Was hätte ich mir Schöneres wünschen können, als frisch verheiratetet
an die Côte d‘ Azur versetzt zu werden. Von April 1962 bis September 1963 traf
es mich. Anfang 1962 erfuhr ich, dass Mitarbeiter gesucht würden für ein
Projekt im französischen Labor der Firma in La Gaude bei Nizza. Ich meldete mich und wurde
kurz darauf von dem englischen Projektleiter (Ken Hanford) in Stuttgart interviewt.
Er fand, dass meine Qualifikation ausreichte und er machte mir ein Angebot.
Für das Drum und Dran der Abordnung gäbe es jemanden in der deutschen
Personalabteilung, der dafür zuständig sei. Dieser Herr erklärte mir, welche
Umzugskosten die Firma übernimmt und wie hoch die Ausgleichszahlungen für die
höhere Miete und die Lebenshaltungskosten seien. Da sich dies alles sehr gut
anhörte, beschlossen meine Frau und ich, dieses Experiment zu wagen. Wir
wussten, dass meiner Frau das größere Opfer zugemutet wurde. Sie musste ihre
berufliche Tätigkeit in Deutschland aufgeben und es war wenig wahrscheinlich,
dass sie in Frankreich etwas Gleichwertiges finden könnte. Wir machten uns also
auf nach Nizza. Dort lief alles wie am Schnürchen. Wir wohnten zunächst im
einzigen Hotel der Stadt mit einem Schwimmbecken auf dem Dach (dem Hotel
Splendid), bis dass wir eine Wohnung gefunden hatten.
Anfänge der Programmiersprachen
In meiner Düsseldorfer Zeit von
1959 bis 1962 hatte ich die Anfänge höherer Programmiersprachen kennen gelernt.
Ich hatte sowohl mit COBOL gearbeitet als auch mit Fortran. Das gab mir sehr
wichtige Vorkenntnisse für die in der Fachwelt jetzt anstehenden Fragen.
Fortran war von einem Team entwickelt worden, das für einen bestimmten
Hersteller (IBM) arbeitete. Außerdem hatten die Entwickler sich bemüht, für die
Sprache einen Kompromiss zu finden zwischen guter Lesbarkeit durch den Menschen
und effizienter Übersetzbarkeit durch die Maschine. Da höhere Sprachen sich
erst noch durchsetzen mussten gegenüber der Programmierung in Maschinensprache
wurde im Zweifelsfalle der Effizienz Vorzug gegeben. Dass dies richtig war,
bewies der unglaubliche Siegeszug für Fortran, der heute nach 50 Jahren noch
nicht beendet ist. Gegen beide Aspekte, Herstellerabhängigkeit und Effizienzrücksicht,
entstand eine Gegenbewegung. Sie wurde nicht von Ingenieuren sondern von mathematisch inspirierten Kollegen getragen.
Es entstand der Vorschlag für
eine Programmiersprache, die praktische Mathematiker besonders ansprechen
sollte. Nach mehreren Iterationen erhielt sie den Namen Algol 60. Algol ist eine
Abkürzung für ‚Algorithmic Language‘; die Zahl 60 steht für 1960, das
Entstehungsjahr der Sprachdefinition. Gegenüber Fortran erschienen mir zwei
Eigenschaften wesentlich, die Groß- und Kleinschreibung von Variablennamen und
die Rekursion. Für Ingenieure und theoretisch arbeitende Mathematiker sind
beides keine weltbewegenden Aspekte.
Die Groß- und Kleinschreibung
von Variablennamen setzt einen größeren Zeichensatz voraus, als normalerweise
bei Lochkartengeräten zur Verfügung steht. Programme wurden damals fast nur
über Lochkarten in die Rechner eingegeben, zumindest bei IBM. Unter Rekursion versteht man in der
Mathematik, wenn für eine Definition einer Funktion die Definition selbst
benutzt wird. Manche Leute werden schon stutzig, wenn sie dies hören. Es gestattet
dies in manchen Fällen sehr elegante Definitionen, wenn dadurch die Benutzung
von Iterationen vermieden werden kann. Der Preis, der für diese mathematische
Raffinesse von einem Übersetzerbauer bezahlt werden muss, steht in keinem
Verhältnis zum Nutzen.
