sie eine Schrift (wie Linear A oder B).
Am gleichen Tag antwoetete Peter Hiemann wie folgt:
Auch ich war gespannt, was die Experten des Beitrages zur Evolution des menschlichen Bewusstseins aussagen werden. Da war leider nichts außer der Bemerkung, dass es wohl dem Menschen vorbehalten ist, nicht nur zu wissen, sondern auch zu wissen, dass er weiß.
Solange ich nichts Neues erfahre, halte ich mich an Luhmanns Arbeitshypothese:
1. Bewusstsein und Kommunikation sind zwei unterschiedliche aneinander gekoppelte autopoietische Systeme.
2. Man kann sich nicht vorstellen, dass ein Bewusstsein evolutionär entstanden wäre, ohne dass es Kommunikation gibt.
3. Genauso wenig kann man sich vorstellen, dass es sinnhafte Kommunikation gäbe, wenn es kein Bewusstsein gibt.
4. Mir scheint, dass der Kopplungsmechanismus die Sprache ist.
Diese Aussagen habe ich wörtlich Luhmanns Buch „Einführung in die Systemtheorie“ entnommen (Seite 122).
Einen Hinweis in dem Arte Beitrag könnte ich im weitesten Sinn als Bestätigung für Luhmanns Hypothese betrachten: Ähnliche Darstellungen von Tieren an Höhlenwänden kann man anscheinend überall finden, wo frühe moderne Menschen gelebt haben. Obwohl man davon ausgehen kann, dass sie verbal auf verschiedene Weise kommuniziert haben, haben sie ursprünglich ähnliche Symbole bei der Kommunikation verwendet.
Luhmanns Arbeitshypothese erlaubt ihm auch, etwas zur späteren Entwicklung der Sprache selbst zu postulieren:
„Nach dieser These muss es eine Zusammenentstehung von struktureller Kopplung und Autopoiesis im Bereich von Bewusstsein einerseits und im Bereich von Gesellschaft, von sozialer Kommunikation, andererseits gegeben haben, die in den Anfängen vermutlich mit relativ geringer Komplexität, mit relativ geringer Reichweite und Differenziertheit der Systeme, aber in den Zuständen, die wir kennen, mit einer enormen Komplexität ausgestattet ist, die sich in der Sprache selbst dann wieder findet.“ (Einführung in die Sytemtheorie Seite 123)
Für Luhmann ist Bewusstsein die grundlegende menschliche Fähigkeit, Symbole zu kreieren und für die Kommunikation zu verwenden. Diese Fähigkeit erwarb der Mensch schon sehr frühzeitig, wie in den Höhlenzeichnungen an unterschiedlichen
Orten der Erde belegt ist. Die Zunahme von Komplexität der bewussten (kommunikativen) Fähigkeiten des Menschen und seinen sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten ist das Resultat selbstorganisierender evolutionärer Prozesse. Die Entstehung von Sprachen, um schließlich damit lange Balladen zu erzählen und schriftlich niederzulegen, ist sicher eine sehr lange Geschichte der Menschheit. Ob erst Homers Zeitgenossen in der Lage waren, interessante und spannende Geschichten zu erzählen, kann ich nicht beurteilen. Jaynes Aussage, „das Bewusstsein des Menschen habe sich erst vor der Phase der klassisch-griechischen Hochkultur entwickelt“, ist meines Erachtens zumindest „misleading“.