Die Sprache COBOL hat da ihre
Stärken, wo Fortran (und natürlich auch Algol) schwach sind. Im Mittelpunkt
stand bei COBOL die Frage, wie Datenelemente, Sätze und Dateien beschrieben
werden können. Dafür gab es einen Programmteil, Data Division genannt, der nur
einmal geschrieben werden musste für alle Programme, die dieselben Daten
verwandten. Diese Beschreibungen bildeten die Basis für so genannte
Datenverzeichnisse (engl. ‚data dictionaries‘). Außerdem gab es sehr ausgefeilte
Möglichkeiten, um das Erscheinungsbild festzulegen, wie Daten in einem
Druckformular oder auf dem Bildschirm aussehen sollten. Erst durch die Sprache
Pascal wurde ähnliche Konzepte auch anderswo bekannt gemacht.
Projekt Algol und das französische Labor der IBM
Bei dem Projekt ging es darum, einen Algol-Übersetzer für einen schon
länger im Markt befindlichen Rechner (IBM 7090) zu entwickeln. Unsere
Projektgruppe umfasste Mitglieder aus verschiedenen europäischen Ländern. Neben
dem Projektleiter gab es einem weiteren Engländer, je einen Franzosen,
Holländer, Österreicher und Schweden und drei Deutsche. Während ich aus
Düsseldorf dazu stieß, kamen die beiden andern deutschen Kollegen aus dem Stuttgarter
Raum und waren beides Schwaben. Einer von ihnen war Junggeselle; der andere war
verheiratet und hatte einen dreijährigen Sohn. Mit einer Ausnahme (Peter Lucas aus Wien) waren alle Beteiligten Neulinge auf dem Gebiet des
Übersetzerbaus.
IBM Labor in La Gaude (Foto IBM)
Auf die technischen Aspekte des Algol-Projekts will ich hier nicht
weiter eingehen. Das Projekt wurde Anfang 1963 (genau am 1. April) abgebrochen,
da IBM sich verstärkt auf die nächste Generation von Rechnern (das spätere
System/360) konzentrieren wollte. Erwähnen möchte ich noch, dass ich aufgrund
meiner COBOL-Kenntnisse damit beauftragt wurde, die Firma IBM bei den
Bemühungen zu vertreten, die darauf zielten für COBOL in Europa einem
offiziellen Standard festzulegen. Federführend war dafür ein Zusammenschluss
aller europäischen Rechnerhersteller, ECMA genannt (engl. European Computer Manufacturers‘ Association).
ECMA hatte seinen Sitz in Genf. Um die Standardisierung zu unterstützen,
sollte auch eine Übersetzung der COBOL-Sprachelemente in Deutsch, Französisch
und Spanisch vorgenommen werden. Über das Schicksal dieses Teilprojekts
berichtete ich in meinen Erinnerungen an Heinz
Schappert.
NB: Später erfuhr ich, dass ein Versuch, für dieselbe Maschine einen
Algol-Übersetzer zu entwickeln, an der University of Illinois unter dem Namen
ALCOR Illinois unternommen worden war. Es war dort, wo zwei Münchner Kollegen,
die ich später sehr gut kennenlernte (Manfred Paul und Rüdiger Wiehle) ihre
beruflichen Sporen verdienten. Ab 1964 wurde ein Algol 60 Compiler für die neue
Rechnergeneration der IBM, das System/360, im Böblinger Labor von Hans-Jürgen
Hoffmann und seinen Mitarbeitern entwickelt. Als dieses Projekt von Deutschland
nach Schweden transferiert wurde, verließ Hoffmann die IBM, um Professor in
Darmstadt zu werden.
Für die übrigen meist in Hardware-Projekten engagierten französischen
Mitarbeiter des Labors waren wir eine Exotengruppe. Die Atmosphäre des Labors,
vor allem das Essen, gefiel uns sehr gut. Das Labor in La Gaude hatte einen
deutsch sprechenden Mitarbeiter damit betraut, uns Dreien bei der Wohnungssuche
und bei Behördengängen zur Verfügung zu stehen. La Gaude ist eine Kleinstadt
nordwestlich von Nizza auf halber Höhe. Wie ihre Nachbarstadt Vence ist La
Gaude direkt an die Ausläufer der Seealpen gepresst. Über der Stadt ragt ein
hoher Tafelberg. Das IBM Labor wurde von einem bekannten Architekten als großes
X und auf Stelzen stehend in die Landschaft gesetzt. Es war erst, kurz bevor
ich dorthin kam, bezogen worden.
Als junge Familie in einer Ferienumgebung
Wir fanden innerhalb von wenigen Tagen eine Wohnung in einer modernen
Wohnanlage nicht weit von der Uferpromenade, der Promenade des Anglais. Der Stadtteil von Nizza heißt La Californie. Die Miete war zwar höher
als wir es erwartet hatten, aber diese Art Wohnungen, so hieß es, hat halt
ihren Preis. Sie werden meist nur für kurze Perioden als Ferienwohnungen
vermietet. In unserem Falle war der Eigentümer ein Franzose, der in Algerien
lebte. Da wegen der politischen Entwicklung in Algerien der Eigentümer
plötzlich die Wohnung selber benötigte, mussten wir nach etwa einem Jahr umziehen.
Wir fanden zum Glück in derselben Wohnanlage eine ähnlich schöne Wohnung, die
sogar vom Balkon aus einen Blick auf die Altstadt und die Bucht von Nizza bot.
Blick vom Balkon unserer
Wohnung
In meiner ganzen beruflichen Laufbahn hielt ich mich nie so exakt an
die tägliche Arbeitszeit wie hier. Da alle drei deutschen Projektmitarbeiter im
Stadtgebiet von Nizza wohnten, bildeten wir eine Fahrgemeinschaft. Jeder von
uns fuhr nur jeden dritten Tag im eigenen Auto die etwa 10 Km zum Labor. Im
Falle der beiden verheirateten Männer brachten uns unsere Ehefrauen morgens zum
vereinbarten Treffpunkt. Am selben Treffpunkt warteten sie bereits nachmittags
gegen 17 Uhr. Im Sommer hatten sie dann meist die Badesachen dabei, so dass wir
den Rest des Tages am Strand verbringen konnten.
Meist zog es uns dann in die westlichen Vororte von Nizza wie Cagnes
und Antibes. Am Wochenende ging es schon einmal etwas weiter, sei es nach
Cannes oder ins Estérel. Alle Freunde und Verwandte, die immer einmal nach
Nizza wollten, hatten nun einen Grund mehr dies zu tun. Dass Nizza außer im
Sommer auch im Winter attraktiv sein kann, war für uns neu. Ich unternahm meine
ersten Ausflüge auf Skiern in uns bis dahin unbekannten Skiorten in den nahen
Seealpen, so in Auron und Valberg.
Nachwuchsglück im Ausland
Während dieser Zeit lebten meine Frau und ich „wie Gott in Frankreich“.
Meine Frau nahm Französisch-Kurse in der Berlitz-Schule und studierte die
französische Kochkunst, sei es durch eigene Experimente oder den Besuch
einheimischer Restaurants. Ein gewisses Unsicherheitsgefühl trat auf, als sich
nach einem halben Jahr die Geburt unseres ersten Kindes ankündigte. Sollte man
sich für die Geburt nicht lieber in eine deutsch sprechende Umgebung begeben,
dachten wir. Wir taten es nicht. Die Geburt verlief ohne Komplikationen.
Die Schwangerschaft meiner Frau stieß auf Interesse des französischen
Staates. Er war bereit, finanzielle Zuwendungen zu zahlen, wenn meine Frau sich
einer Reihe frühzeitiger Untersuchungen und ausführlichen Beratungen unterzog. Obwohl
hier gewisse Grundkenntnisse der französischen Sprache erforderlich waren, ließ
sie alles tapfer über sich ergehen. Als wir nach der Geburt wissen wollten, ob
wir auch für die hohe Prämie in Frage kämen, von der manche französische Frauen
während der Schwangerschaftskurse schwärmten („im Bauch ist meine neue
Waschmaschine“), erhielten wir eine Absage. Die Prämie erhalten nur Eltern,
deren Kinder die französische Staatsangehörigkeit besitzen. Dies können wir für
unser Kind nur beantragen, wenn wir fünf Jahre im Lande gelebt haben.
Für die Geburt hatten wir eine private Kinderklinik (Sainte Hélène)
ausgesucht. Ich hatte meine Frau mittags hingebracht. Zwei Stunden später
erhielt ich den Anruf, dass die Geburt abgeschlossen sei. Als ich wieder am
Eingang der Klinik erschien, wurde ich mit folgenden Worten begrüßt: „Congratulation! Vous avez une petite jolie
fille“. Unter der wissenschaftlich gut fundierten Pflege von Mutter und
Großmutter gedieh unsere Tochter prächtig.
Erwähnen möchte ich noch, dass meine Frau fast in den Ruf kam, keinen
Ehemann zu besitzen. Als ich mal wieder in Genf zu tun hatte, streikte das
Personal von Air France, so dass ich die Rückreise per Bahn antreten musste.
Die neue Zimmernachbarin meiner Frau machte große Augen, als nach vier Tagen
doch ein Mann erschien. Dass das erste Kind etwas Besonderes ist, sei am
Beispiel der Baby-Waage erklärt. Beim ersten Kind in Nizza hatten wir eine
Waage gemietet und sie wurde jeden Tag zweimal benutzt. Beim zweiten Kind in
den USA mieteten wir wieder eine Waage, benutzten sie jedoch nicht. Beim
dritten Kind mieteten wir keine Waage mehr.
Leben und Erlebtes an der Côte d‘Azur
Es gehört zu den weit verbreiteten Meinungen über Nizza, dass es hier
weder Frost noch Schnee gibt. Unsere Wohnung in Nizza war nicht nur im Sommer,
sondern auch im Winter bewohnbar. Sie verfügte über eine Fußbodenheizung. Nicht
so gut dran war ein Kollege, der direkt im Ort La Gaude wohnte. Seine Wohnung
hatte keine Heizung. Dafür besaß sie einen Wassertank, der in Dachhöhe neben
dem Haus montiert war. Als plötzlich nicht nur Schnee fiel, sondern es auch
einige Nächte fror, hatte der gute Kollege weder Heizung noch fließendes
Wasser. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als für einige Tage in ein Hotel
umzuziehen.
Dass Schnee sehr ungewöhnlich war, wusste auch die Leitung des IBM Labors.
Einmal fielen schon tagsüber drei Millimeter Schnee. Gegen Mittag verkündete
daher die Laborleitung, dass das Labor um 15 Uhr schließen würde, damit alle
Mitarbeiter sicher nach Hause kämen. Mehrere französische Mitarbeiter trauten
sich dennoch nicht, im eigenen Auto die kurvenreiche Strecke von La Gaude nach
Nizza zu fahren. Deshalb bot sich einer unserer drei deutschen Mitarbeiter an,
die Wagen einiger französischer Kollegen den Berg hinunter zu fahren. Wer ihn
wieder nach oben brachte, um seinen eigenen Wagen zu holen, weiß ich nicht
mehr. Von den französischen Kollegen im Labor haben wir natürlich auch einiges
gelernt. Dazu gehört die im Süden Frankreichs übliche Form des Boule- oder
Boccia-Spiels. Es heißt hier Petanque. In jeder Mittagspause wurden im Umfeld
des Labors mehrere Partien ausgetragen, an denen wir teilnehmen konnten.
Die Küche von Nizza besitzt einige Besonderheiten. Den Salat aus Nizza
(Salade niçoise) kennt man auch bei
uns und er enthält keine Überraschungen. Anders ist es mit Ratatouille und Tripes.
Beim Ersteren handelt es sich um ein undefinierbares Gemüse (bestehend aus
Tomaten, Kürbis und Auberginen). Tripes kennt der Schwabe unter der Bezeichnung
Innereien. Ich habe diese nur einmal bestellt, meine schwäbischen Kollegen schon
mal öfters. Gab es besonders schöne Fleischstücke in der Kantine des Labors,
konnte man fast sicher sein, dass es sich um Pferdefleisch handelte. Ich hatte
in diesem Falle nicht die geringsten Hemmungen, wissend, dass Pferde zu den
heikelsten Haustieren gehören, was ihr Futter betrifft. Die Fischsuppe
Bouillabaisse wird zwar eher mit Marseille in Verbindung gebracht als mit
Nizza. Als ein Kollege und ich sie einmal bestellten, aß ich davon nur die
wenigen mir erkennbaren Fischteile. Mein Kollege aß die ganze Terrine leer, so
als ob es eine Erbsensuppe wäre. Am nächsten Tag kam er nicht zur Arbeit.
Wochenende am Strand von Cannes
Im Hafen von Nizza gab es eine Besonderheit, die am offenen
Straßenfenster verkauft wurde. Es war dies eine Art Pfannkuchen aus Hirsemehl
(den Namen habe ich vergessen). Er schmeckte ausgezeichnet, besonders gut, mit
einem Glas Rotwein dazu. In den Selbstbedienungsläden (im Supermarché) in der
Californie war Rotwein billiger als Milch. Es gab Zweiliterflaschen für weniger
als zwei Franken (etwa eine D-Mark). Mineralwasser kostete je nach Marke
weniger oder mehr. Wenn Ebbe in der Kasse war, konnte man zur Not von Tomaten,
Brot und Wein leben. Manche Einheimische sollen davon gelebt haben, und nicht
nur in Notzeiten.
Mit dem Brot gab es allerdings ein Problem. Nur ganz am Anfang gaben
wir uns der Illusion hin, dass man bei einem Bäcker immer Brot bekommt. Es gab
dies nämlich nur dreimal am Tage, morgens um 8 Uhr, mittags um 12 Uhr und
abends um 18 Uhr. Sobald das frisch gebackene Brot verkauft war, konnte man bestenfalls
noch ein paar Zwiebacke bekommen, die in einer versiegelten Packung angeboten
wurden. Als Abschiedsgeschenk kaufte ich meiner Frau ein dickes buntes
französisches Kochbuch. Erst bei dem detaillierten Studium einiger Rezepte
stellten wir fest, dass die dort benutzten Mengenangaben nicht für den
Privathaushalt, sondern nur für große Betriebs- oder Hotelküchen geeignet
waren.
In der Firma hatte ich nie ein Sprachproblem. Immer gab es jemand, der
mir mit Englisch weiterhalf, sollte mein Versuch eine Konversation in
Französisch zu beginnen, scheitern. Anders war es im privaten Umgang. Gingen
wir zum Einkaufen, gaben wir immer einem Selbstbedienungsladen den Vorzug. War
das Geschäft darauf nicht eingerichtet, haben wir es einfach umfunktioniert.
Man zeigte mit den Fingern auf das, was man haben wollte, und hielt dem
Verkäufer einen möglichst großen Geldschein hin. Manchmal versagte auch diese
Methode.
Als ich von einem Frisör, auf dessen Stuhl ich bereits saß, gefragt
wurde, wie er meine Haare schneiden sollte, sagte ich ihm, natürlich auf
französisch, möglichst kurz. „Ah, comme les soldats“ war seine Reaktion. Ich
verließ seinen Stuhl, nur mit Stoppeln auf dem Kopf. Was mir oben gegen meinen
Willen an Haaren geraubt worden war, wollte ich wenigstens teilweise
kompensieren. So wie viele Franzosen in der Gegend, ließ ich mir einen relativ
schmalen Schnurbart wachsen. In
Frankreich sagte niemand etwas. Wo ich damit auffiel, war zuhause in
Deutschland. Nicht dass jemand mich deshalb angesprochen hätte. Des Öfteren
konnte ich jedoch feststellen, dass am Nebentisch das Gespräch plötzlich auf
Bärte kam.
Da ich Französisch als erste Fremdsprache hatte, konnte ich alles lesen
und vieles verstehen. Nur mit dem Sprechen haperte es etwas. Unsere Frauen
waren teilweise besser, teilweise schlechter dran als wir Männer. So meinte
meine Frau, dass ihre blonden Haare ihr im Straßenverkehr von Vorteil gewesen
seien. Immer wieder hätten männliche Autofahrer ihr die Vorfahrt eingeräumt, ob
berechtigt oder unberechtigt.
Wie Kinder mit dieser Situation fertig werden, bewies der dreijährige
Sohn meines Kollegen. Als eine Kindergärtnerin sich bei seiner Mutter darüber
beschwerte, dass der Sohn immer wieder mit anderen Kindern streiten würde, gab
der Sohn die folgende Erklärung dazu: „Einige von den Kindern haben Dinge zu
mir gesagt, die ich nicht verstanden habe. Deshalb habe ich sie
sicherheitshalber verhauen“. Dass Kinder schneller als Erwachsene lernen,
bewies dasselbe Kind. Wenn seine Mutter an einer Tankstelle vorfuhr, und der
Tankwart nicht verstand, was sie wollte, schrie der Sohn aus dem Auto: „Plein,
s’il vous plait“. Das heißt „Volltanken!“ auf Deutsch.
Jährlicher Blumenkorso
Beginnend mit dem Blumenkorso im Mai ist Nizza den ganzen Sommer über
von Touristen überlaufen. Schlagartig mit der ersten Septemberwoche wird es
dann relativ ruhig. In der Lokalzeitung
(Nice Matin) häufen sich dann die Berichte über Familienfeiern und
gesellschaftliche Ereignisse. Auch das Umland verdient dann schon mal
Interesse, wie die Bergschlucht Gorge de
Loup, oder das Musée Leger in
Biot oder die Bilder von Matisse und die Skulpturen von Picasso in Grasse bzw.
Vallauris.
Eine besonders schöne Erinnerung verbinden wir mit dem Besuch eines
weihnachtlichen Volkstheaters in einem Bergdorf in der Nähe von Sospel. Wie in
einer italienischen Oper konnten wir zwar keine Texte verstehen, dafür waren
aber die Bühnenszenen umso aussagekräftiger. Selbst beste
Französisch-Kenntnisse hätten uns nur zum Teil geholfen. Alle Schauspieler
sprachen die lokale Mundart, die dem Italienischen näher kommt als dem
Französischen. Nach der Vorstellung, also fast um Mitternacht, gab es für alle
Teilnehmer noch ein festliches Essen.
Der deutsche Kollege, der unverheiratet war, fiel bei Einheimischen wie
bei den Mitgereisten durch einige besondere Marotten auf. So war er im April
weit und breit der Einzige, der im Meer badete. Etwa einmal pro Vierteljahr
fuhr er zur großen Einkaufstour nach Stuttgart. Er könne von dem, was es hier
gebe, nicht leben, meinte er als Schwabe. Er kam dann zurück mit deutschen
Konserven, deutschem Brot und deutscher Wurst. Das Einzige, was wir tatsächlich
vermissten, war deutsches Schwarzbrot. Als wir ihn baten, bei seiner nächsten
Einkaufstour in diesem Punkte an uns zu denken, willigte er ein. Ziemlich
überrascht war ich jedoch, als er mir eine Portion Schwarzbrot aus seinem
Kofferraum überreichte. Für sich selbst hatte er noch etwa ein Dutzend Pakete
dabei.
Abschied von der Riviera
Ehe wir Nizza verließen, machten meine Frau und ich noch eine Reise im
eigenen Auto entlang der gesamten Riviera. Meine Schwiegermutter blieb mit
unserer Tochter in Nizza. Zuerst fuhren wir nach Westen über Marseille hinaus
bis in die Camargue. Anschließend fuhren wir in Richtung Osten zur italienischen
Riviera und kamen bis nach Genua und Portofino.
Im Hafen von Cassis
Einige Ereignisse dieser Fahrten blieben im Gedächtnis. Der Ritt auf
einem für die Camargue so typischen Schimmel war nur anfangs so vergnüglich.
Bald darauf entschied das Pferd, dass es jetzt lieber in seinen Stall möchte.
Es setzte diesen Entschluss sofort in die Tat um, unabhängig davon was Reiterin
oder Begleiter dachten. Die als Trost gedachten Wachteln, die es in einem
Restaurant in Les Saintes Maries de la Mer zum Abendessen gab, erwiesen sich
als sehr zierlich. Da der Monat August vorbei war, gab es auf der französischen
Seite der Riviera kaum noch Touristen. In ganz Frankreich waren die Ferien zu
Ende.
An der italienischen Seite der Riviera war noch lebhafter Betrieb, vor
allem in Savona und San Remo. Die Stadt Genua beeindruckte mit schönen
Geschäften. Der Ausflug nach Portofino endete vorschnell. Es muss an einem
Sonntag gewesen sein. Nachdem wir uns in einer kilometerlangen Schlange der
Stadt genähert hatten, schickte uns die Polizei wieder in die umgekehrte
Richtung, da es in der ganzen Ortschaft keinen freien Parkplatz gab.
Spätere Besuche in Nizza
Die Verbindung nach Nizza riss auch später nicht ab. Da auch später
immer wieder Kollegen aus beruflichen Gründen nach Nizza versetzt wurden, ergab
sich 1971 eine Gelegenheit, mit drei kleinen Kindern einen Urlaub in Nizza zu
verbringen. Wir tauschten einfach die Wohnungen. Der Kollege verbrachte seinen Deutschland-Urlaub
in unserem Haus in Sindelfingen und wir nutzten seine Wohnung in Nizza. Es war
dies eine Penthouse-Wohnung in einem mehrgeschossigen Haus. Man fuhr per
Fahrstuhl direkt in die Wohnung. Von der Terrasse gab es einen herrlichen Blick
auf das Mittelmeer. Baden konnte man im hauseigenen Schwimmbecken.
Als unsere in Nizza geborene Tochter im Jahre 2000 mit Mann und Kindern
ihren Sommerurlaub im Estérel einplante, schlossen meine Frau und ich uns an.
Wir konnten ihr zeigen, in welcher paradiesischen Gegend sie vor 37 Jahren auf
die Welt gekommen war. Im Sommer 2010 verbrachten meine Frau und ich einen
gemeinsamen Urlaub in Antibes und besuchten Orte und Freunde, die wir kannten,
aber auch neue Attraktionen wie das Museum der modernen Kunst in Nizza.
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